Ludwig Sebus zum 2. Weltkrieg„Wochenlang an den Knochen eines toten Pferdes genagt“

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Bereits am 6. März kommt es in der Komödienstraße zum letzten Panzergefecht mit US-Kräften.

Bereits am 6. März kommt es in der Komödienstraße zum letzten Panzergefecht mit US-Kräften.

  • Liedermacher Ludwig Sebus (94) wurde kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs eingezogen und an die Ostfront beordert.
  • Für uns erinnert er sich zurück an die verheerende Zeit.

Köln – Wie viele Tode Ludwig Sebus (94) im Krieg gestorben ist, kann er nicht mehr genau sagen. Samstags wurde er aber stets zweimal erschossen, so wollte es der Spielplan der Kulturgruppe im Kriegsgefangenenlager Sewastopol auf der Krim im Schwarzen Meer. Im Stück „Die Matrosen von Cattaro“ spielte Sebus den Anführer einer Revolte, in der Reling hängend huldigte er lautstark dem Sozialismus, bevor es knallte und der Inhalt eines Blutbeutels sein schneeweißes Hemd rot färbte. „Da gab es im Publikum Aufschreie voller Mitleid und Entsetzen. Ich bin sehr würdig gestorben“, konstatiert der Kölner Liedermacher.

Ausgemergelt und kurz vor dem Tode

Dass Kriegsgefangene inmitten des Elends eine Meuterei auf die Bühne bringen, wirkt wie ein groteskes Schauspiel. Etwa 40 Kilogramm wiegt Ludwig Sebus damals noch, sein Körper ist ausgemergelt von der harten Arbeit im Bergwerksstollen und der unzureichenden Ernährung. „Viele ehemalige SS-Kämpfer haben sich im Bergwerk zu Tode gestürzt, um dem Elend zu entkommen“, erinnert sich Sebus. Er selbst entgeht bei einem Deckeneinsturz unter Tage nur knapp dem Tod, weil er sich unter eine Lore retten kann.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich am 8. Mai zum 75. Mal. Eine Woche zuvor hat die Rote Armee damals symbolträchtig die rote Fahne auf dem Berliner Reichstag gehisst. Im Rheinland sind die US-Streitkräfte einmarschiert, Kölns Gauleiter Josef Grohé hat die Flucht ins Schloss Bensberg angetreten. „In allen Teilen der Stadt ziehen Zivilisten durch Geschäfte und Wohnungen – und plündern. Sie sehen sich in ausgebombten Wohnungen nach allem um, was an Wertgegenständen noch gefunden und benutzt werden kann. Der gesamte private Besitz ist zum Eigentum der breiten Masse geworden,“ heißt es bereits Ende März im Wochenbericht der Militärregierung.

Einberufung erst im Oktober 1943

Der Krieg als Soldat geht für Ludwig Sebus erst los, als das Ende absehbar ist. Am 1. Oktober 1943 liegt die Einberufung im elterlichen Briefkasten in der Moltkestraße, drei Wochen nach seinem 18. Geburtstag. Bis dahin hat er die vielen Bombennächte in Köln erlebt, die zerstörten Häuser, die Leichen am Straßenrand. Es dauert noch bis Ende 1944, dann kommt er als Funker zur 211. Volksgrenadierdivision an die Ostfront, die Russen haben Hitlers Kämpfer bereits bis ins polnische Graudenz zurückgedrängt. Als „Riesenglück“ bezeichnet es Sebus, nicht bei der SS gelandet zu sein. Doch auch so beginnt für den jungen Mann vom ersten Tag an der Kampf ums Überleben.

„Wir mussten unseren Unterstand selbst graben, der Abstand zur Front betrug rund 150 bis 200 Meter. Als Funker musste ich keinen Schuss abgeben, aber nach den Gefechten fanden wir verwundete oder erschossene Kameraden und haben sie ins Lazarett geschleppt. Ich sah Kameraden am Wegesrand, denen Partisanen die Köpfe abgeschlagen hatten. Es entsteht schnell die Erwartungshaltung, selbst getroffen zu werden. Der Tod war mein ständiger Begleiter.“

Die Flucht vor den Russen

In Ungarn erlebt Ludwig Sebus den Rückzug der Deutschen, dann in der Slowakei. In der Hügellandschaft der Kleinen Karpaten verliert ins Funken vertiefte Ludwig Sebus bei einem Gefecht plötzlich den Anschluss an seine Truppe. Als er merkt, dass er allein auf sich gestellt ist, haben ihn die Russen längst entdeckt. Allein kämpft er sich den Hang eines Weinbergs hinauf, um sich in Sicherheit zu bringen.

„Ich sah die Russen auf 200 Meter kommen, aber meine Truppe hatte vergessen, mich über unseren Rückzug zu benachrichtigen. Allein mit dem 15 Kilogramm schweren Funkgerät, das als Rucksack transportiert wurde, musste ich mit den geheimen Funkunterlagen den Berg hoch. Mit Granatwerfern und Pistolen wurde auf mich geschossen. Aber mir ist es geglückt, über den etwa 250 Meter langen Hang unbeschadet durchzukommen. Die Hand Gottes hat mir dieses Wunder beschert, das habe ich damals immer wieder gedacht“.

Ohne Decken auf dem Feld geschlafen

Das Schicksal von Ludwig Sebus und Tausenden anderen deutschen Soldaten entscheidet sich nach der offiziellen Kapitulation und dem weiteren Rückzug an der Moldau nahe der tschechischen Stadt Budweis. Der Fluss bildet die Demarkationslinie zwischen russischer Zuständigkeit im Osten und amerikanischer im Westen. Statt die Soldaten in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, riegeln sie den Fluss ab und schicken sie in russische Gefangenschaft. „Das war ein Schock. Wir haben ohne Decken auf einem Feld übernachtet und wochenlang an den Knochen eines geschlachteten Pferdes genagt“, sagt Sebus. Hunger und Heimweh werden fünf Jahre lang unliebsame Begleiter.

Videobotschaften

Das Kontaktverbot im Zuge der Corona-Schutzmaßnahmen sorgt dafür, dass die Stadt auf eine öffentliche Veranstaltung zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren verzichtet. Stattdessen sollen Videobotschaften von Oberbürgermeisterin Henriette Reker, der US-Generalkonsulin Fiona Evans und dem Regionalleiter der Europäischen Kommission, Jochen Pöttgen veröffentlicht werden.

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Fahnen werden am Freitag zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs am Historischen Rathaus gehisst. Neben der Flagge der Europäischen Union und der Stadt Köln wird auch das US-Banner zu sehen sein. (tho)

„Das Schlimmste an der Gefangenschaft ist die Ungewissheit, ob du überhaupt wieder frei kommst. Wir haben immer nur vage Ausreden gehört, die uns beruhigen sollten. Das macht einen mürbe. In den ersten Jahren bekamen wir Nahrung, die man überhaupt nicht einordnen konnte. Stichlinge wurden als Brei gestampft, mit Wasser aufgegossen und als Suppe serviert. “

Erster Brief in die Heimat erst 1947

Als die Russen das Lager auf der Krim schließen, gelangt Sebus in die Region um Donezk. Erst Ende 1947 darf der Kölner erstmals nach Hause schreiben, bis dahin weiß er nicht, ob seine Eltern noch leben. Und sie wissen nicht, was im Krieg aus ihrem Sohn geworden ist. Die Zahl der Wörter ist genauso streng begrenzt wie die Ration an Nahrung. Fünf Jahre nach Kriegsende darf Ludwig Sebus zurück nach Köln.

„Es war eine Odyssee. Von Frankfurt/Oder fuhr ich mit dem Personenzug in den Westen. In banger Erwartung hatte ich mich gefragt, ob der Dom überhaupt noch steht. Als er dann zu erkennen war, überkam mich ein unbeschreibliches Gefühl von Glück und Befreiung. Gegen Mittag kam ich in der Stadt an. Ich habe mich als Mensch wie neu geboren gefühlt. Das hat sich bis heute bei mir eingeprägt,wenn ich den Dom sehe.“

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