Et Hätz schleiht em Veedel„Sonnekinder“ bereiten sich auf Schull- und Veedelszöch vor

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Mer gondele noh Kölle: Die Veedelsgruppe „Sonnekinder“ persiflieren in dieser Session kaputte Straßen und verstopfte Brücken und nehmen auf das Seilbahnunglück Bezug. Alle Elemente werden in mehreren Monaten zusammen gebaut.

  • Die Veedelsgruppe „Sonnekinder“ hat den Traum vom Rosenmontagszug.
  • Auch andere Veedelsvereine wollen mit den Großen mithalten. Doch vor einigen Jahren befanden sich viele von ihnen in einer Krise.
  • Mittlerweile sind die Anmeldezahlen wieder deutlich gestiegen. Doch dieser Boom bringt nicht nur Gutes.

Köln – Große Träumen reifen zuweilen in Garagen. Und manchmal ist es der Traum vom Rosenmontagszug, wie bei Edmund Gau und seinen Freunden vom „Stammdesch Kölsche Sonnekinder“.

Ihr Refugium liegt in einem Hinterhof in Zollstock. Statt Motoröl und Winterreifen lagern hier Nähmaschine und Kreissäge. „Uns geht es um Brauchtumspflege und die sozialen Kontakte“, meint Elke Tombers, die Frau des Präsidenten, und wirft einen Blick auf die Kostüme. Die Arbeit schweißt zusammen.

Fokus auf den Veedeln

Das Festkomitee Kölner Karneval hat mit seinem Motto „Et Hätz schleiht em Veedel“ den Blick auf die emotionalen und organisatorischen Grundsteine Kölns gelegt – die Stadtteile. „In einer fortschrittlichen und an Globalisierung orientierten Welt stellen die Veedel eine Orientierung gebende Kleinzelligkeit dar“, sagt der Psychologe und Karnevalsautor Wolfgang Oelsner.

Noch vor einigen Jahren befanden sich gerade die traditionellen kölschen Veedelsvereine in einer tiefen Krise, die Anmeldezahlen für die Schull- un Veedelszöch gingen zurück, manche Vereine mussten für den Zug fusionieren, um die geforderte Teilnehmerzahl zu erreichen.

Renaissance der Veedelsvereine

Diese Zeiten scheinen vorbei. „Wir stellen eine Renaissance der Veedelsvereine fest“, konstatiert Willi Stoffel, der Zugleiter. Neben den Schulen werden 49 Veedelsvereine mitgehen. Inzwischen gibt es eine Warteliste für die Teilnahme.

Veedelsvereine und Stammtische – das klingt nach Kleinbürgertum und Piefigkeit. Nach Herrengedeck und Kegelbahn. Doch bei den „Sonnekindern“ besteht der Vorstand inzwischen größtenteils aus Mitt-Dreißigern. „Wir haben uns voriges Jahr deutlich verjüngt, die Resonanz ist auch bei den älteren Mitgliedern positiv“, schildert Vize-Präsident Alexios Jordanidis (34) das Vereinsgefüge. 

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Einmal im Monat kommen die Mitglieder im „Schmitze Lang“ auf der Severinstraße zusammen. In einer Kneipe im Belgischen Viertel ist die KG Hysteria entstanden, einer der jungen Vereine. Doch der Boom birgt auch Risiken. Zwei Vereine haben kurzfristig abgesagt. Die Herausforderung einer Zugteilnahme wird im Enthusiasmus oft unterschätzt“, hat Zugleiter Stoffel festgestellt.

„Zwischenmenschlich muss es passen“

Die „Sonnekinder“ haben sich die Aufnahmekriterien bei den großen Traditionskorps abgeschaut. Wer Mitglied werden möchte, muss erstmal hospitieren. „Zwischenmenschlich muss es passen“, erklärt Jordanidis.

Dank dieses Rezepts gibt es den Verein bereits seit 1972, gegründet wurde er einst von drei befreundeten Familien. Zum Vereinsleben gehören Wanderungen und eine Wochenend-Tour. „Und wenn jemand Hilfe beim Umzug braucht, wird geholfen“, sagt der Vize-Präsident.

Motto „Stroße verstopp, Bröcke kapott – Em Dunkele, em Helle, mer gondele vun Düx noh Kölle“

An einem Samstag im Februar werkeln 20 „Sonnekinder“ in den Garagen der Familie Weißnicht. Arbeitsteilung ist angesagt: Während Franz Weißnicht mit Pinsel und Farbe kleinere Ausbesserungen an den Wagen vornimmt, steht Neffe Michael an der Kreissäge, um Holzstücke zu schneiden. „Die Finger sind zum Glück noch alle dran“, sagt er grinsend. Für die Veedelszöch haben sie sich das Motto „Stroße verstopp, Bröcke kapott – Em Dunkele, em Helle, mer gondele vun Düx noh Kölle“ ausgedacht. Mit Höhenrettern und Gondeln wird der Zwischenfall an der Seilbahn 2017 persifliert.

Partnerschaften zwischen Veedelsvereinen und Mitglieds-Vereinen des Festkomitees

Etwa 8000 Jecke werden Sonntag durch die Stadt ziehen, die Strecke ist identisch mit der des Rosenmontagszugs, nur ein wenig kürzer. Ansonsten könnten die Unterschiede zwischen dem immer professioneller werdenden Karneval der großen Korps und Vereine und dem Karneval der Veedelsgruppen kaum größer sein.

Die „Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums“, die den Zug organisieren, streben Patenschaften zwischen etablierten und finanziell bestens aufgestellten Mitglieds-Vereinen des Festkomitees und kleinen Veedelsvereinen an. Die „Große Kölner“, mit mehr als 700 Mitgliedern der größte Karnevalsverein der Stadt, kümmert sich um die kleine „Klutengarde“ und zwei Schulen.

Fortlaufender Prozess

Spätestens im September kommen die mehr als 40 „Sonnekinder“ zusammen, um zwei Tage pro Woche an den Kostümen und Wagen für die Session zu basteln. Ab Aschermittwoch werden Ideen gesammelt. „Eigentlich ist das ein fortlaufender Prozess, auf der Jahreshauptversammlung im April legen wir uns fest“, erzählt Präsident Edmund Gau.

Jahr für Jahr arbeiten sie daran, nach dem Veedelszug als Gruppe gekürt und mit der Teilnahme am Rosenmontagszug belohnt zu werden. „Das wird ernst genommen“, stellt Jordanidis klar. Der Traum vom Zoch hat sich für den Verein schon mehrfach erfüllt.

Die Zöch

49 Schulen, 49 Veedelsvereine, 7200 Teilnehmer, Musiker, Ordner, hunderttausende Zuschauer: Sonntag ziehen die Schull- un Veedelszöch durch Köln. In diesem Jahr werden bei den Veedelsvereinen Preise für Kostüme und Originalität vergeben, dazu der „Goldene Lappenclown“ als Sonderpreis, so dass drei Sieger gekürt werden, die am nächsten Tag im Rosenmontagszug mitgehen dürfen.

Für Brigitte Kuhl ist die Bastelei in der Garage der „Sonnekinder“ Vergnügen und Ablenkung zugleich. Ihr Mann war einst Präsident des Vereins, inzwischen ist er schwer krank. „Das hier ist seine Herzensangelegenheit. Der Fortbestand der Tradition macht ihn stolz“, sagt sie. Auch sie selbst geht nicht mehr im Zug mit. Dennoch wird sie auch weiter in der Garage am gemeinsamen Traum arbeiten. 

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