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Flüchtlinge gerettetKölner Schauspielerin half zwei Wochen lang im Mittelmeer

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Auch Kleinkinder hat Signe Zurmühlen bei ihrem zweiwöchigen Einsatz auf der „Sea Eye“ aus dem Mittlemeer gerettet.

Auch Kleinkinder hat Signe Zurmühlen bei ihrem zweiwöchigen Einsatz auf der „Sea Eye“ aus dem Mittlemeer gerettet.

Köln – Signe Zurmühlen kämpft mit den Tränen. Die Erinnerung an die vergangenen zwei Wochen sind noch frisch. Und das Erlebte verarbeitet niemand so einfach. Die 30-jährige Schauspielerin und Sprecherin aus Köln hat 14 Tage ehrenamtlich auf der „Sea-Eye“ gearbeitet, einem Schiff, dessen Crew auf dem Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Ertrinken rettet.

Rund 1000 Menschen, die meisten aus afrikanischen Ländern, aber auch aus Bangladesch und Syrien, hat Zurmühlen mit ihren Kollegen mit Wasser und Rettungswesten versorgt – innerhalb von nur zwei Wochen. Neben der „Sea-Eye“ sind noch viele weitere Rettungsschiffe in den internationalen Gewässern vor der Küste Libyens unterwegs. Sie alle sind mit der Seenotrettungsleitstelle (MRCC) in Rom per Funk verbunden. Das MRCC koordiniert alle Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer und kann auch größere Rettungsschiffe losschicken, damit die in Seenot geratenen Menschen gerettet werden. Die „Sea-Eye“ hat dafür nämlich keine Kapazitäten.

„Wir erklären den Leuten, dass wir da sind, um ihnen zu helfen“, sagt Zurmühlen. „Sie sind sehr verängstigt, haben Furchtbares in Libyen erlebt. Sie haben von Folter, Vergewaltigung und Erschießungen berichtet.“ Doch wenn sie der „Sea-Eye“ oder einem anderen Rettungsschiff begegnen, haben sie es erst einmal geschafft – sie sind in Sicherheit.

Auch wenn sich die Kölnerin schon seit anderthalb Jahren intensiv mit dem Thema Flucht beschäftigt – auf die Konfrontation mit völlig erschöpften Menschen, dehydrierten Kleinkindern und Schwangeren, die seit Tagen kaum etwas gegessen haben, konnte sich Zurmühlen nicht vorbereiten. „Das ist einfach krass“, sagt die Schauspielerin des Horizont-Theaters. Dicht an dicht sitzen bis zu 200 Menschen in einem Schlauchboot, die meisten dieser Gefährte hätten noch nicht einmal mehr einen Motor. „So ein Schlauchboot kann Italien nicht erreichen. Das geht nicht“, betont Zurmühlen. „Wenn wir diese Boote nicht finden, sind die Menschen an Bord verloren.“

Eine Achterbahn der Gefühle hat die 30-Jährige demnach hinter sich: Zwischen all dem Leid ist ihr bewusst, dass sie und ihre Kollegen vielen Menschen das Leben gerettet haben. „Doch was ist mit denen, die wir nicht gefunden haben?“, fragt sie sich. Während des Einsatzes habe sie sich stets zusammen reißen müssen. „Erst einmal muss man funktionieren. Wenn ich vor dem Boot in Tränen ausbreche, helfe ich keinem.“

Dass das zwischendurch gar nicht so leicht war, wird an einer der vielen Szenen deutlich, die Zurmühlen erlebt hat. Eine Frau sei ihr besonders in Erinnerung geblieben: „Ich versuchte die Menschen auf einem Boot zu beruhigen, dass bald ein Schiff kommt, das sie rettet. Und ich sagte ihnen, sie sollen sich möglichst ruhig verhalten, damit ihr Boot nicht kentert oder zurück Richtung Libyen driftet“, berichtet Signe. Plötzlich, bei diesem spezifischen Stichwort, sah eine Frau die Helferin mit großen Augen an und sagte auf Französisch: „Libyen ist der Tod.“

Zurück in Deutschland, nach all diesen Erfahrungen, kommt ihr der Alltag unwirklich vor: einkaufen, arbeiten, Kaffee trinken. „Es kommt dir alles so klein vor“, sagt sie mit leiser Stimme während draußen der nächste Platzregen niedergeht. Sich die Freude im Alltag allerdings zu verbieten, ist für Signe Zurmühlen keine Option – im Gegenteil. „Wir sollten uns viel mehr bewusst sein, was wir haben und unser Leben mehr wertschätzen.“ Ihr Engagement für Flüchtlinge will sie weiterführen, vielleicht fährt sie in einem Jahr noch einmal mit der „Sea-Eye“ hinaus, „wenn es dann immer noch sein muss“.

Verständnis für das Nichtstun der Europäischen Union hat sie nämlich keines. „Ich finde es furchtbar, dass Europa so wenig unternimmt“, sagt sie. „Ich kann das nur schwer ertragen, dass Freiwillige rausfahren und Menschen retten müssen, weil sie sonst sterben.“ Deshalb hat sie sich auch für die Mission von „Sea-Eye“ gemeldet, die sich übrigens nur über Spenden finanziert: „Man kann helfen, man muss es nur machen“, sagt sie überzeugt. Genauso wenig Verständnis hat sie allerdings auch für Politiker und Bürger, die dafür plädieren, die Flüchtlinge wieder zurück nach Libyen zu schicken – oder einfach „zur Abschreckung“ ertrinken zu lassen. „Menschen, die in Not sind, muss man helfen“, sagt Zurmühlen. Da gibt es für sie keinen Kompromiss. „Wir haben alle mehr als wir brauchen, selbst die, denen es schlechter geht als dem Durchschnitt.“ Vorwürfe, Rettungsmissionen wie die der „Sea-Eye“ würden mit Schleppern zusammenarbeiten, weist sie entschieden zurück. Es sei eine Sache, wenn man der Meinung ist, nicht helfen zu wollen oder zu können. „Aber anderen das Helfen verbieten zu wollen, macht mich fassungslos.“

www.sea-eye.org

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