Abo

Bürgermeisterin aus Köln-Lindenthal„Es ist richtig, Angst zu haben“

Lesezeit 5 Minuten
Seit elf Jahren an der Spitze des Bezirks: Helga Blömer-Frerker.

Seit elf Jahren an der Spitze des Bezirks: Helga Blömer-Frerker.

  • Helga Blömer-Frerker (74), seit 1994 für die CDU Mitglied der Bezirksvertretung, ist seit 1999 Bezirksbürgermeisterin in Lindenthal.
  • Im Gespräch mit Thomas Dahl zog sie anlässlich der Krise eine Zwischenbilanz.

Frau Blömer-Frerker, wie geht es Ihnen? Gesundheitlich gut, aber mir fehlt der Rhythmus, den ich sonst als Bezirksbürgermeisterin habe. Normalerweise komme ich jeden Tag in mein Büro und habe sehr viele Ortstermine. Ich glaube, wir müssen uns darauf einstellen, über einen längeren Zeitraum, in dem es gilt, Abstand zu halten und Mundschutz zu tragen.

Welche Bilanz ziehen Sie als Politikerin nach zwei Monaten Ausnahmesituation?

Ich nehme wahr, dass meine Kollegen gerne aktiver ihr Mandat ausfüllen würden als sie momentan können. Wir mussten ja leider unsere Sitzung am 16. März absagen, weil wir zum damaligen Zeitpunkt die gesundheitlichen Auflagen nicht umsetzen konnten. Nun haben wir die erste Sitzung in Zeiten von Corona erlebt. Ich musste darauf drängen, dass sie nicht länger als 90 Minuten dauert. Leider mussten wir daher einen Petenten ausladen, der eine Bürgereingabe eingereicht hatte.

Wird die Bezirkspolitik momentan durch übergeordnete Entscheidungen ausgehebelt?

Ich sehe da eine gewisse Tendenz. Manches kann man ja auch mit sogenannten Dringlichkeitsentscheidungen machen (Entscheidungen, für die lediglich Stimmen der Bezirksbürgermeisterin/des Bezirksbürgermeisters sowie eines Parlamentmitglieds notwendig sind. Anm. d. Red.). So geht es aber nicht. Das gesamte Parlament muss entscheiden. Dringlichkeitsentscheidungen dürfen auf keinen Fall die Regel werden. Wir sind auch nicht gut ausgestattet. Wir haben beispielsweise nicht die Möglichkeit einer Telefon- oder Videokonferenz. Wir wollen nicht in dieser reduzierten Formation von lediglich zehn Bezirksvertretern tagen.

Wie gestaltet sich derzeit die Kooperation mit der Verwaltung – etwa bei der Umsetzung von Beschlüssen?

Wir haben der Verwaltung gesagt, dass wir zurück zu den jährlichen Besprechungen über den Stand der Umsetzungen wollen. Es gibt immer noch Entscheidungen, die bereits vor Jahren getroffen worden. Die älteste stammt, glaube ich, aus dem Jahr 2010 – ein Baubeschluss für das Areal hinter dem St. Elisabeth-Krankenhaus, auf dem wir eine Grundschule haben wollen und das kooperative Baulandmodell für günstigen Wohnraum durchsetzen wollten. Da hat noch nichts stattgefunden.

Was muss in Bezug auf das Krisen-Management besser werden, was klappt schon gut?

Unsere Verwaltung im Bezirksrathaus ist vorbildlich. Die machen alles, was sie machen können. Für mich ist sehr bedauerlich, dass ich momentan keine Einbürgerungszeremonien machen kann. Das ist immer ein wunderschöner Termin. Da fühle ich mich ein bisschen allein gelassen.

In Lindenthal gibt es viele Einzelhändler. Gab es einen Dialog mit den Gewerbetreibenden über mögliche Hilfen?

Das tut mir in der Seele weh. Wir hätten da gerne geholfen, konnten dies aber nicht in dem Maße, wie es vermutlich nötig wäre. Aber wir haben in der aktuellen Sitzung beschlossen, die Außengastronomie zu fördern und hoffen, dass dies mit den Bezirksorientierten Mitteln zumindest teilweise dazu beiträgt, Kosten zu decken. Da wir der Bezirk mit der höchsten Einwohnerzahl sind, erhalten wir circa 180000 Euro, die dreimal im Jahr für gemeinnützige Vereine, Institutionen und Schulen ausgeschüttet werden können. Damit helfen wir den Geschäftsinhabern zwar nicht direkt, können aber Initiativen der Betriebe unterstützen und die Einrichtungen so vielleicht publik machen.

Wird es wegen der Pandemie zu Verzögerungen bei der Umgestaltung der Berrenrather Straße kommen?

Bislang nicht. Es müsste noch 2020 losgehen.

Auch die Kunstschaffenden sind derzeit in ihrer Existenz bedroht. Als Initiatorin der Kunsthalle Lindenthal wissen Sie um die Bedeutung der Kunst für eine selbstreflektierende Gesellschaft. Wie kann die Lokalpolitik in diesen Tagen dazu beitragen, dass auch zukünftig hochwertige Projekte verwirklicht werden?

Es wird von unserer Seite immer wieder Nachfragen geben, wie wir den jeweiligen Stätten helfen können. Wir wollen weiter fördern. Wir wollen nicht, dass die Kultur vor die Hunde geht.

Wie nehmen Sie die viel beschworene Solidarität zwischen den Menschen wahr – sind das temporäre Lippenbekenntnisse oder handelt es sich doch um ein Stück wahr gewordene Utopie?

Das wäre schön. Die Leute gehen sehr freundlich miteinander um, rücksichtsvoller, finde ich. Man fühlt sich schon ein bisschen verantwortlich, wenn man den einen oder anderen aus der Nachbarschaft länger nicht gesehen hat. Ich hoffe, das bleibt erhalten.

Corona ist als Schlagwort allgegenwärtig. Wie empfinden Sie die Berichterstattung darüber, was kommt an Themen zu kurz?

Ich höre als ehemalige Biologiestudentin sehr interessiert zu, wenn die Experten etwas sagen. Ich neige zur Vorsicht, weil dieses Virus wirklich sehr gefährlich ist. So lange wir nicht mehr darüber wissen oder einen Impfstoff haben, sollten wir uns jeden Schritt genau überlegen und fragen, was wir dabei riskieren. Es ist richtig, Angst vor solch einem teuflischen Virus zu haben.

Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zur Beschneidung von Freiheitsrechten?

Wir haben das in unserer jüngsten Sitzung am eigenen Leibe erlebt. Wir konnten unser Mandat nicht so ausüben, wie es notwendig wäre. Das ist bitter und man kann es nur ertragen, wenn man weiß, es geht auch wieder vorbei.

Was haben Sie persönlich aus der Krise gelernt?

Ich habe mein Zuhause schätzen gelernt. Ich bin ja sonst viel unterwegs.

Ist Ihrer Meinung nach die Durchführung der Kommunalwahl im September, bei der Sie auch kandidieren werden, realistisch?

Ich wünsche mir, dass die Wahlen am 13. September stattfinden können, denn wir sind schon seit 2014 im Amt. Das ist eine lange Zeit. Normalerweise sind es fünf Jahre.

Rundschau abonnieren