Interview mit Comedian Michael Kessler„Über Comedy rümpfen viele Kollegen die Nase“

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Geerdet und gerne im Park im Kölner Süden: Michael Kessler 

  • Michael Kessler ist Schauspieler und Comedian.
  • Im Gespräch mit Bernd Imgrund erzählt er, welche Parodie ihm misslungen ist und warum politische Korrektheit nerven kann

Das Treffen mit Michael Kessler findet im Marienburger Südpark statt. Große alte Bäume, nicht minder große Villen, herbstliches Licht. Und die elegante Panther-Skulptur am Westende des Parks.

Warum treffen wir uns hier?

Ich bin ein großer Fan des Kölner Südens und habe lange in einem Haus in der Elsaßstraße gelebt. Da wohnten schon Christoph Maria Herbst und Bettina Lamprecht, später kam noch Bastian Pastewka dazu. Ich mag es gern gemischt, das passte also für mich in der Südstadt.

Welche Leistungskurse hatten Sie?

(lacht) Englisch und Gemeinschaftskunde.

Warum letzteres?

Weil ich ein ziemlich mittelmäßiger Schüler war. In den Naturwissenschaften war ich ein Totalausfall, aber in Gemeinschaftskunde kam man mit ein bisschen Interesse und Rhetorik ganz gut durch.

Früher nannte man so etwas ein „Laberfach“.

Kommt ungefähr hin, ja. Obwohl mich Themen wie die Weimarer Republik durchaus interessiert haben.

Sie waren in der Theater AG. Welche Rollen sind Ihnen in Erinnerung?

Alle! Meine ersten Rollen mit 16 waren der Pfarrer und der Zugführer im „Besuch der alten Dame“ von Dürrenmatt. Später war ich dann noch der Geizige von Molière, der Vater der Braut in Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ und der Mackie Messer der „Dreigroschenoper“. Ich war allerdings zunächst nur widerwillig in die AG eingestiegen.

Zur Person

Michael Kessler wurde 1967 in Wiesbaden geboren. Von 1988 bis 1992 studierte er an der Westfälischen Schauspielschule Bochum. Erste Bekanntheit errang er durch seine Rolle als „Klausi“ in der Erfolgskomödie „Manta, Manta“.

Sein komödiantisches und parodistisches Talent kam ab 1997 in der TV-Serie „Switch“ zum Tragen, die in „Switch Reloaded“ und „Binge Reloaded“ (seit 2020 auf Amazon Prime) ihre Fortsetzung fand. Kessler war im Ensemble von Shows wie „Schillerstraße“ und „Pastewka“, hatte eigene Serien wie „Kessler ist …“ und „Kesslers Expedition“. Außerdem wirkte er in zahlreichen Filmen mit, darunter „Hui Buh“, „Vampirschwestern“ und „Er ist wieder da“. Zusätzlich arbeitet er als Theaterregisseur, Autor und Moderator. Er gewann unter anderem den Deutschen Comedy- und den Grimmepreis.

Michael Kessler wohnt seit 2003 im Kölner Süden.

Wodurch änderte sich das?

An meinem ersten Tag dort drehten die einen Super 8-Experimentalfilm auf dem Schulhof. Fand ich irre, total durchgeknallt. Und ich merkte: Das ist ein Kanal für meine Phantasie. Da ging für mich eine Tür auf.

Sie waren nach dem Abitur an der berühmten Schauspielschule Bochum. War direkt Ihre erste Bewerbung erfolgreich?

Ich wollte an eine staatliche Schauspielschule und habe mich an allen neun beworben, die es damals in Westdeutschland gab. Vier Mal bin ich dann durchgeflogen, jeweils in der ersten Runde.

Was war Ihr bitterster Moment?

Die allererste Prüfung in Essen an der Folkwangschule. 1000 Bewerber, zehn werden genommen, aber ich dachte damals, das mache ich mit links. Nach meinem Vorspiel herrschte betretenes Schweigen. Es war schrecklich! Einer der Dozenten fragte mich: „Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie Schauspieler werden möchten?“

Wie fühlten Sie sich danach?

Ich war am Boden zerstört und dachte, ich werde Schreiner, Reiseverkehrskaufmann oder sonst was völlig anderes. Aber nach ein paar Tagen habe ich mich wieder berappelt. Ich wusste, das wird ein schwerer Weg, aber ich wollte ihn hundertprozentig gehen. Und beim fünften Anlauf hat es dann in Bochum geklappt.

Was lernt man an einer Schauspielschule eigentlich – und was nicht?

Die Schauspielerei ist ein Handwerk, und das lernt man auf einer guten Schule. Was man mitbringen muss, sind die Nerven, den Durchhaltewillen und die Bodenhaftung bei Erfolg und Misserfolg. Dieser Beruf verstärkt alles Positive und Negative, da muss man sehr aufpassen.

Inwiefern?

Viele jungen Leute machen sich ganz falsche Vorstellungen. Das ist eben nicht alles Party und Roter Teppich, Kinofilm und Weltkarriere. Schauspieler zu sein – und zu bleiben – heißt, einen steinigen, langen Weg mit vielen Entbehrungen und enormer Disziplin zu gehen. Ganz abgesehen vom notwendigen Talent, das schon auch dazugehört.

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Wie merkt man, dass man witzig ist?

Der Klassenclown war ich nicht. Aber in der Theater AG kam heraus, dass ich offenbar ein komisches Talent habe. Ich konnte die Leute mit meinem Spiel zum Lachen bringen.

Wie weit ist es von Molière und Brecht zu „Manta, Manta“, der Erfolgskomödie von 1991, die Sie bekannt machte.

Gar nicht weit. Über Comedy rümpfen viele Kollegen die Nase. Aber ist es das schwierigste Genre. Es ist viel leichter, den Saal zum Weinen zu bringen als zum Lachen.

Werden Sie noch „Klausi“ genannt?

Ganz oft, klar, die Rolle wird mich wohl bis in die Grube begleiten. Aber diese lange Nachwirkung ist natürlich toll, was Schöneres kann ich mir als Künstler doch nicht wünschen.

Switch (1997−2000), Switch Reloaded (2007−2012) und seit 2020 Binge Reloaded: Wie würden Sie einem Alien dieses Format beschreiben?

(lacht) Ich würde ihm sagen: Es gibt auf dieser Welt berühmte Menschen, die machen Fernsehen, Politik oder Sport. Und die nehmen wir auf die Schippe, indem wir uns in die verwandeln.

Politische Korrektheit und die gesteigerte Form, die Wokeness, machen Ihren Job nicht einfacher.

Die Empfindlichkeiten sind heutzutage sehr groß, und zum Teil ist das ja auch durchaus berechtigt. Sich für einen Sketch schwarz anzumalen, geht nicht mehr. Dennoch brauchen wir in der Satire und Comedy Freiheiten – mit der Schere im Kopf kann man weder schreiben noch spielen.

Welche Rolle spielt dabei das Fernsehpublikum?

Wir kriegen inzwischen nicht nur politische Empörung zu spüren, sondern auch Reaktionen à la: Wie könnt Ihr dem Silbereisen gegenüber nur so gemein sein. Da winkt ein Bildungsproblem − viele Menschen verstehen Satire gar nicht mehr.

So mancher Zuschauer kann um keine einzige Ecke denken und nimmt Ihre Rollenspiele 1:1.

Genau. Als ich für „Switch Reloaded“ Adolf Hitler spielte, wurde ich als Nazi beschimpft.

Was ist der künstlerische Reiz bei einer Parodie?

Man muss die Eigenarten und Schwachpunkte des Parodierten entdecken. Das kann ein kleiner Sprachfehler sein, eine wiederkehrende Geste – was auch immer. Und das verstärkt man dann in der Parodie. Schauen Sie sich nur an, wie Günther Jauch seine Moderationskarten hält oder Peter Klöppel die Augen aufschlägt.

Nämlich?

Er braucht dafür ungewöhnlich lange. Und wenn dann Leute sagen, ich kann den auf RTL nicht mehr sehen, ohne an dich zu denken, dann ist das für mich ein großes Lob.

Wer ist Ihnen so richtig misslungen?

Guido Cantz und Oliver Pocher sind völlig in die Hose gegangen. Ich sah weder aus wie die noch hörte ich mich so an. Merkt man meistens schon recht früh, das ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Im schlimmsten Fall erkennt der Zuschauer nicht mal, wer da überhaupt parodiert wird. Das ist dann die Bankrotterklärung.

Gerät man mit Comedy künstlerisch auf die schiefe Bahn?

Ein altes Thema: Bin ich dann für immer die Comedy-Nase und bekomme keine seriösen Rollen mehr? Ja, da ist ganz klar etwas dran. Die Phantasien der Sender und Caster sind oft sehr beschränkt. Aber auch der Zuschauer nimmt einem bestimmte Rollen nicht mehr ab, das muss man als Künstler leider akzeptieren.

Aber wenn Sie die Möglichkeit hätten. Lieber Tatort-Kommissar oder Traumschiff-Kapitän?

(lacht) Traumschiff-Kapitän, wegen der tollen Reisen, die man da machen kann. Aber das Drehbuch würde ich wohl selber schreiben.

Sind Sie zufrieden mit Ihrer Karriere?

Oh ja! Ich bin sehr dankbar für das, was mir widerfahren ist. Es gibt furchtbar viele Schauspieler, die von dem Beruf nicht leben können, die irgendwann scheitern und den Beruf aufgeben. Ich hingegen darf mir im Moment die Projekte aussuchen, darf mitgestalten und -schreiben. Das ist ein ganz großes Geschenk.

Sollte man als Künstler überhaupt zufrieden sein?

Irgendwann ja. Man muss über die Jahre in der Lage sein, einen gewissen Abstand zu diesem Beruf zu entwickeln. Mit 90 möchte ich nicht mehr auf der Bühne stehen.

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