Kölner „Reisezeitfaktor“Bus und Bahn brauchen häufig deutlich länger als das Auto

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Die Grafik verdeutlicht wo der ÖPNV gegenüber den Auto noch aufholen muss.

Köln – Warum auf den Bus oder die Bahn umsteigen, wenn es doch mit dem Auto viel schneller geht? Mag es auch für ein schlechtes Öko-Gewissen sorgen: Der Einstieg ins Auto ist verlockend, wenn dabei morgens eine halbe Stunde länger im Bett herausspringt, oder abends die Haustür eine halbe Stunde früher hinter einem zuschlägt. Die Reisezeit kann also zum Hemmschuh für die Verkehrswende werden. Nun hat das „mobility institute berlin“ (mib), das unter anderem auch Verkehrsbetriebe berät, einen Reisezeitfaktor für die elf größten Städte Deutschlands erarbeitet. Köln schneidet mit dem vierten Platz gar nicht mal schlecht ab. Aber: Im Durchschnitt braucht es zum Ziel doppelt so viel Zeit mit dem öffentlichen Personennahverkehr als mit dem Auto. Wie es so ist mit den Durchschnittswerten: Mal liegt die Wahrheit deutlich darunter, mal klar darüber. Das Rennen Auto gegen Stadtbahn ist einigermaßen ausgeglichen, wenn das Wunschziel nah an der Haltestelle einer Stadtbahnlinie liegt. Deutlich erkennbar ist das an einem Fallbeispiel des „mib“. Als Ausgangspunkt wurde Dellbrück gewählt. Der Stadtteil ist gut angebunden an das Netz der Kölner Verkehrs-Betriebe. „Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) insbesondere entlang der Schienenstrecken mit dem Auto konkurrenzfähig ist“, sagt eine Sprecherin des Instituts. Das schreit nach einem „Aber“: „Abseits der Schienenstrecken dauert die fahrt mit dem ÖPNV meist erheblich länger als mit dem Pkw“, so die Sprecherin.

Im Kölner Süden bremst der Rhein den ÖPNV

Erschwerend kommt hinzu: Der ÖPNV in Köln muss eine beachtliche Hürde nehmen, soll es von West nach Ost oder andersherum gehen – wie ein weiteres Fallbeispiel mit dem Ausgangspunkt Zündorf zeigt (siehe Grafik). „Der Rhein erschwert im Süden der Stadt die Ost-West-Verbindung mit dem ÖPNV. Während man mit dem Auto die Autobahnbrücke und die Rheinfähre nutzen kann, wird man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Umweg über das Stadtzentrum geführt“, erläutert die Sprecherin. Doch Moment: Hinkt der unmittelbare Vergleich zwischen Stadtbahn und Auto nicht? Was ist mit der Parkplatzsuche? Das Institut legt dafür auf die Reisezeit mit dem Auto fünf Minuten oben drauf. Das klingt wenig. Was auch daran liegt, dass es sich wieder um einen Durchschnittswert handelt. In ihn fließen sowohl Berufstätige ein, die einen festen Parkplatz an der Arbeitsstätte haben, als auch die, die im freien Spiel der Kräfte einen Stellplatz suchen müssen. Die übliche Staulage aus Vor-Corona-Zeiten ist ebenfalls bedacht. Für Bus und Bahn wird ein Faktor für den Weg zur Haltestelle mit auf die Waage gelegt.

Der so zustande gekommene Reisezeitindex von zwei wird von dem Leiter des „mib“, Torben Greve, eingeordnet: „Die Ergebnisse zeigen, dass es auch in Köln Potenziale gibt, den ÖPNV zu beschleunigen und auf wichtigen Relationen attraktiver zu gestalten. Notwendige Weichen für die zukünftige Mobilität der Kölner müssen heute schon gestellt werden. Der gezielte Ausbau des Schienennetzes ist ein wichtiger Hebel, um in Zukunft ein noch attraktiveres ÖPNV-Angebot zu gewährleisten.“

Diese Erkenntnis ist mittlerweile so weit verbreitet, dass sie als Binsenweisheit bezeichnet werden kann. Natürlich weiß die KVB um das Problem und mögliche Lösungen: „Die Reisezeit spielt bei unseren Verkehrsplanungen stets eine entscheidende Rolle“, sagt KVB-Sprecher Matthias Pesch. „Wir wissen, dass der ÖPNV dort seine Stärken hat, wo die Bedingungen für den Autoverkehr schwierig sind, etwa im Innenstadtbereich. Und dort, wo die Stadtbahnen auf unabhängigen Bahnkörpern oder in Tunneln unterwegs sind, was leider nicht überall möglich ist“, führt er aus. Seine Fallbeispiele: „Wer beispielsweise auf der Aachener Straße Richtung Innenstadt fährt, ist mit der Linie 1 mindestens genauso schnell unterwegs wie mit dem Auto. Entlang der Venloer Straße ist die Stadtbahn im Tunnel im Vorteil, auf der Linie 12 in Zollstock dagegen hat das Auto die Nase vorn.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Und wenn er seinen Blick auf das gesamte Netz weitet? „Auf den wichtigen Achsen mit einer großen Fahrgastnachfrage sind wir, was die Reisezeiten angeht, gut aufgestellt. Auf anderen Strecken, vor allem in den Außenbereichen der Stadt, gibt es dagegen Handlungsbedarf“, sagt Pesch. Aber wie kann die Bahn im Rennen mit dem Auto aufholen? Vorrangschaltung für Bus und Bahn sowie enge Taktungen zählt Pesch da unter anderem auf. Und: „Für eine Attraktivierung des ÖPNV sind unabhängige Bahnkörper oder Tunnelstrecken ideal, wo die Bahnen schnell und ohne Störungen fahren können. Das gilt aus unserer Sicht auch bei den Planungen für die Ost-West-Achse“, so der KVB-Sprecher. Tja, und da kommt ein weiterer Hemmschuh ins Spiel, den das Berliner Institut für Köln nicht auf den Schirm hatte: die Politik. Die größte Fraktion im Rat lehnt den Tunnel ab und könnte für diese Position im Rat eine Mehrheit finden. Der neue Verkehrsdezernent Ascan Egerer, der im November auf Vorschlag der Grünen seinen Dienst antritt, steht dem Tunnel kritisch gegenüber.

Rundschau abonnieren