Integrationshaus in Köln-KalkWas die Corona-Krise für die Sozialarbeit bedeutet

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Köln-Kalk – Alle Bürogebäude auf dem Ottmar-Pohl-Platz sind geschlossen. Wirklich alle? Nein, im Integrationshaus lässt sich gerade ein älterer Herr von einer Mitarbeiterin des Vereins beraten. „Wir haben hier normalerweise zweihundert Menschen im Gebäude“, sagt Elizaveta Khan. „Der Kontakt fehlt uns natürlich auch. Aber wir schließen nicht. Das ist Sozialarbeit, wir sind da.“ Elizaveta Khan ist die Geschäftsführerin des eingetragenen Vereins Integrationshaus in Köln-Kalk, kurz In-Haus genannt. Das In-Haus definiert sich als Nichtregierungsorganisation, als zivilgesellschaftlicher Ort und generationenübergreifende Bildungseinrichtung. „Die Jüngsten, die hier hereinkrabbeln, sind sechs Monate alt“, sagt Khan, „und die Ältesten, die zu uns kommen, sind etwa um die achtzig.“ Wegen der Corona-Krise mussten die Öffnungszeiten des Integrationshauses verkürzt werden.

Zwölf-Stunden-Arbeitstag und private Vorkasse für Projekte

Doch der Einsatz Khans und ihrer Mitarbeitenden sorgt dafür, dass das In-Haus auch und gerade in der Krise geöffnet bleiben kann. Der Verein bietet unter anderem Sprach- und Integrationskurse an, Nachhilfestunden, Kinderbetreuung, bildungspolitische Projekte, eine Multimedia-Plattform, Begleitung zu Behörden, Beratung in persönlichen, familiären und bürokratischen Fragen. Gerade die soziale Beratung und Betreuung lässt sich nicht ohne weiteres ins Internet verlegen. So finden zusätzlich zu den Online-Angeboten des Vereins weiterhin persönliche Sprechstunden vor Ort statt. Nach einer Woche Osterferien soll das In-Haus wieder fünf Stunden am Tag Besucherinnen und Besucher empfangen. Der Verein erhält keine strukturelle Förderung, sodass das Einkommen der Angestellten davon abhängt, dass Menschen die Angebote des Integrationshauses wahrnehmen. Khan hat auch schon Privatschulden auf sich genommen, um für staatliche Förderung in Vorkasse gehen zu können. Soziale Arbeit sei systemrelevant, findet Khan, doch die Wertschätzung für ihren Beruf komme ihr oft oberflächlich vor. Wenn sich die Menschen „ernsthaft dafür interessieren und darüber informieren, was wir hier tun“ wäre es für sie das beste Kompliment.

Unterstützt wird Khan von ihren Büromanagerinnen Darija Beletschenko und Elena Shmidt sowie mehreren Mitarbeitenden, meist Ehrenamtliche. Zwölf Arbeitsstunden am Tag seien hier nichts Ungewöhnliches, sagt Khan. Sie könne es aber absolut nachvollziehen, dass sich einige Angestellte nun Urlaub genommen haben. Denn Sicherheitsabstand ist in der sozialen Arbeit ein Ding der Unmöglichkeit.

„Ich bin gespannt, wie das pädagogisch und politisch aufgefangen werden soll.“

„Wir versuchen besonders, Kontakt zu denjenigen zu halten, die gerade in Unterkünften sind, weil dort momentan die Zivilgesellschaft fehlt“, erklärt Khan. „Wir haben Bauchschmerzen, wenn wir daran denken, dass jetzt nur noch Wachdienste vor Ort sind.“ Sie frage sich, wie die Kinder es wahrnehmen, wenn die Erwachsenen gerade panisch durch die Gegend laufen. „Ich bin gespannt, wie das pädagogisch und politisch aufgefangen werden soll.“ Denn Probleme, die es bereits vor der Krise gab, verschärfen sich nun durch die Ausnahmesituation. Der Weiße Ring, Deutschlands größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität, geht davon aus, dass es in der Corona-Krise zu deutlich mehr Fällen von häuslicher Gewalt kommen wird. „Die Frage ist ja auch nicht: Wann wird es wieder normal?“, sagt Khan. Denn „normal“ war der Alltag schon vor Corona nicht, insbesondere was rassistische und sexuelle Gewalt betrifft.

Erntehelfer ja, Ingenieure nein

Mit dem Medienprojekt In-Haus Media möchte der Verein denjenigen eine Plattform bieten, über die viel gesprochen wird, die aber nur selten zu Wort kommen. „Unser Anspruch ist es, für uns selbst zu sprechen. Mit ‚uns‘ meine ich alle Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft als anders markiert werden, sei es aufgrund ihrer sexuellen Identität und Orientierung, aufgrund ihrer Herkunft, Sprachkenntnisse oder des Akzents. Das In-Haus Radioprojekt ist ein Verstärker für Menschen, die auch hier leben.“

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Khan hat den Eindruck, dass Nicht-Deutsche von der Öffentlichkeit eher als Zahlen und Arbeitskräfte wahrgenommen werden, nicht als Individuen mit unterschiedlichen Ideen, Meinungen und Träumen. Die Corona-Krise zeige dies nun überdeutlich. Pflegepersonal und Erntehelfer reisen aus Osteuropa an, auch weil diese Berufe für Deutsche aufgrund der niedrigen Löhne und harten Arbeit unattraktiv sind. Einer der Vorschläge der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner lautete, das Arbeitsverbot für Asylbewerber kurzzeitig aufzuheben, um sie als Erntehelfer einsetzen zu können. Elizaveta Khan kann ihren Ärger darüber kaum verhehlen. „Ja klar, Geflüchtete sollen eine Arbeitserlaubnis erhalten, um als Erntehelfer zu arbeiten, aber qualifizierte Lehrer oder Ärztinnen bekommen keine Zulassung.“ Khan trifft in den Deutschkursen ihres Vereins immer wieder Menschen mit abgeschlossenem Lehramt- oder Ingenieurstudium, die allesamt Jobangebote im Pflegebereich erhielten, anstatt in den Bereichen ihrer jeweiligen Qualifikation. Sie selbst sei es außerdem leid, immer wieder auf ihre „Wurzeln“ angesprochen zu werden. „Wieso Wurzeln?“, fragt sie und lacht. „Ich bin kein Baum.“

Trotz der Ausgangsbeschränkungen erhofft sich Khan mehr Akzeptanz dafür, dass das In-Haus weiterhin geöffnet bleibt und Projekte organisiert. Am Sonntag veranstaltete der Verein eine kleine Demonstration auf dem Ottmar-Pohl-Platz unter dem Motto „Menschenrechte haben keine Grenzen - und wir haben Platz“. Der Sicherheitsabstand wurde eingehalten.

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