Letzte-Hilfe-KursWie es sich anfühlt, einen Menschen beim Sterben zu begleiten

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Nicht alleine zu sein, wenn das Leben zuende geht, ist wichtig. Viele Menschen haben aber Angst, etwas falsch zu machen.

Nicht alleine zu sein, wenn das Leben zuende geht, ist wichtig. Viele Menschen haben aber Angst, etwas falsch zu machen.

Köln – Der „Letzte-Hilfe-Kurs“ im St.Vinzenz-Hospital in Nippes soll den Teilnehmern zeigen, wie sie ihnen nahestehende Menschen beim Sterben begleiten können. Rundschau-Redakteurin Diana Haß hat  am Kurs teilgenommen.

Es ist ein sonniger Sommer-Samstagmorgen. Normalerweise würde ich vielleicht über den Markt schlendern, noch am Frühstückstisch lümmeln oder entspannt mit den Nachbarn plaudern. Stattdessen hocke ich mucksmäuschenstill an einem Einzeltisch im Mariensaal des St. Vinzenz-Hospitals in Nippes.

Weiteres Kursangebot im Oktober

Als Team halten Oliver Blaurock, Quirin Sailer und Monika Hecker die Kurse ab.

Als Team halten Oliver Blaurock, Quirin Sailer und Monika Hecker die Kurse ab.

Viel Informationen und Inspirationen hätten sie während des Kurses erhalten, urteilten die Teilnehmenden übereinstimmend in der Schlussrunde.

Die Angst davor, „Letzte Hilfe“ zu leisten, sei geringer geworden durch das vermittelte Wissen. Angst habe man vor allem vor dem Unbekannten, stellte Kursleiter Oliver Blaurock fest.

Eine Teilnahmebestätigung erhielten alle am Ende des Letzten-Hilfe-Kurses. Sie listet die Themen auf.

Nochmals bietet das St. Vinzens-Hospital einen kostenfreien Letzten Hilfe-Kurs am Samstag, 8. Oktober an. Wer teilnehmen möchte, mailt an quirin.sailer@cellitinnen.de.

Das Konzept für den stark strukturierten Kurs „Letzte Hilfe“ entwickelte der Mediziner Dr. Georg Bollig. Seine Definition: Maßnahmen zur Hilfe bei lebensbedrohlichen Erkrankungen mit dem primären Ziel, der Linderung von Leiden und Erhaltung von Lebensqualität.Die Idee eines Letzte Hilfe Kurses beschrieb er erstmals 2008 bei seiner Masterarbeit in Palliative Care.

Den ersten Kurs gab es 2014 in Norwegen. In Deutschland wurde er erstmals 2015 angeboten. Inzwischen werden nach dem Konzept weltweit Menschen ausgebildet. Mehr als 20000 haben die „Letzte-Hilfe-Kurse“ bisher besucht.

Eine Übersicht über Kurse nach Bundesländern findet man online. Dort gibt es auch noch mehr Informationen und die Hintergründe zu den „Letzte-Hilfe-Kursen zu lesen. (dha)

www.letztehilfe.info

Auch die zehn weiteren Frauen und drei Männer, die mit mir hier sitzen, sprechen nicht. Dafür flößt uns das Thema, um das es heute geht, zu viel Respekt ein. Es geht ums Sterben. Wir sind im „Letzte-Hilfe-Kurs“.

Vierstündiger Kurs

„Es ist ein strukturierter Kurs nach Dr. Bollig. Wir halten uns an das Konzept und werden nicht abweichen“, erklärt Oliver Blaurock, Palliativmediziner am St. Vinzenz. Zusammen mit Krankenhausseelsorger Quirin Sailer und Intensiv-Krankenschwester Monika Hecker leitet er das kostenfreie Angebot.

Eine Powerpointpräsentation verdeutlicht die Themenblöcke , die während der vier Stunden abgehandelt werden. Es geht um: Sterben als ein Teil des Lebens, vorsorgen und entscheiden, Leiden lindern und Abschied nehmen.

„Habe Angst, was auf mich zukommt"

„Es geht darum, für den Fall der Fälle gut aufgestellt zu sein“, erläutert Seelsorger Sailer. Dann stellen wir Teilnehmenden uns vor. Warum sind wir hier? „Ich habe mich so hilflos gefühlt, als ich eine krebskranke Freundin begleitet habe“, sagt eine Mittfünfzigerin.

„Meine Mutter ist alt und krank“, sagt ein etwa Sechzigjähriger. „Ich will gewappnet sein“, begründet eine etwa Dreißigjährige. „Ich habe Angst, was auf mich zukommt. Meine Eltern sind alt“, sagt eine andere Frau. Auf zwischen 30 und Ende 60 schätze ich das Alter in unserem Kreis. Fast alle sind wie sie betonen „privat“ hier. Ich fühle mich entspannter: Wir sitzen alle im selben Boot.

Letzte Hilfe umfasst auch Dinge lange vor dem Tod

„Der Kurs zielt auf ein Verständnis des Todes ab“, sagt Blaurock. Die Dozenten wechseln sich ab, sprechen von persönlichem Erleben, liefern viele Fakten. Zwischendurch dürfen wir Fragen stellen. „Das Begleiten am Ende ist wichtig“, so die Erfahrung der Intensiv-Krankenschwester.

Dabei ist Lebensende weiter gefasst als die Zeit unmittelbar vor dem Tod. „Letzte Hilfe“ umfasst auch Dinge, die zum Teil lange vor dem Tod erledigt werden sollten − eine Patientenverfügung erstellen, eine Vorsorgevollmacht.

Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

Wir lernen, dass Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung nicht notariell unterzeichnet werden müssen. „Sparen Sie sich das Geld. Nehmen Sie sich lieber Zeit“, sagt Blaurock und macht klar, „Das können Sie nicht mal kurz am Sonntagnachmittag machen.“

Je genauer man eine Patientenverfügung verfasse, desto besser sei das. „Tauschen Sie sich aus“, rät Sailer. Der Mensch, der die Vorsorgevollmacht hat, müsse den Unterzeichnenden gut kennen. „Als Bevollmächtigter muss man von den eigenen Bedürfnissen Abstand nehmen. Deshalb schauen Sie, ob Sie in der Lage sind, die Vollmacht zu übernehmen“, sagt der Mediziner.

Grundlagen über Palliativ-Versorgung und Hospize

Im Zweifel ist ein anderer Mensch vielleicht besser geeignet. Wenn es im Krankenhaus gelte, Entscheidungen zu treffen, rät Blaurock den Bevollmächtigten resolut: „Lassen Sie sich nicht verunsichern von einem weißen Kittel!“

Nachdem wir Grundlegendes über ambulante und stationäre Unterstützung am Lebensende − also über Palliativversorgung, Hospize und Hospizdienste − erfahren haben, gehen wir in die Pause. Leckere Wraps, Müsli-Riegel, Obst, warme und kalte Getränke hat die Ethikgruppe des Krankenhauses zur Verfügung gestellt.

Möglichkeiten um Leid zu lindern

„Das hätte ich wirklich nicht erwartet. Toll, wie wir hier verpflegt werden“, sagt ein Mann während wir gelöst und vertraut in der Sonne vor dem Mariensaal auf den Stufen sitzen.

Gestärkt erfahren wir dann wie wir „Leiden lindern“ können. Es gibt viele Möglichkeiten. „Man kann ein Tuch unter eine schmerzende Stelle legen, bei Atemnot hilft es, den Oberkörper höher zu legen oder die Arme auszubreiten. Gegen Übelkeit kann Ingwer helfen“, zählt Decker auf, „Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl. Sie kennen ja den Menschen, achten Sie darauf wie er reagiert.“

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Wenn Atemgeräusche ihnen sehr zusetzen, dann sollten Begleitende „ruhig mal rausgehen“. Ganz wichtig für sie: Auf sich selbst aufpassen. Für Essen und Trinken sorgen und sich Verbündete suchen. Menschen, die den Begleitenden mal in den Arm nehmen.

Auf Lebensqualität am Lebensende achten

Je mehr sich ein Mensch dem Tod nähert desto mehr nimmt oft sein Hunger- und Durstgefühl ab. Ein natürlicher Prozess, der für Begleitende häufig schwer auszuhalten ist. „Wer keinen Hunger hat, kann nicht verhungern. Wer keinen Durst hat, kann nicht verdursten“, betont Mediziner Blaurock. Dennoch habe Essen auch noch andere Bedeutungen über Nahrungsaufnahme hinaus. „Teil einer Gemeinschaft zu sein, ist wichtig für Menschen. Vielleicht essen Sie am Bett?“, schlägt Sailer vor.

Lebensqualität am Lebensende. Das ist möglich, erfahren wir. Mit kühlenden Stäbchen, die den trockenen Mund befeuchten beispielsweise. Mit Sprühfläschchen, die den Geschmack des Lieblingsgetränks auf die Lippen bringen. „Brausepulver auf der Zunge mögen manche auch gerne. Zitronenöl und Orangenöl fördert den Speichelfluss bei trockenem Mund“, erklärt Krankenschwester Hecker.

Was passiert nach dem Tod?

Sie warnt aber auch: „Der Mund ist ein sehr sensibler Bereich. Hier müssen Sie sehr achtsam sein und auf Signale achten.“ Wegen Corona probieren wir die Linderungsmaßnahmen im Mund nicht wie sonst üblich aus. Aber die Kursleiterin hat einige der Materialien mitgebracht.

Im letzten Abschnitt unseres Kurses erfahren wir, was nach dem Tod passiert, wann die Totenstarre einsetzt, dass ein Arzt den Tod bescheinigen muss und vieles mehr. Inzwischen stellen wir ungeniert unsere Fragen. Und als die letzte Folie der Powerpoint bescheinigt „Herzlichen Glückwunsch. Sie sind nun ein Letzthelfer“ fühle ich mich gut gewappnet für das, was unausweichlich ist. (dh)

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