Abo

Steigende MietenWie Mülheimer Mieter aus ihrem Veedel gedrängt werden könnten

Lesezeit 4 Minuten
20210930_tb_Muelheim_Wohnen_003

Köln-Mülheim

Köln – Die großen Neubaugebiete im Stadtteil Mülheim sorgen zwar für viele neue Wohnungen und Arbeitsplätze, könnten aber die bisherigen Mieter rund um den Wiener Platz verdrängen, weil die Mieten durch die erhöhte Nachfrage steigen. Das ist das Ergebnis einer Analyse von Beatrix Rehwinkel vom „ALP Institut für Wohnen und Stadtentwicklung“, die der Rundschau vorliegt. Durch den Bau des neuen Büroviertels „/I/D Cologne“ am alten Güterbahnhof und der neuen Viertel am Mülheimer Hafen (siehe Info-Grafik) könnte laut Rehwinkel der Aufwertungsdruck steigen. „Diese Entwicklung kann die bestehenden Verdrängungstendenzen nochmal deutlich verstärken.“ Sie sieht auch die intensive Nachbarschaft im Veedel gefährdet. Die Stadt will eine Soziale Erhaltungssatzung für „Mülheim Süd-West“ einführen, um alteingesessenen Mieter zu schützen. Die Fragen und Antworten.

Was ist eine Soziale Erhaltungssatzung?

Die Satzungen sind eines von mehreren Mitteln einer Stadtverwaltung, um beispielsweise die Luxussanierung von Wohnungen samt folgender Mietpreissteigerung einzudämmen. Es geht darum, die Gentrifizierung zu mildern.

Dieses Gebiet in Mülheim soll geschützt werden

20 578 Einwohner hat das Gebiet namens „Mülheim Süd-West“, dort will die Stadt die Erhaltungssatzung einführen. Die rund 20 600 Einwohner verteilen sich auf 11 950 Wohnungen, die durchschnittliche Größe liegt bei 69 Quadratmeter (Köln gesamt: 76).

72 Prozent der Wohnungen sind zwischen 1949 und 1977 gebaut worden, 7,2 Prozent sind mit gedeckelter Miete (Köln gesamt: 6,8 Prozent). Nördlich liegt das Büroviertel „I/D Cologne“, bis 2026 entstehen 700 Arbeitsplätze. Südlich sollen am Hafen mehrere tausend Arbeitsplätze und Wohnungen gebaut werden. 

Der Begriff meint: Ein altes Viertel samt Wohnungen wird von teils neuen Eigentümern saniert und umgebaut. Danach können sich Mieter die höheren Mieten nicht mehr leisten, werden verdrängt, zahlungskräftigere Menschen kommen. Das Regelwerk ist bekannt als Milieuschutz, weil es die Mischung der Bevölkerung bewahren soll.

Wie läuft das konkret ab?

Eigentlich dürfen Besitzer Wohnungen umbauen, dafür brauchen sie keine Genehmigung – außer es gilt eine Erhaltungssatzung. Dann muss die Stadt diese Vorhaben genehmigen und kann beeinflussen, wie viel saniert und modernisiert wird. Es geht dabei beispielsweise um den Einbau von Aufzügen, eine Wärmedämmung, neue Fenster oder den Anbau von Balkonen. Laut Stadt sind normale Modernisierungen weiter möglich, aber eben nicht Aufwertungen, die über die „zeitgemäße Ausstattung“ hinausgehen und die Mieten so steigen lassen, dass die Mieter sie nicht zahlen können. Ein Beispiel in Zahlen: Im Severinsviertel hat sie in eineinhalb Jahren von 20 Vorhaben fünf abgelehnt, also ein Viertel.

Wie viele Satzungen gibt es in Köln?

In Köln gibt es bislang zwei komplett geltende in der Stegerwaldsiedlung in Mülheim (1996) sowie im Severinsviertel in der Südstadt (2020), nun soll „Mülheim Süd-West“ folgen. Aktuell soll eine weitere am Rathenauplatz kommen (wir berichteten).

Was kann die Satzung leisten und was nicht?

Sie gilt nicht bei Neubauten und schützt nicht einzelne Mieter, weil Mieterhöhungen grundsätzlich möglich sind. Trotzdem kann sie helfen, steigende Mieten etwas abzumildern, laut Anne Vogelpohl von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg ist die Satzung „Teil eines Potpourris, das helfen kann – auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist“.

Was sind die Ergebnisse der Analyse von Rehwinkel?

Erstens: Es gibt viele Mieter statt Eigentümer, das erhöht die Gefahr der Verdrängung. Zweitens: Viele Haushalte tragen „eine kritisch hohe Wohnkostenbelastung“, können sich höhere Mieten nicht mehr leisten. Drittens: Neue Mieten liegen 30 Prozent über langjährigen Mieten. Neu Zugezogene zahlen eine um 26 Prozent höhere Miete als Bewohner, die länger als zehn Jahre dort wohnen – und trotzdem müssen die „Neuen“ weniger ihres Einkommens für die Miete verwenden. Ihr Einkommen ist höher, ihre Bildung größer.

Viertens: Die meisten Wohnungen haben nur eine einfache Ausstattung, bieten Potenzial für Modernisierungen . Das führt zu fünftens, Rehwinkel schreibt: „Mit der Hebung der Aufwertungspotenziale würde eine Reduzierung von preisgünstigem Wohnraum einhergehen, der an anderer Stelle durch den Einsatz von Fördermitteln aufwendig neu geschaffen werden müsste.“

Sechstens: „Ein Ausweichen in preisgünstigere Wohnlagen würde die Polarisierung von einkommensschwächeren Haushalten im Stadtgebiet verstärken und gegebenenfalls unerwünschte soziale Folgewirkungen nach sich ziehen (...).“ Ihr Fazit: An manchen Stellen ist Modernisierung nötig ist, doch die Satzung könnte „eine ungesteuerte Aufwertung vermeiden“.

Wie ist der Sachstand des Verfahrens in Mülheim?

Die Politik hat 2020 die Satzung für Mülheim beschlossen, zunächst für zwölf Monate. Für eine Ausdehnung auf fünf Jahre braucht es eine Analyse – und die hat Rehwinkel nun präsentiert. Jetzt geht es in der Politik weiter.

Rundschau abonnieren