FC-Stadion trauerteProzessbeginn nach Tod eines Straßenarbeiters auf A3

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Der Melaten-Friedhof in Köln.

  • Es geschieht am elften Spieltag der vorigen Fußballsaison, als Stadionsprecher Michael Trippel von seinen üblichen Moderations-Gewohnheiten abweicht.
  • Der 1. FC Köln empfängt an diesem Samstag im Oktober den FC Heidenheim, Zweite Liga.
  • Trippel senkt seine Stimme, kurz darauf erheben sich 50 000 Menschen von ihren Plätzen, um Fan-Club-Mitglied Dirk Gerlinger zu gedenken. Der Fan und hauptberufliche Straßenarbeiter wurde nur 48 Jahre alt.
  • Währenddessen sitzen Dirks Eltern daheim in Bergheim und wissen von nichts.

Köln – Nach diesem Spiel verbreitet sich die Nachricht vom tragischen Tod des Fans wie ein Lauffeuer. Am frühen Freitagmorgen hatte er mit seinen Kollegen der Firma Zeppelin eine Autobahnbaustelle auf der A 3 bei Holweide abgebaut, als ein Lastwagenfahrer (40) ungebremst in das Fahrzeug der Kolonne raste. Dirk Gerlinger hat keine Chance, er stirbt noch an der Unglücksstelle.

Zwei Tage später erhalten Dirks Eltern schließlich einen Anruf von Bekannten, die im Stadion die schreckliche Nachricht erfahren haben und kondolieren wollen. „Das war ein derartiger Schock für uns, das kann man sich nicht vorstellen“, erinnert sich Klaus Gerlinger (72), der Vater. 

Am heutigen Dienstag muss sich der Lastwagenfahrer vor dem Amtsgericht verantworten, Familie Gerlinger wird als Nebenkläger im Gerichtssaal sitzen. Die Eltern werden dort erstmals die Arbeitskollegen ihres Sohnes treffen, die nach dem Unglück Hilfe holten und neben ihrem Sohn knieten, als dieser starb. Mit einer Haft- oder Bewährungsstrafe für den Fahrer rechnen die Eltern nicht. „Das würde unseren Sohn auch nicht zurückbringen. Aber ich habe die Erwartung, dass die Fahrerlaubnis für eine Weile entzogen wird“, sagt der Vater. Die Auswertung des Fahrtenschreibers habe ergeben, dass der Mann in den Wochen vor dem Unfall 28 Mal das Tempolimit überschritten habe.

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Eine Begegnung, die Mus macht

Nicht nur der Tod ihres Sohnes wühlt die Familie immer wieder auf. Bis heute können es die Eltern nicht fassen, nicht von der Polizei über den tödlichen Unfall ihres Sohnes informiert worden zu sein. Nach Angaben der Polizei in Bergheim ist am Unfalltag um 14.40 Uhr eine Streifenwagenbesatzung zum Haus von Familie Gerlinger gefahren.

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Angeblich habe niemand geöffnet. „Wir waren zu dieser Zeit zu Hause“, sagt Klaus Gerlinger. Einen weiteren Besuch gibt es nicht. Klaus Gerlinger ist selbst Polizist gewesen. Rund 43 Jahre lang hat er Uniform getragen und auf der Wache in Sülz gearbeitet, die sich damals in der Remigiusstraße befand.

Am 3. März hat der Vater einen Beschwerdebrief an Staatssekretär Jürgen Mathies geschrieben, den er noch aus der gemeinsamen Zeit bei der Kölner Polizei kennt. Es folgt eine Einladung ins Innenministerium. „Solch ein emphatisches Gespräch habe ich selten erlebt, das war bärenstark“, schwärmt Gerlinger. Eine Begegnung, die den Eltern Mut gemacht hat. Zur Bewältigung der Ereignisse besuchen sie seit einigen Monaten einen Therapeuten. 

500 Trauergäste kommen zur Beerdigung

Am 23. November wäre Dirk Gerlinger 50 Jahre alt geworden. Seine Freunde aus dem Fanclub und aus einem Karnevalsverein in Holweide haben zu diesem Anlass das Geländer der Autobahnbrücke am Schlagbaumsweg geschmückt wie den Zaun im Stadion. Fahnen, Schals, ein roter Herzballon mit der 50 drauf. Die Eltern haben eine Metalltafel mit dem Foto ihres Sohnen auf der Brücke anbringen lassen. „Wir hatten Unterstützung von Polizei, Stadt und Landesbetrieb Straßen NRW. Die Tafel soll Mahnung und Appell sein“, sagt Klaus Gerlinger. Am Abend hatten 140 Freunde im „Schlagbaum’s Eck“ Geburtstag gefeiert. „Auch das hat uns sehr geholfen“, sagt der Vater.

Nach dem tragischen Unglück ist Gerlinger mit der Dauerkarte seines Sohnes ins Rheinenergie-Stadion gegangen. Oberrang Nord, hinter dem Tor. „Dieses Erlebnis war so emotional, dass ich zur Pause gehen musste“, erinnert er sich. Als Dirk Gerlinger auf Melaten beerdigt wird, pilgern 500 Trauergäste auf den Friedhof, darunter auch Stadionsprecher Michael Trippel und der damalige FC-Vizepräsident Markus Ritterbach. Inzwischen hat Klaus Gerlinger eine eigene Dauerkarte für den FC. Auf dem Platz seines Sohnes.

„Aufmerksamkeitsdefizit“ beim LKW-Fahrer

Dort, wo sich der Unfall auf der A3 ereignet hat, geht es einen halben Kilometer einfach geradeaus. Ohne Sichtbehinderungen. Ein Gutachter bescheinigt dem Fahrer des Lastwagens ein „Aufmerksamkeitsdefizit“. Nach eigenen Angaben sei er durch einen Blick auf den Tacho abgelenkt gewesen. „Mein Sohn wusste, dass sein Job gefährlich ist. Manchmal sind er und seine Kollegen beleidigt worden, manchmal seien auch Flaschen nach ihnen geworfen worden“, berichtet Gerlinger von den Schilderungen seines Sohnes. 

Wenn die Familie das Gericht heute verlässt, wird sich ein weiteres Kapitel der Verarbeitung schließen. „Für uns ist nichts mehr so, wie es mal war. Aber wir packen das“, sagt der Vater zuversichtlich.  

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