Einsturz des StadtarchivsRote Kiesel beweisen den Baufehler

Lesezeit 3 Minuten
Das Stadtarchiv stürzte bei dem Unglück 2009 Richtung Friedrich-Wilhelm-Gymnasium und lag dann auf der Severinstraße.

Das Stadtarchiv stürzte bei dem Unglück 2009 Richtung Friedrich-Wilhelm-Gymnasium und lag dann auf der Severinstraße.

Köln  – Fast neun Jahre lang hat Professor Hans-Georg Kempfert als unabhängiger Gutachter des Gerichts am Waidmarkt nach der Ursache für den Archiveinsturz geforscht. Bis Mitte 2014 hatte er die Bergung verschütteter Akten abwarten müssen, aber seitdem dort graben lassen – mit einer Erfolgsmeldung 2018. Entsprechend groß war gestern die Spannung, als Kempfert ein erstes Mal vor Gericht als Zeuge sein Gutachten vorstellte. Verblüffend eindeutig erklärte er den Einsturz und seine Ursachen. Aus seiner Sicht sind „alle technischen Fragen geklärt“. Ein Signal des des Gerichts genüge, um mit dem Schürfen nach Beweisen aufzuhören. Auch die KVB wartet wegen der Sanierung für den Weiterbau der Nord-Süd-Stadtbahn darauf.

Fünf Stunden lang erläuterte Professor Hans-Georg Kempfert als Gutachter des Gerichts die Ursachen für den Archiveinsturz.

Fünf Stunden lang erläuterte Professor Hans-Georg Kempfert als Gutachter des Gerichts die Ursachen für den Archiveinsturz.

Laut Kempfert gab es einen „Grundbruch mit hydraulischen Folgen“: Durch ein Loch in der Schlitzwand schoss Boden in die U-Bahn-Baugrube. Dort fehlte durch den Aushub das Gegengewicht, und Grundwasser beförderte die Massen. Fünf Stunden lang erläuterte der Gutachter seine Methoden, Funde, Berechnungen und Ergebnisse. Letztlich hatte Kempfert Glück: Eine Schicht von roten Kieselsteinen ersparte ihm weitere Jahre des Schürfens: Genau dort, wo obere Erdschichten und Teile des Archivs in die Baugrube strömten, gibt es diese „Oxidationsschicht“. Sonst kommen Kiesel mit roter Anhaftung am Waidmarkt nicht vor. Und diese Schicht ist unterhalb des Einsturzkraters, der wie ein Trichters genau zum Loch in der Wand führt, völlig intakt. Sogar Rückstände der Stützflüssigkeit vom Schlitzwandbau sind unter dem Trichter da. An der Schlitzwand darüber sind sie jedoch weggeschliffen, und zwar so gründlich, wie auch das Loch auf 2,7 Metern Höhe von den stürzenden Massen glattpoliert wurde.

Selbst den Weg dieser Massen kann Kempfert belegen. Denn sie bestehen aus Zivilisationsmaterial wie Glas, Mörtel, Tonscherben und Ziegeln – also Dingen, die in den unteren, von Menschen nie berührten Erdschichten fehlen sollten. Spezialtaucher aus den Niederlanden bargen jedoch auch aus einem 64 Zentimeter breiten Loch in der Schlitzwand solches Material. Unter anderem eine Platte aus Magerbeton mit Eisenbewehrung, die vom Alter her zum Stadtarchiv gehören dürfte, ebenso eine Sandsteinplatte, die – wie Kempfert vermutet – mal eine Fensterbank war.

Kempfert erklärte auch wie das verheerende Loch bei den Arbeiten entstanden sein muss – mit allen Spuren, die das hinterließ. Ein Trachytblock tief unter die Erde behinderte den Bau der Schlitzwand vor dem Stadtarchiv. Laut Kempfert war der Meißel der Arbeiter aber zu klein und zu leicht, um das Hindernis zu beseitigen. Dieses Problem nicht dem Auftraggeber zu melden, ist laut Kempfert ein Verstoß gegen die Regeln der Technik. Unter dem Hindernis blieb der ursprüngliche Boden als Kiessäule auf bis zu 64 Zentimetern Breite stehen. Taucher fotografierten Schnittkanten an der Armierung. Ungekürzt hätte sie auch nicht neben dem Hindernis eingebaut werden können. Außerdem ist das Bauwerk verdreht gebaut.

Auf Antrag der Verteidigung zweier Bauleiter ließ das Gericht den Hydrologieprofessor Matthias Pulsfort aus Wuppertal als Sachverständigen zu, lehnte aber eine Beauftragung als Gutachter ab, zumal Pulsfort von den Baufirmen bezahlt werde. Ab Freitag, 10 Uhr, darf er Fragen stellen. Dann geht der Prozess in Saal 142 weiter.

Rundschau abonnieren