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Serie „Spurensuche“Die große Provokation – Max Ernst und seine Zeit in Köln

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Seine Vorstellung von Kunst war der Dadaismus: Max Ernst 1909 vor seiner Staffelei.

  • Was hatte Walter Gropius mit dem Bauhaus vor? Wo verfasste Karl Marx seine Schriften?
  • In unserer Serie "Spurensuche" stellen wir Personen und ihre Kölner Zeit vor.
  • Anselm Weyer blickt dieses Mal auf Max Ernst, der vor 100 Jahren geboren wurde.

Köln – Eine Revolte gegen den Krieg, aber auch das Bürgertum und seine Vorstellung von Kunst war der Dadaismus. Einen Skandal entfacht dann auch Max Ernst gemeinsam mit seinen Künstlerfreunden mit einer am 20. April 1920 eröffneten Ausstellung im Lichthof des Brauhauses Winter, Schildergasse 37. Sogar die Polizei wird wegen Pornographie, Betrugs und Erregung öffentlichen Ärgernisses gerufen.

Am 2. April 1891 in der Kleinstadt Brühl, nicht weit vom heiligen Köln, schlägt er die Augen auf, schreibt Max Ernst über sich - wie fast immer in der dritten Person. Nach dem Abitur besucht er die Universität Bonn, doch er "vermeidet sorgfältig alle Studien, die zum Broterwerb ausarten können".

Lieber malt er und besucht die Kunstszene der Nachbarstadt, etwa das Wallraf-Richartz-Museum, die Blaue-Reiter-Ausstellung im Gereonsclub, Gereonstraße 18-32, die Futuristenausstellung in Feldmanns "Rheinischem Kunstsalon", Hansaring 20, und die Sonderbundausstellung am Aachener Tor. Prägend für sein Leben sind die Freundschaft mit August Macke und die, so berichtet Ernst, "zufällige Begegnung mit Hans Arp in der Galerie Feldmann in Köln, wo dieser gerade einen alten Langweiler mit den Worten abfertigte: 'Warum sind Sie nicht schon längst in den Himmel aufgefahren?'" Es sollte der Beginn einer lebenslangen Freundschaft sein.

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Ein kurzes Leben hätte es werden können, denn im August 1914 beginnt "die große Schweinerei", wie Ernst den Ersten Weltkrieg nennt: "Niemand aus dem Freundeskreis hat's eilig, sein Leben zu opfern für Gott, König und Vaterland." Ernst muss zur Feldartillerie. "Vier Monate Kaserne in Köln-Niehl, dann hinaus in die Scheiße. Vier Jahre." Bei einem Heimaturlaub 1918 heiratet er Luise Straus, die Tochter eines jüdischen Hutfabrikanten - beider Eltern sind alles andere als begeistert von dieser Ehe.

Das Kriegsende als eine Wiedergeburt

Das Kriegesende nimmt Max Ernst als Wiedergeburt wahr: "Max Ernst starb am 1. August 1914. Er kehrte zum Leben zurück am 11. November 1918 als junger Mann, der hoffte ein Magier zu werden, um die Mythen seiner Zeit zu finden." Das junge Ehepaar zieht "in eine kleine, altmodische Wohnung im Obergeschoss eines viel zu vornehmen Hauses an der Ringstraße in Köln", wie Luise Straus-Ernst schreibt. Max Ernst tauft ihre Bleibe am Kaiser-Wilhelm Ring 14 liebevoll "Dadahaus". Es wird zum Treffpunkt revolutionärer Künstler wie Hans Arp, Theodor Baargeld, Paul Klee, André Breton und Paul Éluard. "Die günstige Lage unserer Wohnung, vermutlich auch unsere Personen hatten uns ganz von selbst zum Mittelpunkt dieses Kreises junger Künstler und Kunstfreunde gemacht, die nun in endlosen Gesprächen eine neue Welt aufzubauen dachten, dabei zahllose Zigaretten rauchten und unentwegt Tee tranken", schreibt Luise Straus-Ernst in ihren Erinnerungen: "Ein Glück, dass wir 24 Tassen hatten. Sie waren alle ständig 'in Betrieb'."

Sehr zum Leidwesen des Hausbesitzers, einem auch im Haus wohnenden Zahnarzt. Der, so berichtet der 1920 geborene Sohn Jimmy Ernst, ärgerte sich über "das Boheme-Gesocks, das da seine Treppen hinauflief und das die ganze Nacht über aufblieb, wahrscheinlich, um den nächsten Schritt zur Auslieferung des Vaterlandes an die Roten auszuhecken".

Tatsächlich heckt die Gruppe, die sich 1920 "Dada W/3" tauft, so einiges aus: Sie stört am 6. Februar 1919 eine expressionistische Lesung im Hotel Disch und demonstriert am 4. März 1919 im Kölner Schauspielhaus beim "Theaterputsch" gegen das monarchistische Drama "Der junge König" von Raoul Konen. Vor allem aber hat Max Ernst ein Erweckungserlebnis. "An einem Regentag in Köln am Rhein erregt der Katalog einer Lehrmittelanstalt meine Aufmerksamkeit", berichtet Ernst. Fasziniert vom absurd anmutenden Nebeneinander von Elementen "so verschiedener Natur", fühlt Ernst sein "Seevermögen plötzlich so gesteigert, dass ich die neuentstandenen Objekte auf neuem Grund erscheinen sah".

Fortan interessiert er sich für die Collage, "die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene".

Werke vor der Vernissage entfernt

Präsentieren will Max Ernst seine neue Kunst in einer von der "Arbeitsgemeinschaft Kölner Künstler" organisierten Ausstellung im Kunstgewerbemuseum am Hansaring. Als aber der Museumsdirektor sieht, was Baargeld und Max Ernst so vorbereitet haben, entfernt er noch vor der Vernissage entsetzt die seiner Meinung nach anstößigen Werke.

Daraufhin ergreifen "Dadamax" und Baargeld die Initiative: "Die Ausgestoßenen mieten den teilweise dem Regen ausgesetzten Lichthof des Brauhauses Winter in der Schildergasse (mit Zugang durch einen für 'Herren' reservierten Raum)." Die Ausstellung ist eine Provokation auf ganzer Linie. Zur Vernissage rezitiert ein kleines Mädchen im weißen Kommunionskleid obszöne Gedichte. Den unterbreiteten Vorschlag, das Publikum möge ihm nicht gefallende Kunstwerke einfach mit einer Axt zerstören, setzen viele in die Tat um.

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Die polizeiliche Schließung wegen Pornographie und Betrug ist aber nur vorübergehend. Schnell nämlich wird klar, dass es sich beim als pornographisch gemeldeten "nackten Paar" um eine Kopie von Albrecht Dürers Stich "Adam und Eva" handelt. Und der Betrugsvorwurf war damit begründet worden, dass zwar Eintrittsgeld für die Betrachtung von Kunstwerken kassiert, aber keine Kunst gezeigt werde.

Frau und Kind in Köln zurückgelassen

Die Kölner Zeit von Max Ernst endet kurz darauf. Er lässt Frau und Kind zurück, um erst nach Paris und später nach Amerika auszuwandern. Deutschland sollte er erst im Herbst 1953 wiedersehen. "M.E. besucht die Ruinen des heiligen Köln mit gemischten Gefühlen", notiert Max Ernst lapidar. Er geht unter anderem in die Galerie "Der Spiegel" in der Richartzstraße 10. Am 28. Dezember 1962 wird schließlich eine "Werke aus allen Schaffensperioden des Malers" umfassende Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum eröffnet. "In dem gleichen Museum wo der kleine Max vor vielen Jahren Stephan Lochner, Hieronymus Bosch und den Meister des Bartholomäusaltars kennen lernte und geliebt hat", schreibt Max Ernst beglückt: "In der von ihm vielgeliebten und vielskandalisierten Vaterstadt, dem heiligen Köln."

Anselm Weyer (44) ist Historiker, hat als Literaturwissenschaftler promoviert und bietet Stadtführungen in Köln unter anderem zu Heinrich Böll und Irmgard Keun an.

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