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Ruhe beim KarnevalDer Trend zu Flüstersitzungen und leisen Formaten hält an

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Die Flora nutzen viele Karnevalsvereine für ihre nostalgischen Veranstaltungsformate. Die Große Kölner hat nun bereits zwei ruhige Sitzungsformate im Angebot.

Die Flora nutzen viele Karnevalsvereine für ihre nostalgischen Veranstaltungsformate. Die Große Kölner hat nun bereits zwei ruhige Sitzungsformate im Angebot.

Köln – Die Nostalgie liegt in der Flora auf den Tischen. Acht Lieder haben es in ein kleines Heft geschafft, das die kostümierten Besucher durch den Abend leitet. „Jede Stein in Kölle es a Stöck von mir“ singen die Menschen, Ludwig Sebus hat das Lied 1955 komponiert. Statt der üblichen Sitzungs-Kapelle musiziert vorne im schmucken Saal das Kohberg-Orchester, etwa ein Dutzend Musiker sorgt für einen beachtlichen Klangteppich, ein Geiger ist dabei, ein Herr bläst ein monströses Sousaphon.

Es ist die Premiere der „Flüstersitzung“, veranstaltet von der Großen Kölner, gegründet 1882. Eine Woche zuvor hatte die Karnevalsgesellschaft bereits gemeinsam mit der Grossen von 1823 eine „Nostalgiesitzung“ gefeiert. „Die Karten für diese Formate werden uns aus der Hand gerissen“, sagt Sitzungsleiter Dr. Joachim Wüst, zugleich Präsident der Großen Kölner. Am Sonntag ließen es die Blauen Funken ebenfalls in der Flora „janz höösch“ zugehen, so der Name ihrer Sitzung. Kölsche Sprache, kölsches Liedgut – der Trend ist schon seit einigen Jahren im Kölner Karneval festzustellen.

Ein extremer Umschwung im Karneval

Von einem „extremen Umschwung“ spricht Michael Euler Schmidt, Roter Funk, stellvertretender Leiter des Stadtmuseums und Kulturpreisträger des Bund Deutscher Karneval (BDK). „Das Bedürfnis war selten so groß, wieder zu Pfarrsitzungen zu gehen, Brauhaus-Sitzungen zu besuchen oderin der Kneipe zu singen, wie bei ’Loss mer singe’“, sagt der Historiker. Später am Abend singen die Menschen bei der Flüstersitzung der Großen Kölner dann „Nor am Dreikünningepöözche“, verfasst von Karl Berbuer, einem der großen Kölner Liedermacher.

Alles zum Thema Cat Ballou

Die ruhigen Formate sind das Terrain von Wicky Junggeburth, Prinz Karneval 1993, Moderator und Sänger. „Der Trend war aus der Not heraus geboren, denn die Generation der über 60-Jährigen war dem Sitzungskarneval weitestgehend verloren gegangen“, sagt er. Als zu laut und zu wenig kölsch seien die Sitzungen empfunden worden. Joachim Wüst bestätigt das. „Es ist unmöglich, eine Sitzung für 18- bis 80-Jährige zu veranstalten. Wir brauchen verschiedene Angebote“, meint er.

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Kommendes Wochenende lädt die Große Kölner ins Gloria-Theater ein. Hier wird laut gedreht. „Sweet Fastelovend“ heißt das recht neue Format für jüngere Karnevalisten, die gerne tanzen und zwischendurch Live-Musik geboten bekommen. Querbeat, Cat Ballou und Kuhl un de Gäng werden aufspielen, getanzt werden soll „bis in die Morgenstunden“. Die Veranstaltung ist längst ausverkauft. Auch Traditionskorps bieten längst Partys für das jüngere Publikum. „Der Karneval erneuert sich immer wieder und bietet für jeden etwas“, urteilt Junggeburth. Durch die jüngeren Bands wie Kasalla, Cat Ballou und Miljö seien auch normale Sitzungen plötzlich wieder attraktiv für jüngeres Publikum, meint er.

Die Menschen im Saal hören zu

Bei der Flüstersitzung der Großen Kölner steht auch Gerd Rück, bekannt als Ne Weltenbummler, in der Bütt – bei den klassischen Sitzungen ist er nicht mehr zu sehen, dort gehört die Bühne seit Jahren den comedyaffinen Rednern. Dann kommt Jutta Gersten, 86 Jahre alt, und spielt Akkordeon – die Menschen im Saal hören zu.

Auch die Macher von „Loss mer singe“ haben den Trend zu ruhigeren Tönen in dieser Session aufgegriffen. Aus den Brauhäusern der Stadt ziehen sie am 29. Januar in den Gürzenich und laden explizit ältere Menschen ein. „Loss mer singe – hück esu schön wie domols“, heißt die Veranstaltung, präsentiert von der Rundschau. Neben aktuellen Liedern sollen kölsche Klassiker gesungen werden – mit Musikern, aber ganz ohne Gedränge und stickiger Kneipenluft.

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