Neuer Krach um StraßenmusikerAnwohner des Wallrafplatzes wollen Stadt verklagen

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Lautstark: Eine Band spielt zwischen Wallrafplatz und Dom. Ist Straßenmusik in Köln zu laut?

Lautstark: Eine Band spielt zwischen Wallrafplatz und Dom. Ist Straßenmusik in Köln zu laut?

Köln – Am Wochenende, wenn andere Leute abschalten, flüchtet Rick Mulligan, 59, aus seiner Wohnung mit Dom-Blick am Wallrafplatz. Mulligan flieht vor dem Lärm der Straßenmusiker. Bis zu 110 Dezibel hat Mulligan gemessen, vergleichbar mit der Lautstärke einer Kettensäge. „Das ist eine Tortur“, sagt Mulligan.

Mulligan und andere Anwohner wollen die Stadt verklagen

Es ist eine Tortur, die er nicht länger ertragen will. Gemeinsam mit anderen Anwohnern, Ärzten und Bürobetreibern am Wallrafplatz will er die Stadt verklagen, auf diesem Weg Ruhe einfordern. Ihrer Ansicht nach schafft es das Ordnungsamt nicht, für Ruhe zu sorgen, in dem es die Stadtordnung anwendet. „Eigentlich finde ich es schlimm, mit dem Anwalt zu drohen, aber scheinbar geht es nicht anders“, sagt Mulligan.

Seit 35 Jahren wohnt er im fünften Stock, er sagt, dass er das Stadtleben samt Geräuschen mag, aber der Lärm immer mehr zugenommen habe. Jetzt findet Mulligan: Was zu viel ist, ist zu viel – und damit ist er nicht allein. Physiotherapeutin Stefanie Grueter etwa betreibt ihre Praxis ebenfalls am Wallrafplatz, sie sagt: „Da kann man nur aggressiv und krank werden.“

Alles zum Thema Henriette Reker

„Die Schmerzgrenze ist erreicht!“

Ähnlich äußern sich weitere Betroffene, sie haben viele Briefe an die Stadt geschickt, sie liegen der Rundschau vor. Darin schreibt Anwohner Robert Bork im Oktober 2016 an Oberbürgermeisterin Henriette Reker: „Die Schmerzgrenze ist erreicht.“ Der Vorwurf der Anwohner: Das Ordnungsamt tut zu wenig, kontrolliert zu selten und ist zu gnädig im Durchsetzen der Stadtordnung. Das Regelwerk legt fest, was erlaubt ist.

Zum Beispiel dürfen die Straßenmusiker nur die ersten 30 Minuten einer Stunde spielen, müssen danach 300 Meter weiter ziehen. Und die Musik darf laut Regelwerk nur „in einer Lautstärke dargeboten werden, dass unbeteiligte Personen nicht erheblich belästigt werden“. Aber was meint „erheblich“? Interpretationssache. Im August 2017 schrieb das Ordnungsamt an Bork: „Das heißt, dass der Ordnungsdienst hier nur einschreiten kann, wenn sich jemand erheblich belästigt fühlt, dies mitteilt und eine erhebliche Belästigung von den einschreitenden Ordnungsdienstkräften festgestellt wird.“

Stadtordnung gerade erst verschärft

Dabei hat der Stadtrat die Stadtordnung gerade erst verschärft, seit Januar sind etwa elektronische Verstärker nicht mehr nur in Dom-Nähe verboten, sondern in der gesamten Stadt. Vorher hatten sich die Beschwerden über Straßenmusik gehäuft: Nach 224 im zwischen März und September 2016 waren es im gleichen Zeitraum im Jahr darauf schon 329, ein Anstieg von 46 Prozent. Also schritt der Stadtrat ein.

„Das Verbot von Verstärkern hat sich bewährt“, sagt Wolfgang Büscher, Leiter des Ordnungsamtes. Aber: Die Beschwerden über die Musik nehmen trotzdem nicht ab, schon jetzt hat das Ordnungsamt im ersten Halbjahr 189 Verstöße geahndet – davon 42 mit Verstärkern.

Straßenmusiker suchen den Dialog

Aber auch ohne Verstärker sind Straßenmusiker am Wallrafplatz, auf der Hohe Straße und der Schildergasse teils sehr laut: Einer von ihnen ist Timo Pelstring, 22, aus Würselen. Er trommelt auf alten Blechen oder einem leeren Fünf-Liter-Kölsch-Fässchen. Das ist sehr laut, kommt aber bei Passanten gut an, sie drehen Videos, geben Geld. „Ich bin hier, um den Leuten Spaß zu machen“, sagt Pelstring. Seiner Aussage nach kennen die Musiker die Stadtordnung genau, das Ordnungsamt bescheinige ihm häufig, dass die Lautstärke „völlig okay“ sei. Pelstring sagt: „Ich würde mir wünschen, dass die Leute mich ansprechen, wenn sie mich als zu laut empfinden.“ Er will einen Dialog.

Aber ist dieser Konflikt überhaupt zu lösen? Soll der Rat Straßenmusik komplett verbieten, die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes still legen? Was heißt das für eine Stadt wie Köln, die sich häufig für ihre Ausgelassenheit und Toleranz feiert? Physiotherapeutin Grueter sagt: „Wir wollen die Straßenmusik nicht vertreiben, aber es muss in einer vernünftigen Lautstärke ablaufen und nicht auf unsere Kosten gehen.“ Gibt es also ein Mittelmaß, sowohl für die Straßenmusik als auch Anwohner?

Es ist eine der Fragen, die eine Stadt für sich austarieren muss: Was ist laut – und was zu laut? Und was helfen Verordnungen im Alltag?

Hupke fordert Musikbeauftragten

Am Brüsseler Platz im Belgischen Viertel zum Beispiel ist keiner der bis zu 2000 Menschen für sich genommen zu laut – gemeinsam aber bringen sie Anwohner um den Schlaf. Die Stadt muss jetzt für Ruhe sorgen, die Gesundheit ihrer Bürger schützen, so hat es das Gericht entschieden, aber das Urteil geht in die nächste Runde, Ende offen. Denn Stadtdirektor Stephan Keller und Co. sind ratlos, wie man 2000 Menschen zur Ruhe zwingen soll.

Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister Innenstadt, fordert einen städtischen Musikbeauftragten, der die Regeln kontrolliert. Aber ob das hilft? Oder braucht es nach dem Verstärker-Verbot die nächste Verschärfung, etwa eine Dezibel-Grenze? Rick Mulligan sagt: „Man kann weggucken, aber nicht weghören.“

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Straßenmusik? Was sollte erlaubt sein? Schreiben Sie uns an die Mailadresse koeln@kr-redaktion.de oder per Post an die Redaktion Köln in der Stolkgasse 25-45 in 50667 Köln.

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