Modell für Köln?Forscher wollen mit „Echtzeit“- Gebührensystem Staus verhindern

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Nur wenn der Verkehrskollaps droht, sollten Autofahrer für die belastete Strecke bezahlen, bei freier Fahrt koste es nichts.

Nur wenn der Verkehrskollaps droht, sollten Autofahrer für die belastete Strecke bezahlen, bei freier Fahrt koste es nichts.

Köln – Der Kölner Ring zur Rush Hour, nichts fährt mehr. Verkehrskollaps – Alltag auch auf den Autobahnen. Straßenverkehr ohne Staus? Was den meisten mit Blick auf die täglichen Blechkarawanen wie Science-Fiction erscheint, ist für Wirtschaftswissenschaftler aus Köln und den USA ein durchaus realistisches Szenario für die nahe Zukunft.

Professor Axel Ockenfels und Professor Peter Cramton von der Universität zu Köln sowie Richard Geddes (Cornell University, New York) aus den USA konzipierten ein Modell zur Verkehrssteuerung in öffentlicher Hand. Es sieht eine Art Echtzeit-Preissystem für die Benutzung von Straßen vor – ähnlich der Gestaltung von Strommärkten mit Gebühren, die sich an aktuellem Angebot und Nachfrage orientieren.

Ärgerlich, zeitraubend, umweltschädlich

Staus haben schon jetzt ihren Preis: Sie sind ärgerlich, zeitraubend, belasten die Umwelt und kosten die Allgemeinheit eine Menge Geld. Auf rund 80 Milliarden Euro wird der volkswirtschaftliche Schaden aufgrund verstopfter Straßen geschätzt. „Derzeit bezahlen die Verkehrsteilnehmer, die Staus verursachen, genau so viel wie diejenigen, die daran nicht beteiligt sind, das ist unfair“, findet Wirtschaftswissenschaftler Ockenfels. „Mit unserem System würde es keine Staus mehr geben.“ Denn über die Gebühren ließe sich das Verhalten der Autofahrer steuern, so dass der Verkehr besser fließt. Dadurch werde Zeit gespart, weniger CO2 ausgestoßen und die Umweltbelastung verringert. „Wenn sich die Gebühr dem Verkehrsaufkommen und der Situation auf der Straße anpasst, also etwa zur Rush Hour teurer ist als gegen Mittag, kann jeder die für sich passende Route auswählen“, so Cramton.

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Die international renommierten Kölner Forscher befassen sich speziell mit dem Thema gut ausgestalteter Märkte – von Finanzen bis zu Internet-Handelsplattformen – im Zusammenwirken mit der Verhaltenswissenschaft und „Spieltheorie“. Angelehnt an Energiemärkte könnte auch der Verkehrsmarkt mit einer Regulierung wie dem Anti-Stau-Modell besser laufen. Das Team führt bereits Gespräche darüber mit interessierten Metropolen wie Singapur, mit Unternehmen, die autonome Fahrzeuge entwickeln, oder Taxiservice-Anbietern und mit Ländern wie Australien, die ein reibungsloses Fortkommen auf den Straßen mit mehr Klimaschutz verbinden wollen.

„Ich verstehe, wenn unser Preis-Modell manche erstmal abschreckt und intuitiv gesagt wird: Oh Gott, werden da jetzt wieder die Autofahrer geschröpft?!“, sagt Ockenfels. Aber tatsächlich sei das Gegenteil der Fall, erläutert der vielfach ausgezeichnete Ökonom. „Die Kosten werden leicht über-, die Vorteile unterschätzt. Aber vom Modell profitieren sicher viele.“

Der Verkehr wird einfach besser koordiniert

Das Anti-Stau-Konzept setzt ein, wenn der Verkehr ins Stocken kommt. Bis dahin liegt der Preis bei Null. Wenn der Kollaps droht, wird gegengesteuert und Gebühren zur Benutzung der überlasteten Routen ermittelt und erhoben. In Echtzeit und standortgenau sollen Gebühren je nach Verkehrsaufkommen ermittelt werden – Faktoren wie Fahrzeugtyp und Abgaswerte werden einbezogen. Technisch wäre so eine dynamische Preiserhebung schon jetzt umsetzbar durch Navigationssysteme und GPS-Daten, die jedes Auto jederzeit erfassen können.

Wer jetzt denkt, dass bei einer Kostenpflicht weniger Autos unterwegs sind, der irrt laut Ockenfels. Mit Hilfe der „Bepreisung“ bei hohem Verkehrsaufkommen könnten letztlich mehr Autos auf bislang hoch belasteten Strecken fahren, da der Verkehr besser koordiniert werde. Die einen fahren vielleicht eine andere Route oder zu einem anderen Zeitpunkt, ändern also ihr Verhalten. Auch für Pendler könne sich das Konzept rechnen, selbst wenn sie zahlen müssen: „Sie profitieren davon, dass der Verkehr besser fließt, sie sind schneller am Ziel und verbrauchen weniger Sprit.“ Denkbar wären mit Anbietern wie Paketdiensten etwa Nutzungsverträge, die vorab eine bestimmte Zahl von Fahrstrecken zu Festpreisen festlegen.

Die Einnahmen würden an die Öffentliche Hand fließen, Kommunen und Land zugute kommen. Ockenfels: „Das Geld ließe sich zum Beispiel in den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs investieren und es könnten andere Lasten für Autofahrer im Gegenzug abgebaut werden.“

Zur Person

Professor Axel Ockenfels (49) gehört zu den einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Er leitet seit 2015 das Exzellenzzentrum für Soziales und Ökonomisches Verhalten an der Uni Köln. Seit 2003 ist er Professor für Wirtschaftswissenschaften in Köln.

Seit 2010 ist Ockenfels zudem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Seit 2016 ist er Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und seit 2017 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Er erhielt herausragende Auszeichnungen, etwa den Leibniz-Preis der DFG und den ERC Advanced Grant. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Bonn bei Nobelpreisträger Reinhard Selten, forschte 1999/2000 an der Harvard University/USA bei Nobelpreisträger Alvin E. Roth.

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