Es lebe die FeindschaftJohannes Berendt erhält Preis für Forschung zur Fan-Aggression

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Es geht nichts über gesunde Rivalität: Spoho-Doktorand Johannes Berendt (l.) mit Professor Sebastian Uhrich.

Es geht nichts über gesunde Rivalität: Spoho-Doktorand Johannes Berendt (l.) mit Professor Sebastian Uhrich.

Köln – Drauftreten. Seine harte Wortwahl hatte Julian Brandt, Fußballprofi bei Bayer 04 Leverkusen, offenbar vorsätzlich gewählt. „Wenn Köln am Boden liegt, müssen wir einfach weiter drauftreten. Das sage ich, ohne den Respekt vor dem FC zu verlieren“, hatte der 21-Jährige nach dem Erfolg seiner Mannschaft im DFB-Pokal mit vermutlich allergrößtem Respekt geäußert.

Bei manchen Kölner Fans dürfte dies Erinnerungen geweckt haben an Michael Ballack, einst Kapitän der Deutschen Nationalmannschaft, der als Bayer-Profi vor sechs Jahren mit Megafon auf dem Zaun in der Fankurve stand und grölte: „Scheiß FC Köln“.

Ein verbaler Eiertanz für Spieler und Verantwortliche

Es ist Derbyzeit. Bayer Leverkusen empfängt am Samstag den 1. FC Köln. Für Spieler und Vereinsverantwortliche sind dies stets Phasen des verbalen Eiertanzes. Sollen sie nun die Stimmung anheizen, wie es Julian Brandt getan hat. Sollen sie abwiegeln und so tun, als sei es ein Spiel wie jedes andere auch? „Intuitiv habe ich gedacht: Das Herunterspielen der Rivalität macht Sinn. Umso überraschender war die Erkenntnis, dass genau dies zu Aggression führt“, sagt Johannes Berendt, Doktorand an der an der Deutschen Sporthochschule Köln. Für seine Untersuchungen zur „Rivalität und Fan-Aggression“ ist er jüngst in Bern mit dem New Researcher Award ausgezeichnet worden – zum ersten Mal ging dieser Preis an einen Kölner Forscher.

Pyro-Angriff in BayArena

Bayer-Fans zündeten vor einem Derby auf der Stadiontribüne zahlreiche Bengalos und Böller.

Die Lösung dieser kommunikativen Herausforderung liegt nach Ansicht der Forscher im Betonen einer „dualen Identität“. „Es ist wichtig, die Besonderheiten beider rivalisierenden Vereine zu betonen, um der Bedeutung der Rivalität auch in den Augen der Fans gerecht zu werden“, erklärt Berendt. Für seine Untersuchung hat er 4000 Fans rivalisierender Vereine befragt: Dortmund und Schalke. Nürnberg und Fürth. Braunschweig und Hannover. Fortuna und Viktoria Köln.

„Wir haben uns auf klassische Rivalitäten konzentriert“, erklärt Professor Sebastian Uhrich, Leiter des Lehrstuhls für Sportbetriebswirtschaftslehre. Die Fans wurden mit verschiedenen Zitaten über den Gegner konfrontiert, anschließend hatten die Forscher den Grad der Aggression gemessen. Probanden, die eine beschwichtigende Äußerung gelesen haben, hätten „signifikant höhere aggressive Verhaltenstendenzen“ aufgewiesen als solche, die gar kein Statement oder ein Statement zur dualen Identität gelesen hatten.

Gemeinsamkeiten finden

Dennoch: „Beschwichtigen ist weit verbreitet“, hat Berendt festgestellt. Die Aufforderung, doch bitteschön emotional den Ball flach zu halten, weil es für den Sieg gegen den Erzrivalen auch nur drei Punkte gibt, sei jedoch fatal. „Bei Fans entsteht der Gedanke. Was ihr da macht, ist nicht so wichtig. Doch für Fans ist ein Derby wie Leben und Tod – nur noch wichtiger“, sagt Uhrich. Wichtig sei es daher, eine gemeinsame Ebene zu finden: So könnten Traditionsclubs wie Köln und Borussia Mönchengladbach problemlos an eigene Besonderheiten und Gemeinsamkeiten erinnern. „Sie sind keine Kommerz-Clubs und vertreten mit ihrer Geschichte den rheinischen Fußball. Zudem kann an gemeinsame Feindbilder erinnert werden“, erklärt er. Dies zu betonen und zugleich Rivalität zuzulassen sei allemal besser, „als das Standard-Geschwätz vor einem Derby“, sagt Berendt. Eine verbale Grätsche ist also längst nicht so verwerflich wie verängstigte Defensive.

Und noch etwas haben die Wissenschaftler festgestellt. Konzernclubs wie Bayer Leverkusen oder der VfL Wolfsburg werden von den Fans der Traditionsvereine schlichtweg ignoriert. „Für viele ist diese Gleichgültigkeit schlimmer als gehasst zu werden“, sagt Johannes Berendt.

Vielleicht will Julian Brandt durch seine Äußerung, auf die am Boden liegenden Kölner draufzutreten, also einfach nur ein wenig Aufmerksamkeit erregen. Um endlich gehasst zu werden. Wer weiß? Wenn die Forscher richtig liegen, müsste sein Kommentar vielen Kölner Fans schlicht egal sein. Für sie ist Leverkusen der ungeliebte Nachbar. Der Erzrivale heißt dagegen Borussia Mönchengladbach.

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