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Kölner Selbsthilfegruppe„Frauen werden unter der Geburt oft unter Druck gesetzt“

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Manchmal erleiden Frauen ein Geburtstrauma.

Manchmal erleiden Frauen ein Geburtstrauma.

Köln – Familienbegleiterin und Sexualpädagogin Nicole Ebrecht-Fuß (43) leitet in Ehrenfeld seit sieben Jahren ehrenamtlich eine Selbsthilfegruppe für Frauen, die ein traumatisches Geburtserlebnis hatten. Henriette Westphal hat mit ihr über das Thema Gewalt unter der Geburt gesprochen.

Was haben die Frauen erlebt, die in Ihre Selbsthilfegruppe kommen?

Erstmal muss man sich bewusst machen: Geburt ist Sexualität. In dieser Situation braucht es Intimität und Privatsphäre. Die gibt es in Kliniken sehr wenig – und 98,7 Prozent aller Frauen bringen ihre Kinder im Krankenhaus zur Welt. Wir nennen das, was dort passiert, Interventions-Kaskade. Bei neuneinhalb von zehn Frauen wird immer ein Eingriff gemacht. Das beginnt damit, dass Wehen oft mit Medikamenten eingeleitet werden, ohne darauf zu warten, was der Körper selbst macht. Auch das kann für manche Frauen schon traumatisch sein, wenn sie die Kontrolle abgeben.

Ab wann sprechen Sie von Gewalt unter der Geburt?

Verbale Gewalt ist in Kliniken an der Tagesordnung: „Stellen Sie sich nicht so an“ ist ein Standardsatz. Frauen werden unter der Geburt oft unter Druck gesetzt, obwohl sie eigentlich Schutz und Ruhe bräuchten. Etwa wenn Frauen zum Kaiserschnitt gedrängt werden oder Ärzte ungefragt einen Dammschnitt machen. Das passiert tatsächlich sehr oft. Ich habe Klientinnen, die im OP festgeschnallt werden. Einzelne wurden sogar ohne wirkende Narkose operiert. Zu psychischer Gewalt zählt auch, dass viele Frauen unter der Geburt allein gelassen werden.

Woran liegt das?

Oft liegt es an den katastrophalen Arbeitsbedingungen für die Geburtshelfer, an Personalmangel und Überforderung. Eine Hebamme betreut ja im Kreißsaal nicht nur eine Frau, sondern im Normalfall drei bis sechs Frauen gleichzeitig. Ihnen kann man deshalb keinen Vorwurf machen. Ich berate auch Kliniken und Ärzte, wie Geburtstraumata verhindert werden können.

Wie ist die Reaktion auf ein Geburtstrauma?

Jedes traumatische Erlebnis kratzt am Selbstwertgefühl. Die Frauen erleben einen Kontrollverlust, haben auch danach noch Ohnmachtsgefühle. Viele geben sich selbst die Schuld, wenn es etwa zu einem Kaiserschnitt kommt. Sie zweifeln an ihrem Frausein, an ihrer Weiblichkeit. Das geht sogar so weit, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind gestört sein kann.

Wie können Sie den Frauen helfen?

Letztlich heilen wir uns selbst – ich gebe den Frauen heilsame Impulse in die richtige Richtung, jede hat ihre eigene Art, so etwas zu verarbeiten. Für manche ist es bereits heilsam, zu merken, dass man mit dem Erlebten nicht allein ist. Einige kommen direkt nach der Geburt, bei anderen kommt es erst am ersten Geburtstag ihres Kindes hoch oder bei der nächsten Schwangerschaft.

Was muss Ihrer Meinung nach getan werden?

Ich beobachte, dass es immer mehr Fälle in Köln werden, mittlerweile habe ich für meine Begleitungen einen Monat Wartezeit. Zum Glück rückt das Thema Gewalt unter der Geburt langsam aus der Tabu-Ecke heraus. Ich wünsche mir, dass es mehr Hebammen gibt. Sie müssen so bezahlt und wertgeschätzt werden, dass sie ihren Beruf mit der nötigen Ruhe und Ehrfurcht ausüben können. Die Geburt ist ein prägendes Ereignis im Leben jeder Frau und das muss in unsere Gesellschaft wieder in den Fokus rücken.

Noch bis zum heutigen Dienstag läuft eine Bundestagspetition, die sich für eine Geburtshilfereform und gegen Gewalt einsetzt. Weitere Informationen gibt es im Internet unter folgender Adresse www.gerechte-geburt.de.

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Kontrollverlust und enttäuschte Erwartungen

Professor Dr. Werner Neuhaus ist Chefarzt der Frauenklinik im Krankenhaus Holweide, die zweitgrößte Geburtsklinik in Köln. Auch er und seine Kollegen bieten Gespräche an, wenn eine Geburt von Frauen als traumatisch erlebt wurde.

Kontrollverlust, Schmerzen und „enttäuschte Erwartungen im Zusammenhang mit operativen Entbindungen“ seien die häufigsten Themen, die Frauen nach der Geburt beschäftigen, sagt Neuhaus. Erstgebärende seien eher betroffen. Ein traumatisches Geburtserleben sei aber keineswegs immer Resultat eines Fehlverhaltens von Geburtshelfer oder Hebamme. „Es ist häufig situativ begründet, insbesondere in Notfallsituationen, die in der Geburtshilfe auch unangekündigt auftreten können.“

„Stellen Sie sich nicht so an“ dürfe selbstverständlich kein Standardsatz sein. „Wir sind auch in dem engen Rahmen einer Klinik bemüht, dem Aspekt von Intimität und Privatsphäre Rechnung zu tragen. Jeder in der Geburtshilfe Tätige muss sich dessen immer bewusst sein.“ In Holweide versuche man deshalb Konzepte wie Beleghebammen, Familienzimmer und unmittelbares „Bonding“, also den Körperkontakt zwischen Mutter und Kind, auch nach einem Kaiserschnitt umzusetzen.

Personalmangel und „forensischer Druck“ seinen Entwicklungen, die es zu einem Spagat werden lassen, die unterschiedlichen Anforderungen an das Kreißsaal-Team zu bedienen. Die Forderung nach mehr Hebammen und einer adäquaten Vergütung und Wertschätzung könne nur unterstützt werden. „Wir alle wünschen uns zufriedene Elternpaare mit gesunden Kindern“, so Neuhaus.

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