Mit 120 BesuchernSocial Distancing beim Saisonauftakt von Schauspiel Köln

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Die verkehrte Welt spiegelt sich im Bühnenbild.

Köln – „Komm, lass dich umarmen“, fordert Wladimir seinen Vagabunden-Kumpel auf. „Immer langsam“, wehrt Estragon vollkommen Corona-korrekt ab. Social Distancing herrscht beim Saisonauftakt von Schauspiel Köln freilich nicht nur auf der Spielfläche in Depot 1, sondern auch im Foyer sowie insbesondere im Saal, wo 120 Besucher (statt üblicherweise 500) mit komfortabelstem Sicherheitsabstand platziert sind.

Und die verkehrte Welt spiegelt sich im Bühnenbild (Moritz Müller): Das Mimenquartett tummelt sich auf den mit weißen Hussen bedeckten und tollkühn bis in die 70er hochnummerierten Zuschauerreihen, während das Publikum auf der Bühne sitzt.

Klar, Samuel Becketts „Warten auf Godot“ ist mit der ins Leere laufenden Erlösungssehnsucht seiner Hauptfiguren ein fast ideales Pandemie-Symbol. Natürlich versetzt Godot die Wartenden auch hier Abend für Abend, doch Regisseur Jan Bosse packt die Frustrierten immerhin in eine bunte Endlosschleife.

Prügelszene und Opernsolo

Das beginnt bei Kathrin Plaths schrillen Kostümen, die zwischen Strampelanzug und wattiertem Kaffeewärmer changieren. Und es geht weiter bei Schlagzeugerin Carolina Bigge, die manchmal nur sanft die Felle streichelt, meist aber die Tristesse zum Tanzen bringt. In den Prügelszenen haut man sich dann die (scheinbar) herausgerissenen Tribünensitze auf den Kopf oder wärmt sich auch mal am verfeuerten Mobiliar

Als Antidepressiva dürfen besonders Pozzo und Lucky wirken. Ersterer ist bei Bruno Cathomas weniger brutaler Machtmensch als zirzensischer Zampano mit Konfettiregen und schmetterndem Opernsolo von ganz oben auf der Beleuchterbrücke.

Flackernde Lichter

Und Justus Maier als sein versklavtes Anhängsel hat eben nicht nur sein niederdrückendes Päckchen (hier eine blaue Kühltasche) zu tragen, sondern darf in flackerndem Discolicht konvulsivisch tanzen oder in wirren Tiraden „denken“. Zudem verhilft ihm die bei den Proben erlittene Handverletzung noch zu einem an „E.T.“ erinnernden Glühfinger…

Dieses Duo droht Wladimir (Peter Knaack) und Estragon (Jörg Ratjen) durchaus die Schau zu stehlen,  zumal sich beide manchmal so weit aus dem Weg gehen, dass die Binnenspannung abfällt. Zwar ist Ratjen hier eher der greinende Jammerlappen und Knaack sein sonnigerer Widerpart. Doch insgesamt fehlt dem Abend jene bezwingende Idee, die Thomas Dannemann etwa 2011 mit seinem Kölner „Godot“ und dessen Holocaust-Symbolik hatte.

Absurdes Theater

Ohnehin birgt das Stück stets die Gefahr, dass sich die Langeweile der Figuren bis ins Parkett fortpflanzt. Doch das gehört bei diesem Urmeter des absurden Theaters eben dazu: die lähmende Ereignislosigkeit, der erwünschte, aber am fehlenden Strick oder am schlappen Bäumchen scheiternde Selbstmord, der Streit zum Zeitvertreib und das zermürbende  Warten.

Bosse lässt die Figuren mit zunehmender Dauer immer tiefer in diese schwarzen Löcher fallen. Spätestens mit dem zweiten Auftritt des nun blinden Pozzo mit seinem stummen Lucky ist die Zeit der Gags vorbei. Nun führt der Sklave den Tyrannen an der unsichtbaren Leine. Und wenn sich die Scheinwerfer ins Publikum richten, sind wir alle plötzlich jener Unglücksbote, der Wladimir und Estragon wieder einmal sagen muss, dass Godot heute nicht mehr, aber vielleicht morgen kommt.

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Hoffnung? Kaum, denn im Finale fallen die bittersten Worte dieses Abends:  „Aus der Tiefe der Grube legt der Totengräber träumerisch die Zangen an. Man hat Zeit genug, um alt zu werden. Die Luft ist voll von unseren Schreien.“ Da sieht man jenen finsteren Hintergrund, gegen den hier so tapfer und insgesamt ansehnlich angespielt wurde. Langer, einhelliger Beifall.

2¼ Stunden ohne Pause. Wieder am 19.9. (19.30 Uhr) und 20.9. (18 Uhr) sowie 16.10. (19.30 Uhr) und 31.10., 19 Uhr. Karten-Tel.: (0221) 28400.

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