Akt der NachhaltigkeitDiese Kölnerin bedruckt Taschen mit Einkaufszetteln

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Katharina Middendorf! (1)

Katharina Middendorf sammelt seit 16 Jahren Einkaufszettel.

Köln – Der erste Einkaufszettel, der Katharina Ulla Middendorf in die Hand fiel, war der ihrer Mutter. „Er lag auf dem Schreibtisch und hat mich sehr berührt. Sie ging gerne für die Familie einkaufen“, erinnert sich Middendorf. Es war das letzte schriftliche Dokument ihrer Mutter, ein Dokument, das privat bleibt, für Middendorf war es dennoch ein Impuls. Sie fing an, anonyme Zettel zu sammeln. 16 Jahre ist das her.

Für Middendorf sind Einkaufszettel Zeugnisse der zivilisierten Welt

„Ich finde sie auf der Straße, beim Einkaufen. Manche sind zerknittert, nasse Zettel bügel ich, pflege sie nahezu “, sagt Middendorf, die lange gar nicht wusste, was sie mit ihrer Sammlung anfangen soll. Es gibt hunderte, nicht nur in deutscher Sprache. Viele sind auf Spanisch, gar Chinesisch, andere sind in Sprachen oder Schriften verfasst, die nur der Urheber lesen kann. „Ist das Poesie, Grafik oder hat der Inhalt gar politischen Ausdruck?“, fragte sie sich. Auf einem Einkaufszettel steht neben Paprika, Gurke, Champignons, Mais auch Gemüse. Ist das eine Zusammenfassung?

Katharina Middendorf porträt

Einkaufen ist für Katharina Middendorf ein bewusster Akt.

Für die Einkäufer sind es „bloß“ Einkaufszettel – Middendorf sieht darin mehr: „Es sind Zeugnisse einer der wichtigsten Akte unserer zivilisierten Welt: Besorgungen erledigen und um Himmels Willen nichts vergessen!“, sagt sie und nennt sie deshalb auch „Dokumente anonymer Versorgungspartner“. Vor einem Jahr fing Middendorf an, sich ernsthaft mit ihrem Sammelsurium an Einkaufszetteln auseinanderzusetzen.

Zunächst bemühte sie die Literatur: Mehrere Autorinnen und Autoren haben sich mit der Kulturgeschichte des Einkaufszettels befasst. „Über die psychologische und auch orakelnde Wirkung dieser anonymen Information wurde sogar mehrfach wissenschaftlich konnotiert“, fand Middendorf heraus. Worauf schreiben die Einkäufer? Ist der Zettel strukturiert? Sind Fehler wichtig?

Taschen sollen zum Diskurs anregen

In letzter Zeit findet sich auf fast jedem Zettel, den Middendorf findet, das Stichwort Klo- oder Toilettenpapier. Selten richtig geschrieben. Ein anonymer Verfasser notiert „Toletenpapier“, ein anderer „Feuchttücher zum Kilopapier“. Die anonymen Dokumente werden rarer in der digitalen Welt. Kaum jemand macht noch den Kühlschrank auf und schreibt nieder, was wirklich benötigt wird. Middendorf möchte den Unterschied zwischen Konsum und konsumistischem Verhalten verdeutlichen. Ihre Idee: Die Einkaufszettel auf Einkaufstaschen abzudrucken. „Es muss ja nicht eingekauft werden, was plakativ auf der Tasche steht, aber es soll zum Diskurs anregen“, sagt sie.

Katharina Middendorf läuft

Unterwegs mit ihren selbst bedruckten Taschen am Rhein.

Wo kaufen Versorgungspartnerinnen und -partner ein? Und wissen sie, woher die Produkte stammen? Manche Zettel regen zur Diskussion – und die Fantasie an: Was ist wohl ein „Eisensalat?“ Brauchen wir alle ein „Hau-ab Spray?“ Oder warum schreibt ein Einkaufszettelschreiber „Eulen“ auf die Einkaufsliste, gleich neben Wodka? Derzeit probiert Middendorf verschiedene Prototypen aufgedruckt auf Biobaumwolltaschen aus. Sie ist mit mehreren Firmen im Gespräch. Klar ist: Die anonymen Dokumente müssen plakativ abgedruckt werden.

Teil des Erlöses soll gespendet werden

Middendorf bezeichnet ihre Freizeitbeschäftigung als ein künstlerisches Hobby. Das „Narrative“ soll transportiert werden, sonst könne sie, wie sie meint, die Taschen auch mit ihrer eigenen Kunst bedrucken. Zwar ist Middendorf eine bekennende „Taschentussi“, möchte aber nicht als Taschenmacherin verstanden werden. Für sie ist die Verbindung zwischen Manufaktur, Konzept und Vertrieb wesentlich interessanter. Ein Teil des Verkaufserlöses soll später dann selbstverständlich auch gespendet werden.

einkaufszettel middendorf

Ein Einkaufszettel. Bedruckt auf Taschen sollen sie zum Diskurs anregen.

Die passionierte Radfahrerin ist von Lövenich in die Stadt gezogen, hat bewusst ihr Auto verkauft und versucht, auch damit ein Zeichen der Nachhaltigkeit zu setzen – die sei schließlich schon lange keine Modeerscheinung mehr. Wenn auf einem Einkaufszettel beispielsweise „Nestkaffe für Andra!“ steht, sieht Middendorf in diesem hinterlassenen Zeugnis vor allem die Frage: Ist dieser Kaffee wirklich nachhaltig?

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„Auf einer Tasche abgedruckt, ist es vielleicht anregend, über unseren Konsum nachzudenken, ohne den Zeigefinger zu heben“, ist Middendorfs Hoffnung. Auch Nackensteaks von Tieren aus Massentierhaltung dürfen auf der Tasche aufgedruckt sein, aber nicht mehr im Einkaufswagen landen. „Wir müssen entscheiden, was wir einkaufen. Das können wir. Das ist ja das Schöne an einer Demokratie.“

Für Middendorf bedeutet ihr Hobby reinste Ästhetik. „Wir verbinden Ästhetik immer mit Schönheit. Dabei kommt das Wort aus dem Griechischen und bedeutet Wahrnehmung – und zwar mit allen Sinnen“.

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