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Leitfaden der StadtDer Gender-Stern * erobert die Amtssprache in Köln

Lesezeit 4 Minuten
Gender

Die Schreibweise mit „Genderstern“  

Köln – Die Amtssprache der Kölner Stadtverwaltung steht vor ihrer wohl größten Veränderung seit Jahrzehnten. Seit März wird die gesamte Kommunikation der Stadt „geschlechterumfassender, wertschätzender und diskriminierungsfreier“ gestaltet. Das Gleichstellungsamt und das Amt für Integration haben dafür einen 56-seitigen Leitfaden verfasst (wir berichteten). Darin wird den rund 19 500 Beschäftigen erläutert, wie eine „gendergerechte“ Sprache aussieht. Auch was im Umgang mit Menschen mit Behinderungen oder in Bezug auf Religion sowie kulturelle und ethnische Herkunft zu beachten ist, wird vermittelt.

Konkret soll die Verwaltung künftig in Briefen, Broschüren und Formularen, aber auch in gesprochener Sprache so kommunizieren, dass sich alle diskriminierungsfrei angesprochen und wertgeschätzt fühlen. Empfohlen werden neutrale Begriffe wie „Mitarbeitende“ statt Mitarbeiter,„Studierende“ statt Studenten, „Bewerbende“ statt Bewerber, „Radfahrende“ statt Radfahrer.

Formulierungshilfen

Der Leitfaden gibt viele Tipps, wie sich die männliche Form vermeiden lässt: Alle statt jeder, niemand statt keiner, betroffene Person statt Betroffener, Kollegium statt Kollegen, Einwohnende statt Einwohner, Kundschaft statt Kunden. Statt Anwaltskosten sagt man „Kosten für Rechtsberatung“, statt Arztgeheimnis „Ärztliche Schweigepflicht“. Auch die Nutzung des Plurals ist eine Möglichkeit: die Antragstellenden statt der Antragsteller.

Alles zum Thema Henriette Reker

Der Begriff Flüchtling wird in der wertschätzenden Sprache durch Geflüchteter ersetzt, statt Asylant (was vielen ohnehin als abwertend gilt) wird „asylbegehrender Mensch“ empfohlen. „Farbiger“ ist tabu, stattdessen sagt man schwarze Menschen oder „People of Colour“. (fu)

Wo das nicht möglich ist, setzt die Stadt auf den Asterisk – das so genannte „Gender-Sternchen“. Künftig heißt es also Bürger*innen, Schüler*innen oder Wähler*innen. Auf diese Weise sollen nicht nur Bürger und Bürgerinnen oder Schüler und Schülerinnen angesprochen werden, sondern auch Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen.

Seit Januar 2019 können sie ihr Geschlecht im Personenstandsregister als „divers“ oder „keine Angabe“ eintragen lassen, dies haben in Köln laut Stadt bisher acht Personen getan. Das Bundesverfassungsgerichts hatte mit einem Urteil von 2017 für eine Gesetzesänderung gesorgt. Seit 2019 ist als Geschlechtsangabe in den Personenstandsregistern neben weiblich oder männlich auch divers oder kein Eintrag möglich.

In der gesprochenen Sprache wird der Gender-Stern durch eine kurze Sprechpause ausgedrückt, den so genannten „glottalen Stopp“, benannt nach der Stimmritze (griechisch Glottis). Man sagt also: Bürger – (Pause) – innen, wenn man deutlich machen will, dass man nicht Bürgerinnen meint, sondern mit dem Gender-Stern alle Menschen anspricht. Das englische Wort „Gender“ (Geschlecht) beschreibt hier laut Stadt das „soziale Geschlecht“, das sich unabhängig von biologischen Merkmalen äußern könne. Als „transgender“ werden Menschen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität oder „soziales Geschlecht“ ein anderes ist als ihr biologisches Geschlecht.

Reden, wie der Schnabel gewachsen ist?

Mit dem neuen Leitfaden reagiert die Stadt explizit auf das Verfassungsgerichtsurteil. Als „viertgrößte Kommune und Hauptstadt des bunten und vielfältigen Lebens“ wolle Köln alle Menschen gleichermaßen ansprechen. Hannover hatte bereits 2019 Empfehlungen für eine gendergerechte Amtssprache veröffentlicht. Städte wie Frankfurt zogen nach und damit häufig auch Kritik auf sich. Viele der Sprachkreationen seien „grammatisch, ästhetisch, aber auch mit Blick auf den behaupteten gesellschaftlichen Nutzen derart zweifelhaft, dass sich jede Nötigung zu ihrem Gebrauch verbieten sollte“, kommentierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Als Stuttgart 2020 Regeln vorlegte, schimpfte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) über „Sprachpolizisten“ in Baden-Württembergs Landeshauptstadt. Jeder solle reden dürfen, „wie ihm der Schnabel gewachsen ist“.

„Verständlich, empathisch, in einfachen Sätzen formulieren“

Der Kölner Leitfaden wird ergänzt durch eine 28-seitige Broschüre mit Praxistipps und einen achtseitigen Flyer „Kurz und knapp“. Darin finden sich nicht nur Formulierungshilfen wie „Leitung“ statt „Leiter“ oder „Teilnehmende“ statt „Teilnehmer“ (siehe Infotext). Es wird auch erklärt, dass es Menschen im Rollstuhl verletzen könnte, wenn man ihnen sagt: Gehen Sie zum Ausgang. Hier wird „Begeben Sie sich ...“ empfohlen.

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Die Stadt ruft ihre Beschäftigten im Leitfaden auch dazu auf, „im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltungssprache Sachverhalte verständlich, empathisch und in einfachen Sätzen zu formulieren“. Müsste es da nicht „bürger*innenfreundlich“ heißen? Jedenfalls ist es ein ernst zu nehmender Rat für all jene, die in die Vorlagen für den Stadtrat ellenlange komplizierte Schachtelsätze schreiben.

Die neue Gendersprache soll nach und nach Einzug halten, vorhandene Vordrucke und Broschüren werden erst noch aufgebraucht. Oberbürgermeisterin Henriette Reker sagte der Belegschaft: „Sicher werden wir am Anfang nicht immer richtig formulieren und auch Fehler machen, aber wir werden üben und dabei gemeinsam lernen, die Sprache der Vielfalt besser zu sprechen und zu schreiben.“

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