Interview mit Abu Azaitar„Ich lasse mich ungern schlagen“

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Sport erfordert Respekt und Disziplin, er kann einen Menschen verändern. Das hat Kampfsport-Profi Abu Azaitar am eigenen Leib erfahren. (Foto: Meisenberg)

Sport erfordert Respekt und Disziplin, er kann einen Menschen verändern. Das hat Kampfsport-Profi Abu Azaitar am eigenen Leib erfahren. (Foto: Meisenberg)

Köln – Abu Azaitar ist ein harter Bursche, der in diesem Altstadt-Café voller älterer Herrschaften auffällt. Harmlos hingegen seine Bestellung: ein Milchkaffee, ein stilles Wasser.

Jenseits Ihrer Kämpfe geben Sie Kurse zur Gewalt-Prävention. Was erzählen Sie dort?

Vor allem versuche ich zu vermitteln, dass Sport einen Menschen verändern kann, denn da geht es um Respekt und Disziplin. Und ich erzähle immer, dass man an sich glauben muss: Viele ahnen gar nicht, was für ein Potenzial sie haben.

Sie führen die deutsche Rangliste der Mixed Martial Arts (MMA) an. Was sind die Besonderheiten dieses Kampfsports?

Dass das von allem etwas ist. Du musst Judo-Techniken genauso beherrschen wie Thaiboxen oder Ringen. Aber auch Turnen und Yoga sollte man trainieren, man muss für MMA ungeheuer beweglich sein.

Abu Azaitar wurde 1986 in Köln als Sohn marokkanischer Einwanderer geboren. Er besuchte die private saudi-arabische König-Fahd-Akademie in Bonn. Nach dem Fachabitur glitt er in kriminelle Kreise ab und landete für dreieinhalb Jahre im Gefängnis.

Nach seiner Entlassung 2006 begann er mit Kampfsport und fand zum Mixed Martial Arts (MMA). Seit 2010 betreibt er den umstrittenen Sport professionell und führt inzwischen die deutsche Rangliste an. Europaweit gehört er zu den Top-Ten-Athleten.

Azaitar absolviert Benefiz-Veranstaltungen gegen Straßengewalt und führt Gewaltpräventions-Trainings durch. Er wohnt in Weiden. (img)

www.facebook.com/abuazaitar

Warum finden MMA-Fights in einem Käfig statt?

Die meisten Leute glauben, der Käfig soll das Spektakel verstärken: Da werden jetzt zwei Wilde aufeinander losgelassen, und nur einer kommt wieder raus. In Wirklichkeit schützt mich das Käfignetz davor, durch die Seile zu fallen.

Ihr Kampfname ist „Gladiator“. Wo kommt der her?

(lacht) Den habe ich von meinem Bruder Omar. Er und auch später mein Trainer haben immer daran geglaubt, dass ein guter Sportler in mir steckt. Bei meiner ersten Veranstaltung habe ich fast ohne Vorbereitung und Erfahrung alles gewonnen, was zu gewinnen war. Und seitdem heiße ich so.

Was ist der Unterschied zwischen Kämpfen auf der Straße und Kämpfen im Ring?

Auf der Straße geht alles schneller. Da gibt’s keine Regeln, und es kommt auch nicht so sehr auf die Technik an. Wenn einer ein erfahrener Schläger ist, setzt der sich durch. Im Ring hingegen gibt es Regeln, Respekt und eine Kampfzeit, die eingehalten wird. Ich bevorzuge inzwischen ganz klar den Ring.

Fühlt es sich anders an, wenn man jemanden im Ring besiegt?

Na klar. Auf der Straße kriegst du keine Anerkennung, sondern Kopfschmerzen, Probleme und unter Umständen eine Anzeige. Ein sportlicher Sieg dagegen bringt dir Lob ein, davon wird berichtet, und du fühlst dich gut. Damit wird die harte Arbeit anerkannt, die du im Vorfeld geleistet hast.

Würde mich jemand schlagen, empfände ich das als Demütigung.

Ich genauso, auch im Ring lasse ich mich ungern schlagen. Aber ich habe einen gut funktionierenden Tunnelblick. Ich freue mich auf jeden Kampf im Käfig. Wenn der zugeht und der Referee fragt, ob Blue und Red Corner bereit sind: Das ist ein großartiges Gefühl. Mike Tyson hat mal gesagt: Fürchte dich nicht vor Leuten, die was drauf haben, sondern vor denen, die daran Spaß haben.

Wie gehen Sie mit Niederlagen um?

Die muss man vor allem psychisch verkraften. Vorher warst du vielleicht hoch angesehen und standest überall im Mittelpunkt, und plötzlich kommen sie aus allen Löchern und lachen dich aus. Aber man muss damit umgehen lernen und umso stärker zurückkommen.

Können Sie sich an ihre ersten Prügeleien als Kind erinnern?

(lacht) Ich und meine Brüder Omar und Khalid, wir haben uns immer geprügelt. Als dann unser jüngster Bruder Ottman größer war, haben wir auch gern zwei Gangs gebildet und gegeneinander gekämpft.

Ihre Schule war die private König-Fahd-Akademie in Bonn. Hatten Sie Lieblingsfächer?

Na ja, in Chemie war ich ganz gut und natürlich in Sport. Aber ehrlich gesagt, ich habe auch in der Schule viel Mist gebaut. Eigentlich habe ich nur meinem Vater zu verdanken, dass ich Abitur gemacht habe. Der hat uns zwölf Jahre lang nach Bonn gefahren und nachmittags wieder abgeholt.

Stimmen die Knast-Klischees, die man aus Filmen kennt? Muss man sich dort körperlich durchsetzen?

Vor allem im Jugendknast geht es sehr hart zu, da herrscht eine brutale Hierarchie. Und das wird heutzutage immer schlimmer, nicht zuletzt wegen dem ganzen medialen Wahnsinn, den Jugendliche heute mitbekommen. Ultrabrutale Videospiele, echte Gewaltvideos, Pornografie: Das ist alles mit einem Klick zugänglich.

Und wie war’s bei Ihnen?

Als mein Bruder und ich 2003 einfuhren, haben wir schnell Kontakte aufgebaut. Eine unserer Rollen war, Beschützer für die deutschen Gefangenen gegenüber einigen skrupellosen Ausländergruppen zu sein.

Wie reagieren Wärter und Anstaltsleiter auf solche Zustände?

Natürlich gibt es Strafen, wenn etwas auffliegt. Aber die meisten Gefangenen trauen sich nicht auszusagen, weil sie danach Ärger kriegen würden. Und auch die Wärter kehren vieles unter den Teppich. Die sagen sich: Ich muss mit diesen Leuten unter Umständen drei, vier Jahre auskommen, das lasse ich jetzt so laufen, solange es nicht völlig eskaliert.

Ich war mal wegen eines Tischtennis-Wettkampfs in der JVA Siegburg, wo Sie auch eine Zeitlang gesessen haben. Das ist ein trostloses Backsteingebäude.

Der alte Teil von Siegburg ist wirklich eine Zumutung. Da hat man einfach keine Perspektive. Alles kreist um Verbrechen, alle um dich rum prahlen mit ihren Taten, und was da an Anti-Aggressionstraining läuft, ist alles nur Alibi. Allerdings gab es da auch einen Mann, dem ich viel verdanke: Karl-Heinz Lichtenberg, dem Sportkoordinator der JVA. Wir machen auch heute noch so manche Benefiz-Sache zusammen.

Haben Sie nach Ihrer Flucht aus Köln 2003 tatsächlich überlegt, in die Fremdenlegion einzutreten?

Ich war praktisch schon dabei, weil ich dachte, alles ist besser, als in den Knast zu gehen.

Aber?

Der Mann hat mir im Einstellungsgespräch Dinge erzählt, über die er eigentlich hätte schweigen müssen. In der Fremdenlegion sind deine Kontakte zur Außenwelt komplett gekappt. Da wirst du zur Mordmaschine ausgebildet, die machen Sachen jenseits jeder Moral und Legalität. Also habe ich mich dann doch der deutschen Justiz gestellt.

Ihre Eltern sind als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen.

Ja, vor über 40 Jahren. Ich hingegen bin ein echter Kölner: in Holweide geboren und in Dellbrück aufgewachsen.

Ein sehr bürgerliches Viertel.

Ja, auf die schiefe Bahn bin ich erst später gekommen. Da wohnten wir schon in Weiden, auch ein sehr ordentlicher Vorort. Aber ich habe mich ab meinem 16., 17. Lebensjahr viel auf den Ringen rumgetrieben, in Discos und so. Zu viel.

Ist Köln für Sie, als Mensch und als Sportler, wichtig?

Natürlich, das ist meine Heimatstadt! Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich kenne hier jede Gasse. Köln wird immer ein Teil von mir bleiben.

Nach dem Interview stellen Abu Azaitar und ich uns auf zum gemeinsamen Foto, das immer ein bisschen an die Aufstellung zweier Boxer erinnert. Und was passiert? Der Mann, der gewohnt ist, in diesen Situationen hochkonzentriert und entschlossen Augenkontakt zu halten, muss lachen.

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