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Kölner TrauerhausMit 28 Jahren Bestatter – So kam Simon Solde zu seinem Beruf

Lesezeit 4 Minuten
Erste Berufserfahrung sammelte der heute 28 Jahre alte Simon Solde bei einem Schülerpraktikum mit 16.

Erste Berufserfahrung sammelte der heute 28 Jahre alte Simon Solde bei einem Schülerpraktikum mit 16.

Köln – Plötzlich stand das Wort an der Tafel. „Es war eher so eine Schnapsidee“, sagt Simon Solde. Vor ihm war sein Kumpel dran gewesen. Der hatte „Fußballkommentator“ geschrieben als Antwort auf die Frage, in welchem Beruf er gerne ein Praktikum machen möchte.

„Ich wollte auch etwas Cooles machen“, erinnert sich der heute 28-Jährige. Da hatte er spontan „Bestatter“ mit Kreide geschrieben. Die Lacher waren damals auf seiner Seite. Doch aus der Schnapsidee wurde nüchterne Abwägung und aus den Lachern schließlich der sogenannte Ernst des Lebens. Simon Solde ist heute Bestatter und Trauerredner als Freier Mitarbeiter im Trauerhaus Müschenborn.

Erschrocken, als der Tote plötzlich die Augen öffnete

Sicherlich hätte er damals als 16-Jähriger auch wieder zurückziehen können. Sein Berufswunsch wäre gewiss als Ulk abgetan worden. Doch Simon Solde ist nicht der Typ für Rückzieher. Er hat durchgezogen, er hat ein Praktikum bei einem Bestatter gemacht.

„Dort habe ich meinen ersten Verstorbenen gesehen“, sagt der junge Mann mit einer Unaufgeregtheit, als hätte er als Kochpraktikant sein erstes Ei in die Pfanne gehauen. Als er das Frösteln bemerkt, beruhigt er sogleich: „Ich wurde gut auf diesen Moment vorbereitet.“ Der Bestatter habe ihm in aller Ruhe erklärt, was er gleich zu sehen bekomme, beispielsweise die roten Flecken im Gesicht des Toten, weil der zu lange kopfüber gelegen habe. Nein, abgestoßen habe ihn das damals nicht. Obwohl: „Extrem erschrocken war ich, als der Tote plötzlich die Augen öffnete.“ Ein Effekt, der je nach Lage der Leiche eintreten kann.

Wollte immer was mit Menschen machen

Mag es ihn auch nicht abgestoßen haben, gepackt hat es ihn auch nicht, was er damals über den Beruf erfuhr. Das kam erst beim zweiten Anlauf, bei einem weiteren Praktikum im Unternehmen seines späteren Lehrmeisters. „Hier hatte ich auch Kontakt zu den Hinterbliebenen. Ich durfte bei Gesprächen dabei sein.“

Und schnell kristallisierte sich heraus, was das private Umfeld von Simon Solde schon lange wusste: Der junge Mann kann auf Menschen eingehen. Zuhören, an der richtigen Stelle die richtigen Worte finden, mitfühlen, aber nicht mitleiden. „Eine Freundin meiner Mutter hatte immer geraten, ich sollte etwas mit Menschen machen.“

Mit 22 Jahren die erste Trauerrede gehalten

Es war noch in diesem Praktikum, als plötzlich die Türe des Trauerhauses Müschenborn aufging und ein Vater eintrat, dessen Kind bei der Geburt gestorben war. Es gab kein Ausweichen. Solde war allein, alle anderen auf Termin. „Ich habe gespürt, wie wichtig es ihm war, darüber zu sprechen, das alles mal los zu werden.“ Danach wusste der junge Mann, dass er seinen Beruf gefunden hat.

Ein offenes Ohr und ein mitfühlendes Herz – auch wenn der 28-Jährige das alles mitbringt, leicht von der Hand geht ihm sein Beruf deshalb nicht. Er war 22 Jahre alt, als eine Mutter ihn darum bat, die Trauerrede für ihre Tochter zu halten. Er sei doch vom Alter her noch so nah dran. Die Tochter hatte mit 24 Jahren Selbstmord begangen.

Schnell Gesprächsthema auf Partys

Nähe, ist das nicht das Schlimmste, was einen Bestatter und vor allem einem Trauerredner passieren kann? „Tränen sind okay, ich darf nur nicht die Sprachfähigkeit verlieren“, sagt Solde ganz professionell. Wo ihm die Worte fehlen würden? „Ich könnte nicht die Trauerrede für meine Eltern halten.“

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Und manchmal stellt sich die Nähe ganz schlagartig ein, manchmal trifft etwas so tief ins Herz, dass alle professionelle Herangehensweise wankt. Wie bei der Beerdigung des neunjährigen Jungen, bei der die ganze Grundschule am Grab stand. „Atemübungen, wegdenken“, sagt Solde, als würde er ein Handbuch zitieren. Doch sein Blick weicht aus. Diese Beerdigung, diese Schüler gehen ihm bis heute nach.

Simon Solde steht zu seinem Beruf. Wenn er gefragt wird, sagt er, was er macht. „Klar, das ist schnell Thema auf Partys.“ Die Fragen seien dann im Grunde immer die selben. „Das dreht sich im Kreis.“ Er kann damit umgehen. Der Beruf habe ihn reifen lassen. Und wie hält er es mit dem Tod? Schaut er gelassener dem Ende entgegen, weil er schon so viele Verstorbene gesehen, berührt hat? „Der Tod hat für mich nicht an Schrecken verloren, aber das Leben hat an Bedeutung gewonnen.“

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