Interview mit HistorikerKarl Ubl ist Fachmann für Kölns große Zeit im Mittelalter

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Beim Eintauchen in den kölschen Lokalpatriotismus ist er vorsichtig: Karl Ubl ist Fachmann für Kölns große Zeit im Mittelalter.

Beim Eintauchen in den kölschen Lokalpatriotismus ist er vorsichtig: Karl Ubl ist Fachmann für Kölns große Zeit im Mittelalter.

  • Karl Ubl arbeitet an einem Buch ein Buch zur Kölner Stadtgeschichte des 5. bis 11. Jahrhunderts.
  • Das Buch wird vor allem auf archäologischen Quellen beruhen, und da existiert ein großer Fundus.
  • Bernd Imgrund sprach mit dem Mittelalterhistoriker über die mittelalterlichen Spuren in Köln.

Köln – Sein Büro liegt im vierten Stock des Philosophikums am Albertus-Magnus-Platz. Um 500 herum hätte Professor Karl Ubl damit weit vor den Toren der Stadt gearbeitet. Die reichte nämlich gen Westen nur bis zum heutigen Neumarkt.

Sie waren bis Ende Januar in Princeton an der Universität. Was haben Sie dort gemacht?

Mich mit der Kölner Geschichte beschäftigt! Ich arbeite als Historiker die archäologischen Funde der letzten dreißig Jahre auf, das ist ungeheuer spannend. Daraus wird dann auch ein Buch zur Kölner Stadtgeschichte des 5. bis 11. Jahrhunderts entstehen.

Sie haben auf Ihrem akademischen Weg Heidelberg, Tübingen und Göttingen kennengelernt – all diese mittelalterlichen Universitätsstädte. Welche war am interessantesten?

Köln natürlich! (lacht) Das war die bedeutendste Metropole des Mittelalters, die größte Stadt mit dem bedeutendsten Quellmaterial. Die mittelalterliche Prägung Kölns besteht bis heute – manifestiert durch die romanischen Kirchen, die erhaltenen Stadttore, aber auch durch das hohe Interesse der Kölner am städtischen Mittelalter.

Inwiefern beeinflusst der Einsturz des Stadtarchivs Ihre Arbeit am angesprochenen Buch?

Zum Glück nicht allzu sehr, weil es um die Zeit vor der vermehrten Schriftlichkeit geht. Das Buch wird vor allem auf archäologischen Quellen beruhen, und da existiert ein großer Fundus. Ein Geschenk für Archäologen und Historiker war der Bau der Tiefgarage unter dem Heumarkt 1996 bis 1998.

Rundherum ist durch die Unterkellerung neuer Häuser vieles verloren gegangen. Der Heumarkt jedoch war seit seiner Anlage im Jahr 950 unangetastet geblieben. Das war ein reicher Schatz, der unser Bild vom frühmittelalterlichen Köln in mancher Hinsicht grundlegend verändert hat.

Zum Beispiel?

Bis dahin war man davon ausgegangen, dass sich Köln nach der Völkerwanderung im 5. Jh. zu einer Art Geisterstadt entwickelt habe. Die Funde am Heumarkt jedoch belegen, dass dort weiter gelebt und Handel getrieben wurde. Und das, obwohl der Heumarkt ja eigentlich jenseits der römischen Stadtmauer auf der verlandeten Rheininsel lag.

Was zeigen Sie Freunden aus Wien, die hier zu Besuch kommen?

Als erstes immer gern die Knochenkammer von St. Ursula. Der Raum selbst ist zwar nicht mittelalterlich, aber sehr wohl der Kult, der um Ursula im 10. Jahrhundert in Köln entstand. Dass dort 11 000 Jungfrauen das Martyrium erlitten hätten, ist einfach eine faszinierende Geschichte. Ich war vor kurzem in Lissabon, im dortigen Dom, und was finde ich da? – Eine Ursula-Reliquie aus Köln! Diese Legende wurde von hier aus in ganz Europa verbreitet und sagt viel aus über das Kölner Selbstverständnis.

Haben Sie den Eindruck, dass die Heimatbesoffenheit in Köln besonders stark ausgeprägt ist?

Die ist in Köln nicht unbedingt ausgeprägter, aber sie hat einen anderen Fokus. In Wien identifiziert man sich mit den Habsburgern, mit dem einstigen Imperium. Köln hingegen, mit seiner Geschichte als Bürgerstadt, ist sehr stark auf sich selbst bezogen. Außerdem ist es in Wien sehr schwierig, Wiener zu werden, während Köln von der Integration lebt.

Gab es im Mittelalter schon so etwas wie Lokalpatriotismus?

Um 800 herum taucht erstmals die Rede von Köln als „heiliger Stadt“ auf. Das ist ein Markenzeichen, das Köln bis ins 19. Jahrhundert anhing, damit wurden sogar die hier geprägten Münzen beschriftet. Köln sortierte sich da ganz selbstbewusst direkt hinter Rom und Jerusalem ein. Und im Zusammenhang damit lassen sich dann auch diese Legendenbildungen um Ursula oder auch den heiligen Gereon einordnen. Mit deren Hilfe gibt sich Köln sozusagen eine eigene Geschichte.

Wie sieht es nach acht Jahren Köln mit Ihnen persönlich aus?

Mit dem Eintauchen in den Lokalpatriotismus bin ich vorsichtig. Ich bin auch kein Karnevalsjeck. Aber letztens habe ich zum ersten mal Himmel un Ääd gegessen. Die Mischung der Geschmäcker, diese Kombination aus Weichem und Bröseligem fand ich schon recht lecker.

2017 haben Sie einen Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität in München abgelehnt. Weil Sie Köln so lieben?

(lacht) Das hatte vor allem familiäre und berufliche Gründe. Unsere Kinder sind in Köln verankert, und meine Kollegengruppe hier an der Kölner Uni ist ganz wunderbar.

Sie wohnen in Weiden, dem Vorort mit dem spektakulären Römergrab.

Genau, unsere Bahnhaltestelle ist jetzt auch danach benannt. Ich fahre allerdings normalerweise mit dem Fahrrad zur Uni.

Zusammen mit Gudrun Gersmann leiten Sie die 2018 gegründete „Forschungsstelle Geschichte Kölns“. Mit welchem Ziel?

Es geht darum, die wissenschaftliche Erforschung Kölns nach dem Archiveinsturz auf neue Füße zu stellen. Da herrschte seitdem Stillstand, zumal auch an der Uni Bonn die Professur für Rheinische Landesgeschichte nicht wieder besetzt wurde. Die Entstehung des „heiligen Köln“ im Frühmittelalter ist dabei mein Schwerpunkt.

Geschichte wird gelehrt, damit man aus ihr lernt. Kann man die Völkerwanderung des 5. Jahrhunderts mit den derzeitigen Migrationsbewegungen in Verbindung bringen?

In keinster Weise! Ich mache an der Uni immer die Einführungsvorlesung in Mittelalterliche Geschichte und beginne genau damit. Der Vergleich zur Gegenwart hinkt auf allen Ebenen, was immer da behauptet wird, ist haarsträubend falsch und meistens politisch motiviert.

Sie haben die Epoche nach der Völkerwanderung ein „Zeitalter der zunehmenden Erosion“ genannt. Auch das klingt sehr modern.

Aber auch dieser Vergleich taugt nichts. Was um 500 vonstatten ging, war ein gigantischer Verlust an kulturellen Errungenschaften, während ja heutzutage alles immer komfortabler und komplexer wird.

Die Römer kannten den Hobel zum Glätten von Holz. Im Frankenreich ist er untergegangen.

Oder denken Sie an die Wasserleitung aus der Eifel, die die Römer gebaut haben. Danach hatte Köln jahrhundertelang schlechtes Wasser – inklusive aller damit zusammenhängenden Probleme.

Meine dritte Damals-Heute-Frage betrifft den grassierenden Nationalismus. Kannten die Franken so etwas?

Überhaupt nicht. Gerade die Forschung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass sich Völker in oft sehr kurzen Zeiträumen immer wieder neu formieren. Nehmen Sie die Bayern: Die entstanden im 6. Jahrhundert quasi aus dem Rest der Völkerwanderung.

Zur Person

Karl Ubl wurde 1973 in Wien geboren, wo er Geschichte, Philosophie und Historische Hilfswissenschaften studierte. 2000 wurde er an der Universität Heidelberg promoviert mit einer Arbeit über Engelbert von Admont – den „österreichischen Albertus Magnus“.

In Tübingen habilitierte er 2007 in mittelalterlicher Geschichte und Historischen Hilfswissenschaften. Nach weiteren akademischen Stationen kam er im Wintersemester 2011/2012 l als Professor für mittelalterliche Geschichte mit Schwerpunkt Früh- und Hochmittelalter an die Universität Köln.

Seit 2011 ist Ubl Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Historischen Zeitschrift, seit 2014 auch des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte. 2015 trat er der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica bei, in deren Rahmen er die fränkischen Herrschererlasse der Karolinger ediert. Außerdem schreibt er an einem Buch über „Köln im Frühmittelalter“, das voraussichtlich 2021 erscheint.

Prof. Karl Ubl lebt mit seiner Familie in Weiden.

Oder andersherum: Die Goten in Italien, die Vandalen in Nordafrika verschwanden innerhalb weniger Jahrzehnte vollkommen von der Landkarte.

Genau in der Mitte Ihrer Forschungsepoche beginnt die Karolingerzeit. Warum war Karl der Große groß?

Lange bezog man das vor allem auf seine zahlreichen Eroberungen. Heute verbinden wir mit ihm eher kulturelle und bildungspolitische Fortschritte. Karl holte Gelehrte aus allen Teilen Europas an seinen Hof – um zu lernen, um die Kultur des Abendlandes auf neue Grundlagen zu stellen. Das war für seine Zeit absolut exzeptionell. Gleichzeitig gehen wir mit seiner intoleranten Glaubenspolitik natürlich skeptischer um als in der Vergangenheit.

Karls Lieblingsstadt war Aachen, gar nicht weit von hier. Welche Rolle spielte Köln in seinem Imperium?

Nun ja, er hat Köln zum Erzbistum erhoben. Und Hildebald, der erste Erzbischof der Stadt, wurde zu seinem zeitlebens engsten Berater. Auch der Bau des Hildebald-Doms, Vorgänger des Kölner Doms, fällt in Karls Zeit. Und schließlich war es dann 814 auch Hildebald, von dem Karl die letzte Ölung erhielt.

Karls Muttersprache war Fränkisch, vielleicht klang er sogar ein bisschen kölsch. Warum sind die Franken hier am Rhein beim Fränkisch-Ripuarischen, also beim Kölsch geblieben, während sich ein paar Kilometer weiter westlich das Französische, also Latein durchsetzte?

Weil die Römer nach 400 aus Köln fast komplett verschwunden sind. Im heutigen Frankreich hingegen bildeten die Franken eine Minderheit. Genauso haben etwa die nach Italien eingewanderten langobardischen Germanen ihre Sprache nach 100, 150 Jahren aufgegeben und Romanisch gesprochen.

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