Neue ErkenntnisseKölner HNO-Arzt fälschlicherweise unter pädophilen Verdacht gestellt

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Die Statue der Justitia steht mit einer Waage und einem Schwert in der Hand.

Die Statue der Justitia steht mit einer Waage und einem Schwert in der Hand.

Köln – Beim Landeskriminalamt in Düsseldorf schrillten sofort die Alarmglocken: Eine Online-Selbstanzeige eines Kölner Hals-Nasen-Ohren-Arztes (67) war im November des vergangenen  Jahres  eingegangen.  Darin bezichtigte er sich, pädophil zu sein, regelmäßig Kinder im Aufwachraum noch unter Narkose missbraucht zu haben, sowie in den damals gerade frisch aufgedeckten Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach verstrickt zu sein.

Auch auf Twitter erschien das Geständnis auf einem Account mit dem Klarnamen des Facharztes. Der 68-Jährige wurde daraufhin am 8. November 2019 verhaftet, stundenlang vernommen und erst am folgenden Tag wieder auf freien Fuß gesetzt. Der Grund: Die Selbstanzeige war eine Erfindung.     Erstellt hatte sie ein 38-Jähriger. Der Mann war im vergangenen Mai (die Rundschau berichtete) wegen Verleumdung, falscher Verdächtigung und mittelbarer Freiheitsberaubung vom Amtsgericht zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. „Ihr Handeln war in höchstem Maße geeignet, jemanden komplett fertig zu machen“, hatte die Richterin damals in der Urteilsbegründung gesagt. Und weiter: „Ich kann mir nichts Schlimmeres denken, als das, was Sie hier dem Geschädigten angelastet haben.“ Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft, die lediglich eine einjährige Bewährungsstrafe verlangt hatte, legten gegen das Urteil Rechtsmittel ein.

Berufungsprozess

Seit Dienstag findet vor dem Landgericht nun der Berufungsprozess statt. In einem Internetcafé hatte der 38-Jährige die Selbstanzeige im Namen des Geschädigten geschrieben, der Standort des Cafés konnte über die IP-Adresse der abgesetzten Online-Anzeige ermittelt werden konnte. Nach Sichtung von Aufnahmen einer Überwachungskamera in dem Café konnten die Beamten schließlich feststellen, dass nicht der Arzt die Selbstanzeige geschrieben hatte.

Der Angeklagte, der sich noch auf freiem Fuß befand, legte auf dem gefälschten Twitter-Account nach, mit äußerst expliziten und nicht zitierfähigen Pseudo-Selbstbezichtigungen.  Erst als der 38-Jährige am 27. November 2019 eine Hauswand in Lindenthal mit angeblichen Selbstbezichtigungen des Arztes beschmierte, wurde er erwischt und festgenommen.

Vor Gericht räumte der Mann die Vorwürfe ein, lieferte aber kein Motiv. Bislang ließ sich nicht klären, ob sich beide Personen jemals begegnet sind. Der als Nebenkläger auftretenden Arzt konnte sich die Verleumdung nicht erklären. Hinweise, dass er mit dem Angeklagten im Rahmen seines Berufs zu tun gehabt haben könnte, gab es nicht.

Der Verteidiger des 38-Jährigen erklärte vorm Amtsgericht, sein Mandant habe sich im November 2019 in einer „psychischen und emotionalen Ausnahmesituation“ befunden – für die Amtsrichterin war dies eine „hohle Phrase, wenn man mir nicht sagt, was dahintersteckt“. Lediglich eine Andeutung, wonach der 38-Jährige den Arzt möglicherweise in den Selbstmord treiben wollte, hatte dieser bei einer Haftprüfung gemacht: „Wenn einer meine Freundin vergiften will, dann bekommt er eine Selbstmordvorbereitung“, soll er damals gesagt haben.

Licht ins Dunkel

Am Dienstag kam nun über eine in der Justizvollzugsanstalt  Köln arbeitende Sozialarbeiterin (43) ein wenig Licht ins Dunkel. Laut der Zeugin hatte der Angeklagte bei einem Gespräch in der Haftanstalt, bei dem es eigentlich um Organisatorisches gehen sollte, plötzlich einen „emotionalen Ausbruch“ gehabt: „Ich mache so lange weiter bis ich den Alten hängen sehe“, habe der Angeklagte gesagt. Und weiter: „Ich weiß, wo die Familie wohnt. Ist mir egal, ob ich noch fünf Jahre länger sitze.“ 

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Sie habe das Gespräch abbrechen wollen, so die Zeugin, doch der Angeklagte sei nicht zu stoppen gewesen: Ein Sohn des Arztes habe seine Ex-Freundin vergewaltigt, habe der 38-Jährige behauptet. Nach dem Gespräch habe sie der JVA-Leitung von dem Gespräch berichtet. Der Angeklagte schwieg am Dienstag. Eine Begutachtung durch eine Psychiaterin lehnt er ab. Jetzt müssen Zeugen gehört werden, darunter auch der Nebenkläger. Ein Urteil soll im November fallen.

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