Interview mit Gregor Stiels„Ich fühle mich vor allem als Christ“

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Gregor Stiels

Köln – Gregor Stiels ist seit 2018 Vorsitzender des Katholikenausschusses in Köln. Bernd Imgrund sprach mit dem Rektor einer Buchheimer Grundschule aber nicht nur über Kirchenthemen.

Der Grundschullehrer Gregor Stiels kommt direkt von seiner Arbeitsstelle ins nahe gelegene Café Vreiheit in Mülheim. Da ergibt sich die erste Frage von selbst, auch wenn sie normalerweise Pennälern gestellt wird.

Wie war es heute in der Schule?

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(lacht) Schön war es. Als Schulleiter unterrichtet man nicht mehr so oft, aber heute durfte ich Schwimmunterricht geben.

Also sucht man sich als Rektor die nettesten Fächer aus?

Nun ja, ich bin ausgebildeter Sportlehrer, deshalb lag das nahe. Aber das Schwimmen ist schon deshalb interessant, weil es in der Kultur vieler unserer Kinder nicht verankert ist. Von den anfänglichen Ängsten bis zu den frühen Erfolgen: Der erste Besuch eines Schwimmbades läuft oftmals über uns.

Sie treffen also auf viele muslimische Nichtschwimmer?

Ja, klar. Und auf Eltern mit Ängsten und Vorbehalten etwa in Bezug auf Kleidungsvorschriften.

Wie gehen Sie mit Weigerungen um?

Indem wir Gespräche führen! Wir reden mit den Eltern, erklären ihnen, welche Möglichkeiten es in Sachen Kleidung gibt. Den rechtlichen Rahmen sprechen wir ebenfalls an: Die Teilnahme am Schwimmunterricht ist Pflicht. Und schließlich appellieren wir auch an die Vernunft der Eltern, denn schwimmen zu können, kann unter Umständen das Leben retten. In 15 Jahren ist es mir erst ein Mal passiert, dass Eltern mit Attesten versuchten, ihre Kinder am Schwimmen zu hindern.

Was hat Sie in der letzten Zeit besonders gefreut in der Schule?

Zuletzt haben eine persische und eine türkische Mutter das St.-Martinsfest vorbereitet – samt Weckmännern, Laternenumzug und Martinsfeuer.

Ist es Ihnen als engagierter Katholik egal, wenn das Fest nur des Festes wegen und ohne den religiösen Hintergrund gefeiert wird?

Nein, darum geht es für mich nicht. Diese Frauen demonstrieren damit ihre Wertschätzung unserer Traditionen. Empathie ist wichtig für den konstruktiven Umgang miteinander. Genauso feiern wir das Zuckerfest mit den muslimischen Kindern der Schule.

In der GGS An St. Theresia werden 200 Kinder aus 40 Ländern unterrichtet. Was meint in diesem Zusammenhang das Wort „Interreligiosität“?

Das fängt mit der schlichten Wahrnehmung des Anderen, Andersgläubigen an. Viele türkische Kinder denken, dass Muslime nur aus der Türkei kommen.

Das dachten die Erbauer der Kölner Moschee auch.

(lacht) Und dann sind diese Kinder ganz überrascht, dass da auch Schüler aus anderen Ländern dieselben Feste feiern. Interreligiosität heißt aber auch, dass da ein Sikh-Junge mit Turban in die Schule kommt und wir versuchen zu verstehen, was das bedeutet.

Der Turban ist im Gegensatz zum Kopftuch erlaubt?

Ja, aber das kommt auch aus ganz anderen Zusammenhängen. Gerade dieses Kind hat mit Ausgrenzung und Einengung zu kämpfen, da haben wir schon sehr viele Gespräche führen müssen. Kopftücher sind bei uns, weil Grundschule, zum Glück noch kein Thema.

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Gregor Stiels (rechts) beim Dreikönigsempfang im Maternushaus im Januar.

Als ich klein war, unterrichtete der Veedelspfarrer Religion. Wie läuft das an Ihrer interreligiösen Schule?

Christen sind bei uns ganz deutlich in der Minderheit. Von 200 Schülern nehmen 40 am Religionsunterricht teil, von denen wiederum nur zwei wirklich religiös-christlich sozialisiert sind.

Und sind die dann wenigstens katholisch wie Sie?

Einer der beiden ist evangelisch, der andere Zeuge Jehovas. Natürlich würden wir auch gern muslimischen Religionsunterricht anbieten. Es existieren viel zu viele Missverständnisse und zuviel zum Teil gefährliches Halbwissen auf allen Seiten. Aber dafür finden sich schlichtweg keine Lehrer, schon gar nicht an einer Schule wie der unsrigen.

Nächste Woche beginnt die Adventszeit. Wie begehen Sie die an Ihrer interreligiösen Schule?

Jeden Montag findet in der Aula eine Adventsfeier statt. Da entzünden wir die Kerze und singen zusammen Lieder. Außerdem feiern wir sehr intensiv den Nikolaus. Der Tannenbaum wird wiederum von muslimischen Eltern besorgt und geschmückt.

Welche Ziele haben Sie sich gesteckt, als Sie im März letzten Jahres zum Vorsitzenden des Kölner Katholikenausschusses gewählt wurden?

Der „Pastorale Zukunftsweg“ ist ein Forum des Erzbistums, das den Dialog der Katholiken auf allen ebenen vorantreiben will. In diesen Prozess will ich unsere Stimme einbringen. Aber ich sage Ihnen gern: Das sind dicke Bretter, die ich da bohre.

Mal lapidar formuliert: Der Katholikenausschuss ist auf vielen Ebenen beratend beteiligt, hat aber im Grunde nichts zu kamellen.

Genau so ist es! Ich habe extra noch einmal nachgefragt, ob wir als Vertreter der Kölner Katholiken wirklich weiterhin von allen Entscheidungen ausgeschlossen bleiben sollen. Offenbar ist das so gewollt, und damit bleiben auch die Probleme bestehen. Beraten wird zwar sehr breit, aber die Entscheidungen werden auch für uns vollkommen intransparent getroffen.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Wir diskutieren immer wieder die heißen Eisen wie Ökumene, Beteiligung der Laien, Rolle der Frau, Homosexualität in der Kirche und so weiter. Und dann formuliert das Erzbistum eine Zielskizze, in der all diese Themen nicht vorkommen. Wir wissen nicht, wieso. Wir wissen nicht einmal, wer die Themen an welcher Stelle rausgenommen hat aus dem Katalog.

Treffen Sie Kardinal Woelki im Rahmen eines festen Stammtisches?

Nein. Seit ich im Amt bin, habe ich versucht, Kontakt aufzubauen. Man stellt sich doch einander vor, habe ich mir gedacht. Aber ich bin bislang immer abgewimmelt worden, etwa mit dem Verweis, dann müsste der Kardinal ja auch mit allen Katholikenräten sprechen. So viele sind das übrigens gar nicht...

Was, glauben Sie, steckt hinter dieser Ablehnung?

Ich glaube, die Bistumsleitung lebt in einer Blase. Da ist man nicht mehr auf der Höhe der Zeit und der Wissenschaft. Das Erzbistum wird regiert von einem kleinen, intakten Machtzirkel, der an einer Öffnung nach außen anscheinend nicht interessiert ist. Diese Leute sind sehr weit weg von den Menschen und wissen nicht, wie vor Ort gedacht und diskutiert wird.

Anderthalb Ihrer ersten vier Jahre sind vorüber. Glauben Sie, die Stiels-Ära könnte eine erfolgreiche werden?

(lacht) Ich hoffe es zumindest. Ich habe lange gebraucht, mich in diesen zig Gremien, Arbeits- und Gesprächskreisen zurechtzufinden. Zumal ich ja eine Schule leite und der Vorsitz im Katholikenausschuss ein Ehrenamt ist. Was ich tatsächlich anstrebe, ist, über die Beratungsprozesse hinaus auch in Entscheidungen innerhalb der Kirche eingebunden zu werden.

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Wachen Sie morgens auf und sind Katholik?

Das würde mich in meiner Ganzheitigkeit ein bisschen einschränken. Aber was ich tue, im Beruf wie im Ehrenamt, ist sehr stark von meinem Glauben geprägt. Natürlich bin ich Katholik, aber ich möchte betonen, dass ich mich dabei vor allem als Christ fühle, als Teil der christlichen Gemeinschaft.

Können Sie mit dem Begriff „kölsch-katholisch“ etwas anfangen?

Ja. (lacht) Das hat eine sehr pragmatische Komponente und ist weit weg von jedem Fundamentalismus. Ein kölscher Katholik wahrt eine gewisse Distanz, legt aber zugleich viel Wert aufs Dabeisein.

Wie begegnet Ihnen diese Einstellung im Alltag?

Indem zum Beispiel ein mir befreundeter Priester ein homosexuelles Pärchen segnet, obwohl er dafür Ärger bekommen würde, wenn das rauskäme.

Ist es okay, die FC-Hymne im Dom singen zu lassen, wie Kardinal Woelki das vor einigen Jahren erlaubt hat?

Finde ich super! So etwas verknüpft die Leidenschaft der Menschen mit der Kirche, die so in die Gesellschaft hineinragt. So muss das sein!

Für den FC zu beten: Ist das kölsch-katholisch oder Quatsch?

Ich würde es nicht tun, es gibt Wichtigeres, für das man beten sollte. Da muss es einem schon verdammt gut gehen, wenn er für seinen Fußballclub betet. Aber sagen wir so: Angesichts der sportlichen Situation und wenn es jemandem wirklich eine Herzensangelegenheit ist – warum nicht?

Existieren die „Hohlen Fritten“ noch?

(lacht) Oh la la, das war ein FC-Fanclub, den ich mit Freunden um die Jahrtausendwende während eines Skiurlaubs gegründet habe. Es gibt uns noch, aber wir sind nicht mehr sonderlich aktiv.

Und Sie selbst?

Damals sind wir zu vielen Auswärtsspielen gefahren. Und einige Jahre war ich Dauerkartenbesitzer in Müngersdorf. Aber inzwischen fehlt mir dazu einfach die Zeit.

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