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Interview mit Kölner InitiatorWie Bücherschränke in der Region Gemeinschaft stiften

Lesezeit 7 Minuten
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Ohne ihn zu berühren, kann er nicht an einem Bücherschrank vorbeigehen. 

  • Hans-Jürgen Greve bringt seit 2008 die Bücherschränke in die Städte.
  • Im Gespräch mit Bernd Imgrund erklärt er, warum sie Gemeinschaft stiften und was einen guten Standort ausmacht

In der Sürther Wachsfabrik wurde tatsächlich früher Wachs hergestellt. Heute arbeiten hier, inmitten von Wildwuchs und alten Backsteinbauten, Künstler. Ganz hinten durch, gegenüber vom hübschen Café, hat Hans-Jürgen Greve seine Werkstatt.

Am Telefon sagten Sie, Sie haben viel zu tun. Was denn?

Was 2008 mit dem ersten Bücherschrank begann, hat sich zu einer kleinen Manufaktur ausgewachsen. Hier wird geschweißt, verspachtelt, lackiert und ausgeliefert. Inzwischen haben wir über 800 Schränke aufgestellt, den letzten gerade bei Red Bull in Salzburg.

Alles zum Thema Bernd Imgrund

Sie haben die Bücherschränke nicht erfunden, aber sind früh auf diesen Zug aufgesprungen.

Und ich bin der einzige, der das heute professionell macht. Als ich zum ersten Mal so einen Schrank sah, waren die Bücher darin nass und halb vermodert. Ich dachte mir: ein großartiges Projekt, das muss nur besser funktionieren. Ich hatte auch sofort diesen sozio-kulturellen Magnetfaktor vor Augen. Also habe ich mich hingesetzt und erstmal über ein Jahr entworfen und geplant.

Ihren ersten eigenen Schrank haben Sie 2008 in Bonn aufgestellt.

Das war ein echtes Experiment. Der hatte noch einen teuren, aber anfälligen Türschließer mit einer Feder, und insgeheim dachte ich mir: Hoffentlich gehen da nicht zu viele Leute dran! (lacht) Na ja, wir haben das Konzept in der Folge komplett überarbeitet.

Woran haperte es bei Ihren ersten Modellen?

Lange gearbeitet haben wir an den Gummipuffern für die Türen. Da dürfen sich keine Kinder dran verletzen. Und sehr wichtig ist die permanente Entlüftung des Schranks, damit die nächtliche Feuchtigkeit immer wieder entweicht. Das wird oft vergessen! Unsere Schränke haben seitliche Schlitze und einen größeren zwischen Sockel und Tür, wodurch eine Art Kamineffekt generiert wird.

Was muss ein Ort mitbringen, um sich für einen Bücherschrank zu eignen?

Abgesehen von den Abständen zu Häusern, von einer Feuerwehrzufahrt und ähnlichem geht es um das direkte Umfeld. Der Schrank soll sich zugunsten der Bücher zurücknehmen. Er muss sich harmonisch einfügen und darf nicht dazugestellt wirken. Ich bin ja auch stadtplanerisch tätig und habe hunderte Aufstellorte selbst ausgewählt – in Zusammenarbeit mit der jeweilige Kommune natürlich.

Sie sagen, die Orte verändern sich durch einen Bücherschrank. Inwiefern?

Sie werden zu Treffpunkten. Die Bücher bringen die Menschen wieder analog zusammen. Ob du einen Hund oder ein Kind hast oder am Bücherschrank stehst: So oder so kommst du ins Gespräch. Und man darf das nicht zu laut sagen, aber wir haben auch von Corona profitiert: In Zeiten des Lockdowns und der Auflagen wurden Bücherschränke noch stärker genutzt als vorher.

Zur Person

Hans-Jürgen Greve wurde 1964 in Arnsberg geboren. Nach dem Abitur und zwanzig Monaten Zivildienst studierte er in Aachen Architektur mit dem Schwerpunkt Stadtplanungen. Nach einer Anstellung in Dortmund machte er sich 1996 selbstständig und zog 2001 nach Köln.

2007 sah er einen frühen Bücherschrank und wusste, das ist seine Zukunft. 2008 stellte er den ersten selbstgebauten Schrank in Bonn auf, dem inzwischen mehr als 800 weitere folgten. Bis heute ist er der einzige professionelle Bücherschrank-Hersteller in Deutschland.

Mit seiner „Stiftung Neuer Raum“ organisiert er zudem Kulturveranstaltungen und engagiert sich für den Bau einer Tiny-House-Siedlung – als „soziales Projekt einer offenen Gemeinschaft“.

Hans-Jürgen Greve wohnt und arbeitet in der Sürther Wachsfabrik.

www.urbanlife-eg.de

Der Bücherschrank ersetzt den alten Dorfbrunnen?

Genau das bekomme ich sehr oft als Feedback. Die ersten 120 Exemplare habe ich selbst geschweißt, ausgeliefert und eingeweiht. Diese Schränke enthalten nicht nur Bücher, sondern sind ein soziales Projekt. Und irgendwie sind es auch meine Babys. Meine Frau lacht immer, weil ich die Schränke im Vorbeigehen anfassen muss. Sind die Kanten noch glatt? Hängt alles in der Waage und so weiter?

Sie liefern inzwischen in ganz Deutschland aus. Gibt es Köln-Spezifika?

Es gibt ein eigenes Kölner Modell. Der Sockel besteht aus Eifeler Basalt, wie bei den Romanischen Kirchen. Damit erfüllen wir sogar alle Vorschriften für denkmalgeschützte Plätze in Köln.

Wie verhindern Sie, dass jemand seine alten Readers-Digest-Kartons im Bücherschrank entsorgt?

In Köln stand schon 2010 der erste Schrank. Die Leute verstehen inzwischen, dass man da keine alten Schinken reinstellt, die keiner mehr liest. Und zum anderen wird jeder Schrank von zwei Paten betreut. Die sortieren aus und sorgen dafür, dass der Ort nicht vermüllt.

Da muss man manchmal hart sein, nehme ich an.

Wir hatten in München mal den Fall eines alten Mannes, der immer wieder Ausgaben des Wachturms von den Zeugen Jehovas einstellte. Und der lange dachte, oh, die werden ja gern genommen. Bis ihm der Pate irgendwann mitteilen musste, dass er die Hefte jeweils entsorgt hatte.

Was erlebt man bei solchen Einweihungen quer durch Deutschland?

(lacht) Den stärksten Gegenwind bekam ich in Kronach in Oberfranken: „Können Sie direkt wieder mitnehmen, das Ding.“ Die Leute dort hatten Angst vor Vandalismus, was übrigens ein verbreitetes Phänomen ist: Jede Stadt denkt, schlimmer als bei uns ist es nirgends mit der mutwilligen Zerstörung.

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Wie schlimm ist es wirklich?

Unsere Rate liegt bei unter einem Prozent. Letztes Jahr zum Beispiel ist kein einziger Schrank angezündet und es sind nur vier zerstört worden.

Wie beugt man Vandalismus vor?

Das beste Mittel dagegen ist gutes Design. Unsere Schränke sind stabil und sehen gut aus, ohne überdesignt zu sein – Golf statt Rolls Royce. Ein Grundmaterial ist der Zehn-Millimeter- Cortenstahl. Der setzt eine schützende Rostschicht an, ohne dann weiter zu rosten. Dieser Farbton integriert sich überall, ob im Park oder in der Fußgängerzone. Und er changiert sogar mit den Jahreszeiten zwischen hell und dunkel. Ich habe auch schon Schränke in sozial schwachen Gegenden aufgestellt. Da kommen die Menschen auf dich zu und freuen sich, dass endlich mal einer was für sie tut.

Ihre Schränke kosten ab 4500 Euro aufwärts. Viel Geld für ein bisschen Glas und Metall.

Als ich noch alles allein gemacht habe, waren die günstiger. Aber inzwischen habe ich fünf feste Angestellte, mit denen ich allein im letzten Jahr 160 Schränke produziert habe. Ich zahle Lohn und Sozialabgaben, aber vergleichsweise billig sind die Schränke trotzdem noch. Eine Bank im Rheinauhafen kostet locker 20 000 Euro. Und ich schreibe auch nicht für jede kleine Reparatur direkt eine Rechnung, wir reparieren vieles einfach nebenher.

Sie arbeiten und wohnen in der Sürther Wachsfabrik. Kann man da Posaune spielen, ohne dass sich jemand beschwert?

(lacht) Das geht tatsächlich. Die alten Backsteinmauern sind dick genug. Mit der Posaune angefangen habe ich in der Musikkapelle meiner Heimat Arnsberg. Geburtstage, Schützenfeste, eigene Konzerte – wir haben alles bespielt. Während des Studiums in Aachen war ich dann sogar in einer richtig guten Jazzband, aber inzwischen fehlt mir die Zeit.

Unter anderem, weil Sie sich auch für Tiny Houses engagieren.

Die haben mich schon immer interessiert. Als Architekt habe ich früher vor allem klimagünstige Holzhäuser geplant. Was man damals „Passivhaus“ nannte, ist ja heute der geforderte Standard. 2009 habe ich dann einen Bauwagen für den Sülzer Waldkindergarten gebaut, der ähnelte schon sehr einem Tiny House.

Aber Ihre Pläne gehen weiter?

Mir schwebt eine Siedlung vor, zehn Hektar in der Eifel oder im Bergischen. Wir sind eine sehr starke und vertraute Gemeinschaft und arbeiten seit anderthalb Jahren an dem Projekt. Im Tiny House haben wir unseren eigenen Rückzugsraum, wie eine Klosterzelle, in der wir wohnen. Leben und arbeiten werden wir in Gemeinschaftsräumen. Das ist eine Zukunftsvision von mir, die ich verwirklichen werde. Und natürlich werde ich dort auch mit einziehen.

Sie nennen sich einen „Visionär für gesellschaftliche Veränderung“. Das klingt nicht gerade bescheiden.

(lacht) „Ich will nichts weniger als das Paradies“, habe ich mal für ein Magazin geschrieben. Und so ist das auch.

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