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Kölner Gesundheitszentrum für MigrantenLeiter Musa Deli hört zu und hilft

Lesezeit 4 Minuten
Guter Zuhörer: Musa Deli leitet das Gesundheitszentrum für Migranten in der Schaafenstraße.

Guter Zuhörer: Musa Deli leitet das Gesundheitszentrum für Migranten in der Schaafenstraße.

Köln – Die Probleme der Welt sammeln sich auf etwa 20 Quadratmetern. So groß ist das Büro von Musa Deli (37), Leiter des Gesundheitszentrums für Migrantinnen und Migranten, in der Schaafenstraße. Wenn ihm die Menschen von ihren Schwierigkeiten berichten, sitzt der Kölner in seinem ockergelben Sessel und hört zu. Die Wand schmückt eine große Weltkarte. „Wir sind offen für alle“, sagt Deli.

Einzigartiges „Auffangbecken“

Noch immer ist das Gesundheitszentrum, betrieben vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, einzigartig in Deutschland. Und das, obwohl die Einrichtung seit 25 Jahren besteht. Als „Auffangbecken“ sieht Musa Deli sein Zentrum. Es ist eine beliebte Anlaufstelle für türkisch- und russischsprachige Menschen.

„Im Wartezimmer sitzen Juden, Muslime, Kurden Türken, Armenier und Griechen friedlich zusammen. Darauf sind wir sehr stolz“, sagt Deli. Die Probleme sind vielfach ähnlich.

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Krisenintervention als Hauptarbeit

Egal ob Spielsucht, Angststörungen, Jobverlust, Diskriminierung, Depressionen oder häusliche Gewalt. In ihrer Not wenden sich viele Migranten zuerst an das Gesundheitszentrum. „Krisenintervention ist unsere Hauptarbeit. Denn die Wartezeit bei türkischsprachigen Therapeuten liegt bei etwa zwei Jahren“, weiß Deli.

Das Gesundheitszentrum

230 Klienten besuchen durchschnittlich pro Quartal die Beratungen beim Gesundheitszentrum für Migrantinnen und Migranten, manche von ihnen wöchentlich. Hinzu kommen nach eigenen Angaben etwa 1000 telefonische Beratungen. Zum Angebot gehören neben den Beratungsgesprächen unter anderem betreutes Wohnen für Menschen mit psychischer Erkrankung und Informationen über das deutsche Gesundheitssystem. Seit 2009 wird das Zentrum vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) als Sozialpsychiatrisches Kompetenzzentrum Migration (SPKoM) für die Stadt Köln anerkannt und gefördert.

Gegründet wurde das Zentrum, das sich in der Schaafenstraße befindet, im Jahr 1995. Geleitet wird es seit knapp einem Jahr von Musa Deli, unterstützt wird er von acht Mitarbeiterinnen. Das Team bietet auch Unterstützung bei der Gründung von verschiedenen Selbsthilfegruppen an.

Morgens um neun Uhr öffnet der Therapeut seine Bürotür für die erste Beratung. Bis zu zehn Gespräche führt er pro Tag. Manchmal blickt er tief in Abgründe. „Manchmal reicht schon ein Gespräch, weil jemand da ist, der zuhört. Wir wollen die Menschen aufbauen“, beschreibt er das Ziel seiner Arbeit. Pro Quartal leistet das Team rund 230 Beratungsgespräche.

„Es gab Sprachbarrieren, aber auch kulturelle und institutionelle Hürden“

Die Anfänge des Zentrums kennt Musa Deli selbst nur vom Hörensagen, er hat die Leitung im Juni 2019 von Arif Ünal übernommen. Ende der 1990er Jahre sei es insbesondere darum gegangen der Generation der Gastarbeiter die Scheu vor dem deutschen Gesundheitssystem zu nehmen.

„Es gab Sprachbarrieren, aber auch kulturelle und institutionelle Hürden“, weiß Deli. Gerade für türkische Männer koste der Weg zur Beratung eine Menge Überwindung, weil das Hilfsersuchen als Schwäche interpretiert werden könne. Hinzu kämen zuweilen „völlig irrationale Ängste“, so Deli. Manche Migranten hätten damals den Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder befürchtet, sollten sie bei einer Therapie von familiären Problemen erzählen.

Große Nachfrage

Zu den ersten Handlungen der Verantwortlichen gehörte nach der Gründung die Herausgabe eines Gesundheitswegweisers mit einer Liste türkischsprechender Ärzte und Therapeuten. „Inzwischen wollen viele Ärzte gar nicht mehr in der Broschüre genannt werden, weil sie sich vor Anfragen kaum retten können“, erzählt Deli. Die Nachfrage ist immens, denn in Köln spielt Migration bei rund 30 Prozent der Menschen eine Rolle in der familiären Biografie.

Manchmal sitzen junge Männer im Büro von Musa Deli. Sie führen ein Leben auf Pump, fahren ein schickes Auto, kümmern sich wenig um ihre Ausbildung, entwickeln eine Spielsucht, um sich auf einen Schlag der finanziellen Nöte zu entledigen . Deli beschreibt sie als „egoistisch und empathielos“, jahrelang verhätschelt von „Helikoptereltern“. „Es tut mir immer weh, wenn Jugendliche ihr Leben vergeigen“, sagt Deli, selbst Vater von zwei Kindern.

Musa Deli als Vorbild

Im Grunde eignet sich der Leiter des Gesundheitszentrums vor allem für Jugendliche hervorragend als Vorbild. In der Stegerwaldsiedlung in Mülheim ist er aufgewachsen. „Im Keller gab es eine Gemeinschaftsdusche, die Toilette mussten sich 20 Personen teilen“, erinnert er sich. Weil seine Eltern kaum Deutsch sprachen und sich mit dem Schulsystem nicht auskannten, schickten sie ihn trotz Gymnasialempfehlung auf die Hauptschule. „Aber mir war das zu wenig“, sagt er.

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Bei den Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB) lernte er Industriemechaniker. Nebenbei machte er auf der Abendschule sein Abitur, dann studierte er Sozialwissenschaften und Sozialpsychologie. „Eine heftige Zeit. Aber ich wollte der erste in meiner Familie sein, der das Abitur schafft und studiert“, erzählt er. Talent und Ehrgeiz haben ihn damals auch zu einem passablen Boxer werden lassen. Von den Faustkämpfern Kalk wechselte er bald zu Bayer Leverkusen.

Neuerdings kümmert sich das Zentrum immer öfter um pflegebedürftige Menschen der Gastarbeiter-Generation. Viele seien nach dem Berufsleben in die Heimat zurückgekehrt. Sobald sie pflegebedürftig werden, müssten sie jedoch zurück nach Deutschland kommen, weil die türkische Pflegekasse für sie nicht aufkommt. Das Gesundheitszentrum schult deutsche Pfleger für den „kultursensiblen“ Umgang mit diesen Menschen.

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