ExperteAufbegehren gegen die Lebenslüge der katholischen Kirche ist verständlich

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Köln – Dem Vatikan sind die Hände gebunden, die Kirche kann viele Gläubige nicht halten: Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann über die Lage der katholischen Kirche. Segnungsgottesdienste für Homosexuelle, Frauenpredigten in katholischen Messen: Werden die deutschen Katholiken allmählich evangelisch? Andreas Püttmann: Es gibt längst ein implizites Schisma im Katholizismus. Die Menschen sind heute selbstbewusster als früher. Autoritäten oder aus der Tradition gewonnene Argumente überzeugen weniger. Kritiker der Entwicklung würden sagen: Man macht sich selbst zum Maßstab. Über theologische Inhalte kann man streiten, aber wenn man sich selbst ermächtigt, die Regeln außer Kraft zu setzen, nach denen die katholische Kirche funktioniert, dann verschärft das die Polarisierung und kann auch die Vorstufe zur Spaltung sein..

Nun haben die katholischen Gläubigen ja sonst keine Möglichkeit, auf diese Regeln Einfluss zu nehmen. Was sollen sie also machen?

In der Tat müssen sich die Gläubigen fragen: Ist Gehorsam wider die eigene Einsicht in jedem Fall moralisch geboten? Im Umgang mit Homosexuellen verletzt die Kirche einen eigenen Maßstab aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil, wo sie die relative Autonomie der Kultursachbereiche anerkennt, das heißt: Jeder Teil der irdischen Wirklichkeit hat seine eigenen Gesetze, die von Wissenschaftlern analysiert werden, und die Kirche muss aus diesen Analysen ihre ethischen Schlüsse ziehen. Man kann doch nicht so tun, als hätten wir beim Thema Homosexualität noch den Kenntnisstand von vor 50 oder 100 Jahren, als man das als Krankheit oder als Ausschweifung verstand.

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Die Wissenschaft lehrt uns, dass diese persönliche Disposition zu allen Zeiten und in allen Kulturen vorkam. Auch in der Natur. Sie gehört offenbar zur Schöpfung. Man kann diese Gruppe keinem Zwangszölibat unterwerfen. Die biblische Aussage, es sei nicht gut, dass der Mensch allein bleibe, ist fundamentaler als die dann beschriebene grundsätzliche Zuordnung von Mann und Frau. Grotesk wird das ganze dadurch, dass die Spatzen ja von den Dächern pfeifen, in wie hohem Maß der Klerus selbst homosexuell ist. Das Aufbegehren gegen diese Lebenslüge der katholischen Kirche ist verständlich.

Warum arbeitet sich die katholische Kirche so am Thema Sexualität ab?

Naja, das ist doch auch für viele Nichtkatholiken das „Thema Nummer 1“. Daran kann sich sogar Wohl und Wehe eines menschlichen Lebens entscheiden. Also ein legitimes Thema kirchlicher Verkündigung. Aber man macht es sich viel einfacher, als es Gott in seiner Größe und Empathie entspräche. Man kann nicht sagen: Pech für die Wirklichkeit, wenn sie nicht zu den kirchlichen Regeln passt. Hinzu kommt: Diejenigen, die über die Regeln entscheiden, haben eine extreme Form des Umgangs mit Sexualität gewählt, die völlige Enthaltsamkeit. Das kann bei manchen leider auch zu neurotischen Verhaltensweisen führen, etwa als homosexueller Kleriker besonders homophob zu sein.

Eine anderer Regelbruch ist die Frauenpredigt wie jetzt am Samstag …

Frauen können in der katholischen Kirche zahlreiche Top-Führungsfunktionen übernehmen: Theologieprofessorin, Generalsekretärin der Bischofskonferenz, Äbtissin, Hauptabteilungsleiterin, Akademiedirektorin. Und sie können Heilige werden. Die Frage der Frauenweihe lässt sich nicht unter Rückgriff auf Naturwissenschaften beantworten, sie ist originär theologisch, und ein heiliggesprochener Papst hat sie für endgültig entschieden erklärt. Darum kommt die Kirche nicht leicht herum. Eine Weihe zur Diakonin wäre eher denkbar. Beim Thema Predigt darf man aber darauf verweisen, dass auch Laien geistliche Begabungen haben. Wenn Frauen Priester mit ausbilden, dann werden sie doch wohl auch predigen können? Notfalls wählt man Lösungen wie die für Pastoralreferenten im Gottesdienst, als katechetische Unterweisung. Das geschieht ja auch schon.

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Aber reichen solche Kompromisse den unzufriedenen Gläubigen?

Innerlich hat die Kirchenleitung schon viele Gläubige verloren. Das implizite Schisma droht zum offenen zu werden. Wir wissen überdies aus Befragungen, dass viele Katholiken die kirchliche Lehre gar nicht wirklich kennen. Daraus folgt eine leichtfüßige Oberflächlichkeit. Am Ende glaube ich nicht, dass eine neue Kirche als Abspaltung entstehen würde, sondern eher, dass mehr Katholiken zu evangelischen oder zur alt-katholischen Kirche konvertieren. Das große Problem der globalen römisch-katholischen Kirche ist die kulturelle Ungleichzeitigkeit: Als sogenannter liberaler Katholik machen Sie in Afrika oder Osteuropa keine Schnitte, weder beim Thema Frauenweihe noch beim Thema Homosexualität.

Selbst wenn man es pragmatisch sieht, sind dem Vatikan die Hände gebunden. Er kann nur begrenzte Zugeständnisse machen, wenn die Weltkirche nicht auseinanderfliegen soll – und damit wird er viele deutsche Gläubige nicht halten können.

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