Interview mit Pfarrer Meurer„Frauen sind das Rückgrat der Gemeinde, auch spirituell“

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Pfarrer Meurer Ball unterm Arm

Immer am Ball bleiben: Pfarrer Franz Meurer 

  • Die Interview-Anfrage: „Wollen wir uns an ihrem Lieblingsplatz treffen?
  • Die Antwort: „Dann gehen wir zum TUS Köln rrh. Als die Flüchtlinge kamen, hat der TUS die alle spielen lassen. Andere Vereine wollten sich nur die Talente rauspicken.“
  • Zum 70. Geburtstag von Franz Meurer traf sich Ingo Schmitz mit dem „Sozialpfarrer“ .

Köln – Jetzt sind Sie 70. Die Zeit vergeht verteufelt schnell, nicht wahr?

Stimmt, ist ja schon wieder Weihnachten. Jedenfalls gibt es schon seit Wochen Spekulatius in den Geschäften (lacht). Aber im Ernst: Klar vergeht die schnell. Ich bin jetzt schon fast seit 30 Jahren hier in Vingst und Höhenberg. Wenn ich so an die Anfänge denke… Ich sage immer: Hätte ich damals schon gewusst, was es so alles gibt in der Kirche, hätte der Herrgott mich nicht berufen können. Aber da man mit dem Alter mehr Abstand zu den Dingen kriegt, ist das schon okay, dann kann man noch dabei sein. Vor allem weil mein Bezug die Gemeinde ist. Ich bin zwar auch mal gern alleine, aber eben auch gern mit Menschen zusammen. Darum wäre ein Kloster nichts für mich. Alleine schon die Vorstellung, morgens mit vier Franziskanern zu frühstücken – das würde mich umbringen.

Franz Meurer bei Viktoria Köln

Immer am Ball: Franz Meurer beim  Tus Köln rrh. 

Wie haben die Jahre Sie verändert?

Sagen wir mal so: Inzwischen ist für mich klar, die Entscheidungen in der Kirche müssen demokratisch sein, damit ich die sakramentale Seite repräsentieren kann. Wichtig ist dann aber auch, dass man das richtig macht mit der Demokratie. Zum Beispiel mussten mir die Leute erst einmal abtrainieren, dass ich bei Diskussionen nicht schon durch meine Körpersprache ausdrücke, ich finde eine Entscheidung schlecht. Auch habe ich gelernt, dass in einer Gruppe der Takt immer vom Langsamsten vorgeben wird. Das habe ich früher nicht immer so gemacht. Obwohl, ich hatte mal in der Jugendseelsorge eine Chefin, mit der hatte ich ausgemacht, wenn wir mal nicht einer Meinung sind, dann entscheiden wir abwechselnd. Einmal sie, einmal ich. Das hat den Vorteil, dass man immer sagen kann: Wäre ich dran gewesen, wäre es gut gegangen (lacht).

Franz Meurer bei Viktoria

Franz Meurer beim  Tus Köln rrh 

Klingt alles sehr ausgeglichen. Wie würden Sie sich selbst als Mensch beschreiben?

Ich bin vom Naturell her zwanghaft hysterisch. Sehr gefährlich, wenn man es nicht im Griff hat. Wenn man es im Griff hat, ist es wunderbar. Ich kann mich jederzeit begeistern. Aber eben auch mal kräftig ärgern. Dann genehmige ich mir eine Fahrradtour. Komme ich zurück, habe ich mit der Sache abgeschlossen.

Meurer und Vingst, eine Einheit?

Ich wollte von mir aus gar nicht hier hin. Der ehemalige Dompropst Gerd Bachner ist schuld. Nachdem die Stelle zwei Jahre unbesetzt war, hat der dem Kardinal den Tipp gegeben, das könnte doch der Meurer machen. Der Kardinal hat mich dann zum Gespräch bestellt. Da habe ich dem nur gesagt: Herr Kardinal, das hätten sie mir auch schreiben können. Wenn Sie das wollen, machen ich das doch. So, jetzt schenke ich ihnen ’ne halbe Stunde ihres Lebens.

Waffeln, Brot und Gottes Glanz

Nach seinem Bestseller „Glaube, Gott und Currywurst“ hat Franz Meurer erneut ein Buch geschrieben. In „Waffeln, Brot und Gottes Glanz – Wie Kirche es gebacken kriegt“ berichtet der Priester, wie Kirche nach seiner Erfahrung gelingen kann.

Wieder ist das Buch gespickt mit vielen lebendigen Erfahrungen aus dem Vingster Gemeindeleben.

Meurer wuchs in Mülheim auf und wurde 1978 zum Priester geweiht. Er war in der Jugendseelsorge tätig und kam 1992 nach Vingst/Höhenhaus.

Sein neues Buch ist im Herder Verlag erschienen, umfasst 200 Seiten und kostet 20 Euro.

Warum wollten sie denn erst nicht?

Ich dachte: Ne ne, das ist noch zu früh. Ich war noch jung und erst seit fünf Jahren in der Jugendseelsorge. Wir hatten noch Projekte am laufen. Ich hab aber gemerkt, das passt schon.

Was hat hier so gut gepasst?

Hier ist alles einfach. Hier weiß man, was man tun muss – und dass es echt sein muss. Zum Beispiel haben wir das Basement – ich darf nicht Keller sagen, will der Pfarrgemeinderat nicht –, das ist jeden Tag auf. Die Kirche nicht. Denn die Leute wollen nicht beten, die wollen Kleider und was zu essen haben. Da kommen Hunderte. Wenn mich eine türkische Mutter anruft, ihr Sohn sei drogensüchtig, dann kann ich nicht einfach ’ne Nummer von der Beratung geben. Ich gehe da hin, ich begleite die. Man muss hier mit den Menschen gehen. Man darf die Leute nicht hängen lassen.

Die sozialen Aufgaben waren direkt Ihr Ding.

Ich komme von der christlichen Soziallehre. Das habe ich studiert. Wär’ ja Quatsch, wenn ich mir dann nicht so Aufgaben suchen würde. Nach dem Studium wollte ich eigentlich nach Chorweiler. Der Regens hatte aber gesagt: Nix da, du kommst nach Euskirchen. Damit du mal was anderes kennenlernst. Da hatte der Landschaftsverband ein Jugendheim für Schwererziehbare. Mit denen habe ich dann Firmung gemacht und gesagt: Wir fahren auch mal weg, wenn ihr mir in die Hand versprecht, nicht abzuhauen. War wunderbar. Keiner abgehauen. Einer war dabei, der hatte über 300 Einbrüche gemacht, schon mit 14 Jahren. So einer ist doch ein Profi. Aus dem muss doch was werden (lacht). So habe ich immer eine Nische gefunden, die für mich passt.

So sollte Kirche eigentlich sein, an der Basis.

Normal. Wenn Kirche nicht an der Basis ist, ist sie eh weg. Jesus hat gesagt, ich komme nicht zu den Gesunden, sondern zu den Kranken, nicht zu den Gerechten, sondern zu den Sündern. Man muss den Leuten also sagen, geht raus, wenn ihr euch jetzt nicht als Sünder bekennt. Das kann man natürlich ein bisschen netter rüber bringen.

Bei ihnen klingt das alles immer so unverrückbar selbstverständlich. Hatten sie nie Glaubenszweifel?

Glaubenszweifel hat man immer. Glauben zu können, ist ein Geschenk. Ob wir Gott lieben, wissen wir in unserem Leben nie ganz genau. Ob wir unseren Nächsten lieben, merkt man jeden Tag. Steht auch im Jakobusbrief: Glaube ohne Taten ist tot. Deutlicher kann man es gar nicht ausdrücken.

Mit 70 kann man sich auch schon mal Gedanken darüber machen, wie es weiter gehen soll mit einem.

Die Gemeinden werden ja immer mehr zu Seelsorgebereichen zusammengelegt. Der wird hier wahrscheinlich Deutz, Rath Gremberg, Kalk, Vingst, Heumar, Neubrück, und vielleicht noch Merheim umfassen. Und dann ist klar, vom Alter her kann ich das nicht leiten. Wenn die trotzdem wollen, dass ich hier bleibe, bleibe ich. Wenn die sagen: geh, dann werde ich gehen. Ich entscheide das ja nicht. Hängt ja auch nicht meine Existenz dran.

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Und wie geht es mit der katholischen Kirche weiter. Wie wird die in Zukunft aussehen?

Normalerweise antworte ich auf so etwas nicht, weil man es nicht weiß. Aber eins ist klar: Auf jeden Fall wird sie weniger Geld haben. Ist aber nicht schlimm. Bei uns ist Geld eh nicht viel wert. Entweder einer macht was, oder es ist nichts. Mit Geld kommst du nicht weit, nur mit Leuten, die anpacken. Und es wird sicherlich so sein, wenn die Frauen nicht mehr Macht bekommen, geht es nicht mehr. Bei uns sind alle Katechetinnen Frauen, die Putzengel, die bei uns ehrenamtlich sauber machen, sind fast alles Frauen … Die Frauen sind das Rückgrat der Gemeinde. Nicht nur organisatorisch. Auch spirituell. Ist meine Meinung.

Für so eine Veränderung muss aber noch viel passieren.

In der Kirche verändert sich auch vieles dadurch, dass nichts passiert. Man muss ja nicht dauernd fragen. Kinder fragen natürlich die Mama, darf ich das. Aber ab einer gewissen Zeitpunkt muss man selber überlegen, was passt - und danach leben.

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