Inklusion an Kölner Schulen„Das Willkommen gilt nicht uns“

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Bücher, die es nicht geben sollte: Sandra Roth las in der katholischen Gemeinde St. Marien.

Bücher, die es nicht geben sollte: Sandra Roth las in der katholischen Gemeinde St. Marien.

Weiden – Sozialkompetenz vermitteln durch den Umgang mit behinderten Kindern? „Ach“, findet eine Mutter aus dem Kölner Westen: „Das brauchen wir jetzt nicht mehr. Wir haben unserem Sohn einen Retriever-Welpen gekauft“. Als Sandra Roth, Mutter einer mehrfach behinderten Tochter, auf dem Wochenmarkt mit einer solchen Bemerkung konfrontiert ist, fehlen ihr die Worte. Lieber verabschiedet sie sich schnell, um ihren Einkauf weiter fortzusetzen.

Das gesellschaftliche Klima ist größte Problem

Was antwortet man, wie gestaltet man seinen Alltag, und welchen Emotionen ist man ausgesetzt, wenn man ein Kind hat, das in unserer Gesellschaft ständig mit Ausgrenzungen konfrontiert ist? Die Journalistin Sandra Roth hat über das Leben ihrer Familie zwei Bücher geschrieben. „Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl“ ist der Titel des ersten, „Lotta Schultüte: Mit dem Rollstuhl ins Klassenzimmer“ heißt das zweite, aus dem sie in der Gemeinde St. Marien vorlas.

Der Rollstuhl, das merkt man als Leser oder Zuhörer schnell, ist – auch wenn er so markant in beiden Buchtiteln auftaucht – noch das geringste Problem. Auch, dass Lotta nicht sehen und nicht aktiv sprechen kann, gehört zu den weniger bedeutenden Schwierigkeiten der Roths. Das, was der Mutter wirklich zu schaffen macht, ist ein gesellschaftliches Klima, das kontinuierlich in den unterschiedlichsten Zusammenhängen ausgrenzt. Und zwar bis heute, über zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention.

Das Willkommen gilt nicht uns

Da ist nicht nur jene Mutter, die ihren Sohn lieber mit einem jungen Hund spielen sieht als mit einem behinderten Jungen. Da ist der Leiter einer inklusiven Grundschule, der sagt: „Der Wickeltisch ist die Grenze.“ Zwar hat die Schule einen Aufzug, einen Raum für Ergotherapie und Erfahrung mit kleinen Rollstuhlfahrern, aber einen Wickeltisch will er nicht aufstellen lassen. Dass das Wickeln des Mädchens eine persönliche Integrationshelferin erledigen würde, sodass die Schule nicht belastet wäre, ist für ihn kein Argument.

So wird der Tag der offenen Tür für die optimistische Mutter zweier Kinder zur bitteren Erfahrung, denn sie merkt: „Das ,Willkommen’ auf den großen bunten Plakaten gilt nicht uns.“ Die dem Namen nach „inklusive Schule“ bietet auch keinen wärmeren Empfang als ein Planetarium, in dem man der Familie mit Blick auf Lotta und ihren Rollstuhl sagte: „Das ist hier verboten.“ Aufhalten lässt sich die Familie davon nicht: Die Eltern tragen ihre Tochter ohne Rollstuhl hinein.

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Das Taxi zwei Wochen vorher bestellen

Dabei könnte alles so anders sein. Das hat Sandra Roth erlebt, als sie mit Lotta und ihrem gesunden Bruder Ben New York besuchte. Barrierefreiheit bedeutet hier, dass es im Museum eine Führung gibt, bei der Lotta mit einbezogen wird, in dem die Mitarbeiterin des Hauses ihr zahlreiche kleine Gegenstände gibt, mit denen sie ertasten kann, worum es gerade geht. Behindertengerechte Taxis fahren in großer Zahl durch die Straßen und sind klar gekennzeichnet. In Deutschland hat die Autorin dagegen die Erfahrung gemacht, dass sie ein solches Taxi zwei Wochen im Voraus bestellen muss. Ein Besucher der Lesung, der lange in New York gelebt hat, bestätigt, dass dies zu seinen Erfahrungen passe: „Die New Yorker sind pragmatisch. Inklusion macht für sie Sinn, weil sie das Praktischste ist.“ Wie einfach es sein kann, zeigen auch die Erfahrungen aus Lottas inklusiver Kita. Was die Kinder dort gelernt haben, geben sie weiter.

„Was wir ändern können, ist unsere Haltung“

Als Lotta, die inzwischen eine Förderschule besucht, von einer Kindergartenfreundin zum Geburtstag eingeladen wird, schaut eines der fremden Mädchen sie zunächst skeptisch an. Zwei Stunden später geht sie mit ihr genauso unbefangen um wie jene Kinder, die mit ihr aufgewachsen sind.

„Politische Rahmenbedingungen zu ändern, erfordert langfristiges Engagement. Aber was wir direkt ändern können, das ist unsere Haltung“, mahnt die Autorin. Was sie sich wünscht? „Eine Welt, in der ein Buch über das Leben mit einem behinderten Kind nicht mehr interessant wäre, weil alle es normal fänden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“

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