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MissbrauchskandalKardinal Woelki gibt Fehler zu – Scharfe Kritik von Betroffenem

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Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, verlässt nach seiner Rede bei der ökumenischen Andacht zum Beginn der Passionszeit den Altarbereich.

Köln – Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hat sich für Fehler im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Missbrauchsvergehen entschuldigt. „Sicher habe ich hier auch Schuld auf mich geladen“, schrieb Woelki in seinem Fasten-Hirtenbrief, der in den katholischen Kirchen verlesen und auch als Video im Internet verbreitet wurde. „Das alles tut mir von Herzen leid.“

Woelki sprach von „tiefen Rissen“, die durch das Erzbistum gingen. Diese dürften nicht einfach „übersprungen“ oder „zugekittet“ werden. „All das bewegt und bedrückt mich sehr“, fuhr Woelki fort. Er versprach eine transparente und konsequente Aufklärung.

Das noch unveröffentlichte neue Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Köln führt Hunderte Opfer und Beschuldigte auf. Es seien mehr als 300 Verdachtsmeldungen, über 300 Opfer und mehr als 200 Beschuldigte, berichtete  „Der Spiegel“. Der von der Kirche beauftragte Strafrechtler Professor Björn Gercke bestätigte diese Zahlen. „Die Zahlen sind bekannt, da wir sie bereits in der Vergangenheit zu verschiedenen Anlässen kommuniziert haben“, erklärte er am Samstag. 

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Ehemaliger Vizevorsitzender des Betroffenenbeirats kritisiert Woelki scharf

Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln, Karl Haucke, übte scharfe Kritik an Woelki. Der Kardinal beklage den gravierenden Vertrauensverlust in seinem Bistum, „ohne zu erwähnen, dass er selbst diesen ausgelöst hat mit seinem Vertrauensbruch gegenüber dem Betroffenenbeirat im Oktober letzten Jahres“, sagte Haucke.

Er war im Streit um das Gutachten einer Münchner Anwaltskanzlei zurückgetreten, das das Erzbistum wegen rechtlicher Bedenken nicht veröffentlichen will. Statt der Münchner Anwälte kam der Kölner Strafrechtler  Gercke zum Zug. Sein Gutachten soll am 18. März vorgestellt werden.

Haucke sagte, mit seinem Hirtenwort könne Woelki keine Brüche heilen. „Der Erzbischof hat bisher nur Entschuldigungsfloskeln plus Prophezeihungen vorgebracht in der Art: Sie werden schon sehen, das neue Gutachten wird mir Recht geben.“ Haucke befürchtet, dieses „Beruhigungsgeschwurbel“ werde weitergehen.

Dagegen riet Bettina Heinrichs-Müller, stellvertretende Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Köln, dazu, das Gercke-Gutachten und die Konsequenzen daraus abzuwarten. Sie sagte im Rundschau-Interview allerdings: „Es wäre gut, wenn der Kardinal konkret zu den Fällen Stellung nehmen würde, die ihn auch selbst betreffen.“

Dazu zählten etwa der Fall des Woelki eng verbundenen Düsseldorfer Pfarrers Johannes O. oder der des Bonner Geistlichen E., der erst 2017 in den Ruhestand ging – zwei Wochen, bevor ein Gutachten von ihm begangene Sexualdelikte am Bonner Collegium Josephinum offenlegte. E. war nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung 2016 sogar noch in Rom Papst Franziskus begegnet.

Erzbistum von Rissen durchzogen

Woelki, der zeitweilig wochenlang wie abgetaucht schien, äußert sich in dem Video und einem gleichlautenden Fastenhirtenbrief ausführlich und in deutlichen Worten zu der entstandenen Krise. Das Erzbistum sei von Rissen durchzogen, stellt er fest. „Dabei weiß ich, dass viele Menschen in unserem Erzbistum und darüber hinaus mich persönlich dafür verantwortlich machen.“

In den vergangenen Wochen und Monaten hätten ihm Gläubige ihre Irritation deutlich gemacht. „Sie tun sich schwer, nachzuvollziehen, warum es eine zweite unabhängige Untersuchung braucht, um die systematischen Zusammenhänge jahrzehntelangen Missbrauchs in unserem Erzbistum aufzudecken und im Detail aufzuzeigen.“ Er sei jedoch überzeugt, dass dies erforderlich sei, weil er „eine bestimmte qualitative und quantitative Faktenlage“ benötige. Die Kanzlei, die das erste Gutachten erstellt hat, weist alle Vorwürfe zurück.

Woelki versichert in seiner Botschaft: „Es war und ist meine Absicht, eine transparente, konsequente Aufklärung der Missbrauchsvergehen und ihrer systemischen Umstände in unserem Erzbistum zu erreichen – selbstverständlich auch im Blick auf meine eigene Person.“

Bei einer gemeinsamen ökumenischen Andacht mit Woelki hat der scheidende rheinische Präses Manfred Rekowski indirekt die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln kritisiert. In der Frage gebe es eine „ökumenische Haftungsgemeinschaft“.

Untersuchungszeitraum reicht bis 1975 zurück

Woelki hatte schon früher mitgeteilt, dass der Strafrechtler Gercke 236 Fälle aus dem Erzbistum Köln untersucht habe. Dabei handelt es sich laut „Spiegel“ um die systematische Auswertung von Aktenvorgängen und Zehntausenden Seiten. Der Untersuchungszeitraum reicht zurück bis 1975.

Auffällig ist, dass die jetzt veröffentlichten Zahlen deutlich höher liegen als die Zahlen aus der sogenannten MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz von 2018. Damals waren für das Erzbistum Köln über einen Zeitraum von 70 Jahren 135 Opfer sexualisierter Gewalt und 87 beschuldigte Kleriker angegeben worden.

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Gercke nannte mehrere Gründe für die Unterschiede zur MHG-Studie. So betrachte sein Gutachten nicht nur Kleriker, sondern auch nichtgeweihte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Erzbistums. Zudem sei „zwischen Verdachtsmeldungen und tatsächlichen (Straf-)Taten zu unterscheiden“. Auch das zurückgehaltene Münchner Gutachten kommt nach einem Bericht des „Kölner Stadt-Anzeigers“ (Samstag) zu ähnlichen Opfer- und Beschuldigtenzahlen wie Gercke. (mit afp, kna)

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