Interview zum Neumarkt„Nicht alle Probleme stammen von Drogenabhängigen“

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Nähe Drogenkonsumraum

Menschen konsumieren Drogen nahe des Neumarkts 

Hat der neue Drogenkonsumraum  am Neumarkt die Situation verbessert oder nicht? Darüber sprachen Jens Meifert und Matthias Hendorf mit Gesundheitsdezernent Harald Rau und  Stefan Lehmann vom Gesundheitsamt.  

Herr Rau, wie bewerten Sie die ersten Wochen des neuen Drogenkonsumraums? Was hat er bewirkt?

Harald Rau: Tatsächlich ist es eine kurze Zeit, wir sind noch in der Anlaufphase und alle lernen noch. Was ich um den Drogenkonsumraum herum höre, ist, dass das Geschehen am Neumarkt zu den Öffnungszeiten geordneter verläuft und Drogenabhängige besser versorgt sind. Die Frage ist, was wir als Wirkung bezeichnen? Wir haben als Stadt immer gesagt, der Drogenkonsumraum wirkt zum einen auf die Drogenabhängigen, weil sie sicherer konsumieren und sich waschen können und möglicherweise über die Beratung in die Drogenhilfe hereinkommen. Dieses Ziel erfüllen wir. Und zum anderen wird dies Wirkung auf das Umfeld haben. Der Drogenkonsumraum ist ein Baustein, um die Situation zu verbessern.

Zu den Personen

Dr. Harald Rau, 60, leitet seit 2016 das Dezernat für Soziales, Gesundheit und Wohnen.

Stefan Lehmann, 47, ist Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge. Bei der Stadt ist er zuständig für Suchtclearing und den Drogenkonsumraum. (EB)

Wie viele Menschen nutzen das Angebot?

Stefan Lehmann: Aktuell suchen uns etwa 60 bis 80 Menschen am Tag auf, 40 bis 60 konsumieren. Wir haben mit den jetzigen Öffnungszeiten von 8 bis 15.30 Uhr theoretisch Platz für rund 100 Drogenkonsumvorgänge am Tag. Wir decken mit den verfügbaren Plätzen die Konsumspitzen ab.

Ist es seit der Eröffnung mehr geworden?

Lehmann: Wir sind ja vom mobilen Angebot im Cäcilienhof in den Drogenkonsumraum gewechselt. Es ist die gleiche Klientel, die mitgekommen ist.

Neue Nutzer kommen nicht?

Lehmann: Doch, auch. Die Erklärung ist einfach: Köln ist eine Millionenstadt, es gibt Zu- und Abzüge, Tagesgäste oder Menschen, die vorher in der Justizvollzugsanstalt waren. Die kommen dann bei uns vorbei. Wir haben eine hohe Fluktuation und das ist gut, weil es zeigt, dass ständige Klientinnen und Klienten, Menschen, die sich nur kurz in Köln aufhalten, auf das Angebot aufmerksam machen. Diese Menschen konsumieren die Drogen dann nicht ungeschützt und im öffentlichen Raum.

Die Situation

Seit dem 20. Mai hat der Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt am Neumarkt geöffnet. Laut Bürgerinitiative „Zukunft Neumarkt“ ist es seit der Eröffnung schlimmer geworden mit Lärm, Müll, Fäkalien und offenen Konsum. Der Raum soll bald sieben Tage die Woche von 8 bis 18.30 Uhr geöffnet sein.

Sowohl FDP als auch SPD kritisierten die Stadt. Die FDP forderte Oberbürgermeisterin Henriette Reker zum Handeln auf: „Die untätige Ignoranz gegenüber den Zuständen am Neumarkt muss ein Ende haben.“ (EB)

Aktuell öffnet der Raum von 8 bis 15.30 Uhr an fünf Werktagen. Könnte es eine Lösung für alle Probleme sein, 24 Stunden jeden Tag zu öffnen?

Rau: Also alles lösen können wir mit dem einen Angebot nicht, es ist nur ein Baustein. Aber längere Öffnungszeiten sind besser, das ist gar keine Frage. Unser Ziel ist, dass wir sieben Tage die Woche bis 18.30 Uhr öffnen. Wir sind froh, wenn wir das bald erreichen. Das Problem ist, ausreichend geeignetes Personal zu finden. Aber auch dann wird es Auffälligkeiten geben.

Lehmann: 24 Stunden täglich zu öffnen, ist nicht notwendig. Wir müssen nicht hundert Prozent der Menschen erreichen, es ist ein freiwilliges Angebot. Natürlich finde ich längere Öffnungszeiten toll, weil wir so den Bedarf bedienen können, dass das Klientel in den Abendstunden konsumiert. So können wir mehr Menschen abholen.

Die Anwohner hatten vor der Eröffnung Sorge, dass der Drogenkonsumraum Probleme für das Umfeld bringt. Kauft man das mit ein, wenn man einen solchen Raum einrichtet?

Rau: Wir sind der Meinung, dass es keinen Sogeffekt gibt, aber man muss differenzieren. Natürlich ist es gut, wenn mehr Drogenkranke kommen und dort konsumieren. Das passiert und ist erwünscht. Die Frage ist, ob die Menschen danach rund um den Neumarkt bleiben. Und da würde ich sagen: Nein, es gibt keine Sogwirkung.

Trotzdem leiden die Anwohner, sie sprechen von Fäkalien, Lärm, Müll, Aggressivität. Was sagen Sie denen?

Rau: Der Neumarkt hat eine lange Tradition dieser Belastungen, von denen wir jetzt reden. Mir fehlt der Nachweis, dass es schlimmer geworden ist. Aber ich sage auch: Wir haben einige Hinweise, dass Belastungsfaktoren wie Obdachlosigkeit zunehmen. Und: Nicht alle Probleme stammen von Drogenabhängigen, sie halten oft dafür her.

Wenn Sie die lange Historie ansprechen, klingt das so, als müsse man die Situation so akzeptieren, wie sie ist.

Rau: Ganz eindeutige Antwort: Köln ist eine Millionenstadt, und eine Millionenstadt in unserer freien Gesellschaft hat ein Drogenthema. Drogenkonsum ist verbreitet in unserer Gesellschaft, das ist nicht wegzureden. Und wiederum in einer Millionenstadt gibt es drei, vier, fünf zentrale Orte der Drogenszene. Damit ist Köln nicht alleine. Deshalb sage ich: Drogen sind vom Neumarkt oder aus Köln nicht ganz wegzubekommen, aber wir versuchen mit unseren Angeboten, die Situation zu verbessern.

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Es geht ja nun auch mehr um die Begleiterscheinungen des Konsums.

Rau: Eine gewisse Drogenbetroffenheit eines zentralen Platzes werden wir immer haben, ja. Eine gewisse, das ist wichtig. Jetzt geht es darum, das so zu steuern, dass wir den Anwohnenden und den Drogenabhängigen helfen. Der Neumarkt braucht allgemein eine höhere Aufenthaltsqualität. Wenn die Qualität des Platzes steigt, nimmt das störende Verhalten ab, weil es eine Art soziale Kontrolle gibt.

Auf die Verbesserung dieser Zustände am Platz warten die Bürger aber schon länger.

Rau: Ja, jetzt planen wir konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität wie die Aktivierung des Brunnens sowie ein Kulturprogramm.

Muss der Raum am Neumarkt zentral gelegen sein?

Rau: Ja, der Drogenkonsumraum ergibt nur dort Sinn, wo die Menschen ihn auch nutzen.

Teile des Umfeldes fordern einen härteren Kurs gegenüber den Drogenabhängigen.

Rau: Wir können zwar kurz wirksame Platzverweise erteilen, viel mehr aber nicht. Wir sind zum Glück ein freiheitlicher Staat.

Lehmann: Aber natürlich sprechen wir mit den Klienten über diese Probleme. Wir informieren sie etwa über die Behälter für gebrauchte Spritzen. Und wir tragen auch Konflikte mit den Menschen aus, aber das löst nicht alle Probleme. Das ist wie in anderen Teilen der Gesellschaft.

Was sind die Vorteile des neuen Raumes?

Lehmann: Es klingt pathetisch, ist aber so: Wir retten Leben. Das ist das Erste. Wir sind eine Überlebenshilfe. Das Ziel ist erreicht, wenn die Menschen morgen noch leben.

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