„Wie im Tunnel“So erlebte ein Ersthelfer den Kutschen-Unfall am Rosenmontag

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In der Neven-Du Mont-Straße gingen im Rosenmontagszug die Pferde einer Kutsche durch. Rettungskräfte und andere Helfer vorsorgten die insgesamt vier Verletzten vor Ort.

In der Neven-Du Mont-Straße gingen im Rosenmontagszug die Pferde einer Kutsche durch. Rettungskräfte und andere Helfer vorsorgten die insgesamt vier Verletzten vor Ort.

Köln – Hans-Peter Justus hatte sich gerade ein Kölsch geholt, als er die Pferde kommen sah. „Mit einer Geschwindigkeit, das war unglaublich.“ Der 52-Jährige aus Rösrath war als einer der ersten Helfer an der Unglücksstelle im Rosenmontagszug. Genau dort, wo das erste Opfer am Appellhofplatz von der Kutsche überrollt wurde, feiert er mit Freunden und Kollegen jedes Jahr auf der Ladefläche eines gemieteten Transporters.

„Die Kutsche war etwa auf der Höhe des Hotels ,Europäischer Hof’, da sah ich, dass etwas nicht in Ordnung war“, erinnert sich der Augenzeuge. Der Zug sei zu dieser Zeit extrem auseinander gezogen gewesen, die Pferde hätten viel Platz zum Laufen gehabt. Ein Wurfgeschoss, das laut anderer Zeugen ein Pferd getroffen haben soll, habe er nicht gesehen.

Husaren-Mitglied völlig unvermittelt von Kutsche überrollt

„Ich bin erst aufmerksam geworden, als sie auf uns zugerannt sind. Der Kutscher hatte alle Mühe, die Zügel zu halten“, sagt Justus. „Auf einmal fühlte ich mich wie im Tunnel. Ich habe den Becher fallen gelassen und habe als erstes meine Tochter gepackt.“ Die 13-Jährige stand direkt am Zugweg. In dem Moment wurde ein Mitglied der Fußgruppe der Treuen Husaren direkt vor ihnen auch schon von der Kutsche erfasst. „Der Mann hatte gerade Kamelle geworfen und griff wieder in den Beutel. Er war völlig unvorbereitet, als er von hinten von der Kutsche überrollt wurde.“

Hans-Peter Justus zögerte nicht, übergab seine Tochter an Freunde und eilte zu dem Verletzten. „Von der anderen Straßenseite waren direkt zwei, drei andere Helfer da, einer hat seinen Kopf gehalten.“ Dass die Kutsche weiter die Neven-Du Mont-Straße runter raste, weitere Menschen verletzte und schließlich an einer Lkw-Tribüne an der Breite Straße zum stehen kam – das alles bekam der Ersthelfer nur am Rande mit.

Menschen filmten von allen Seiten mit Handys

„Als der Mann dort lag, ist ein Tumult entstanden“, erinnert er sich, von allen Seiten hätten Menschen mit ihren Handys gefilmt, wohl ein „Automatismus“. „Ich habe mir eine Plane von unserem Lkw geschnappt und habe mit einem anderen Husaren einen Sichtschutz gebildet.“ Für die Privatsphäre des Opfers, aber auch seine Tochter und andere Kinder sollten den Verletzten nicht sehen. „Das letzte, was wir dort gebraucht haben, ist noch mehr Panik.“

Bis die Rettungskräfte eintreffen, bleibt er bei dem Opfer, hält den Sichtschutz bis dieses schließlich in den Rettungswagen gebracht wird. Dass er dabei auch auf den Fernsehbildern zu sehen ist, die später in der „Tagesschau“ gezeigt werden, erfährt er erst, als ihn seine Schwester aus Korea anruft. „Das war schon verrückt.“

Tochter schrieb Brief an die Husaren

Auch nach dem Unfall bleibt er. „Zwei Drittel von uns sind nach Hause gegangen“, sagt der 52-Jährige. Er habe mit seiner Tochter das Ende des Zuges sehen wollen. „Die Bilder des Überrollten sollten nicht die letzten sein, die sie vom Rosenmontagszug hat.“ Zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter habe er in den vergangenen Tagen viel über den Vorfall gesprochen. Das Mädchen schrieb auf eigenen Wunsch einen Brief an die Husaren, erkundigte sich nach den Verletzten. „Das ist ihre Art damit umzugehen“, sagt ihr Vater. Auch ihm sei es nicht gut gegangen. „Ich musste das auch erst mal verarbeiten.“ Am Karnevalsdienstag hatte er noch frei, seitdem pendelt der 52-Jährige wieder zur Arbeit nach Frankfurt. Er kümmert sich bei der Lufthansa um den Transport von besonderen Gütern, etwa Gemälde oder Autos.

In der Familie haben sie das Thema Pferde im Zug diskutiert. Justus selbst kann sich einen Rosenmontag ohne Pferde nur schwer vorstellen. „Ich würde mir für das kommende Jahr wünschen, dass vor jeder Kutsche ein Lieferwagen fährt.“ Denn dann würde man den Pferden die Möglichkeit nehmen, nach vorne auszubrechen. „Darin könnten zum Beispiel Betreuer für die Pferde mitfahren.“ Außerdem schlägt er Scheuklappen vor und eine Kameraüberwachung des Zuges. Im kommenden Jahr will er wieder an derselben Stelle feiern. Mit oder ohne Pferde, das bleibe abzuwarten.

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