Virtueller KarnevalSo meistern die Karnevalsvereine die Coronakrise

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Ungewohnte Zeiten: Metallkünstler Tobias Kreiten freut sich über jeden Auftrag.

Köln – Agrippina Courage meldet sich aus dem Rathaus „parat“. Die Oberbürgermeisterin sitzt mit verschränkten Armen vor einer Kamera, in der Hand hält sie einen rot-weißen Mundschutz, dann grüßt sie den „Präsidöres“ und ihre Roten Funken, wo jedes Mitglied einen kölschen Spitznamen trägt. Und Henriette Reker, die einzige Frau im Männer-Korps, ist Agrippina Courage. Sie spricht ein Grußwort zur virtuellen „Kontrollversammlung“ des Traditionskorps. Präsident Heinz-Günther Hunold und Korpsadjutant Dirk Wissmann stehen derweil in einem Fernsehstudio von RTL-West. Sie ehren und befördern Männer, deren Fotos eingeblendet werden. Virtueller Karneval.

Vereinsleben aufrecht erhalten

Viele Karnevalsgesellschaften versuchen trotz der Corona-Einschränkungen, irgendwie das Vereinsleben aufrecht zu halten. Nirgendwo ist der Aufwand so groß wie bei den Roten Funken, die schon zum Sessionsauftakt am 11. November einen Zeppelin über Köln kreisen ließen. Etwa 10 000 Euro kostet die Fernsehproduktion, für die sich etwa 240 Funken daheim vor den PC setzen und die Show streamen. „Pappnas un Döppcheslecker sinn online“, lassen zwei Funken im Chat wissen.

Wirtschaftsfaktor

600 Millionen Euro beträgt die Wirtschaftskraft des Kölner Karnevals. Dies haben die Boston Consulting Group und die Fachhochschule im Auftrag des Kölner Festkomitees untersucht. Das entspricht dem Jahres-Etat einer Kleinstadt mit 15 000 Einwohnern.

Etwa 6500 Arbeitsplätze werden in Köln und der Region durch den Karneval gesichert. Normalerweise werden jede Session etwa 600 Veranstaltungen ausgerichtet, von der Party bis zur Nostalgiesitzung. (tho)

Normalerweise hätten die Funken im Maritim-Hotel gesessen, Suppe gelöffelt und Kölsch getrunken. „Die Kosten wären ähnlich hoch gewesen“, sagt Funken-Sprecher Günter Ebert.

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Die Roten Funken haben ihre Kontrollversammlung in ein Fernsehstudio verlegt.

Nicht nur Hotels sind die Leidtragenden der Pandemie. Karneval ist in Köln nicht nur ein Fest, sondern ein Wirtschaftszweig (siehe Kasten). Im Metallkunstbetrieb von Familie Kreiten in Nippes herrscht dieser Tage ungewohnte Ruhe. Normalerweise liefe jetzt die Herstellung von Karnevalsorden auf Hochtouren. „Aber die Vereine wissen nicht, wie sie das ohne Veranstaltungen finanzieren sollen“, weiß Heike Kreiten. Vorige Session wurden im Familienbetrieb rund 23 000 Orden gefertigt, dieses Mal seien es gerade mal 2500. „Die Misere zieht sich für uns durch das ganze Jahr, denn auch Schützenvereine waren zurückhaltend“, sagt Kreiten.

Überraschung für die Mitglieder

Die „Große Allgemeine“ hat Orden anfertigen lassen. Weil die Gala zum Sessionsauftakt ausfiel, betätigte sich der Vorstand kurzerhand als privater Lieferservice und bedachte die Mitglieder mit einem Überraschungspaket. Neben dem Sessionsorden durften die Karnevalisten ein Fläschchen Piccolo und das Sessionsheft auspacken. Auch die „Große Kölner“, der mitgliederstärkste Verein im Kölner Karneval, hat Päckchen verschickt. Neben dem Orden war ein Buch über den Liedermacher Hans Knipp enthalten. Die Roten Funken werden dieses Jahr nur die Hälfte der sonst üblichen Ordenszahl produzieren lassen. „Das Vereinsleben leidet, Vorstandssitzungen finden virtuell statt, vieles fällt einfach aus. Und eine virtuelle Konferenz ersetzt nicht das Zusammensein“, sagt Funken-Sprecher Ebert.

Günter Ebert ist nicht nur als Karnevalist, sondern auch als Geschäftsmann von der Corona-Pandemie und den Auswirkungen auf den Karneval betroffen. Mit seinem Blumengroßhandel beliefert er sonst Vereine in ganz Deutschland mit Strüßjer. Etwa eine Million der kleinen Sträuße waren es zu Beginn des Jahres, hinzu kamen Blumendekorationen für Karnevalswagen. „Wir werden es überleben, aber der Ausfall reißt ein großes Loch in die Kasse“, sagt Ebert.

Unternehmen leiden

Ein Fünkchen Hoffnung haben sie noch im Metallkunstbetrieb Kreiten. „Vielleicht dürfen im Januar oder Februar ja doch kleine Veranstaltungen stattfinden. Einige Vereine überlegen noch, ob sie dann doch Orden herstellen lassen“, sagt Heike Kreiten. Drei Mitarbeiter hat der Betrieb, für alle wurde Kurzarbeit angemeldet. Ähnlich stark leidet auch das Unternehmen „Orden Kappes“ in Bilderstöckchen. „Wir versuchen das Personal zu halten, ein Jahr stehen wir das durch“, sagt Margot Kappes. In ihrer Branche ist Karneval der Motor des Geschäfts. Und der stottert beträchtlich.

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