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Nord-Süd-StadtbahnVerzögerung um weitere drei Jahre – Gutachter braucht mehr Zeit

Lesezeit 5 Minuten
An der Stelle, an der Taucher Kieslagen als Beweis aus dem Grundwasser fördern, ragt am Waidmarkt ein Gerüstturm mit vereister Spitze (r.) aus der Grube auf.

An der Stelle, an der Taucher Kieslagen als Beweis aus dem Grundwasser fördern, ragt am Waidmarkt ein Gerüstturm mit vereister Spitze (r.) aus der Grube auf.

Köln – Erst 2018, dann 2023, nun erst 2026: Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) haben gegenüber dem Aufsichtsrat den Zeitpunkt für eine Inbetriebnahme der Nord-Süd-Stadtbahn nach Rundschau-Informationen erneut deutlich nach hinten korrigiert.

Die Ursache für die Terminänderung ist mal wieder: Der Gutachter für den Zivilprozess braucht länger für seine Untersuchung am Waidmarkt. Er soll herausfinden, warum am 3. März 2009 das Historische Archiv und zwei Nachbarhäuser eingestürzt sind und zwei Menschen in den Tod gerissen haben.

Gutachter will bisher intakt bewertete Braunkohleschicht prüfen

Bevor der Gutachter nicht seine Arbeiten beendet hat, kann das Kreuzungsbauwerk in der Mitte der Neubaustrecke nicht saniert werden. Derzeit fahren die Bahnen auf der neuen Strecke von beiden Seiten nur bis kurz vor die Unglücksstelle.

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Das Landgericht hatte den Experten bestellt, um eine eindeutige Unglücksursache zu ermitteln. Beweise für eine Beschädigung in der Baugrubeneinfassung hat er bereits gefunden. Der beauftragte Gutachter hat in den vergangenen Jahren mit Tauchern in einem von ihm erbauten Schacht schichtweise Erdproben bis zu einer Tiefe von etwa 28 Metern genommen, um die Einsturzursache zu finden. Ein Loch in der Baugrubenabdichtung ist gefunden worden.

Nach Rundschau-Informationen will er nun noch die Kohleschicht untersuchen, die sich unter der Baugrube befindet. Aus dem Zustand dieser Schicht kann er erkennen, ob auch unter der Baustelleneinfassung hindurch mit Wasser angereicherter Boden eindrang oder ausschließlich durch die schadhafte Stelle.

Fünf Jahre nach Beweissicherung kann die erste Bahn fahren

Die Schlitzwände, die die Baugrube umgeben und von Grundwasser frei halten sollten, gehen durch die Braunkohle-Schicht hindurch. Sollte es einen hydraulischen Grundbruch – also einen unterirdischen Erdrutsch unter der Schlitzwand – gegeben haben, müsste die Kohleschicht zerstört sein.

Und erst wenn der Gutachter das Feld räumt, kann die KVB damit beginnen, das Besichtigungsbauwerk zuzuschütten. Zudem müssen Tausende Kubikmeter Beton aus dem Gleiswechselbauwerk wieder herausgestemmt werden, sie waren zur Stabilisierung der Unglücksstelle eingefüllt worden. Das alleine wird zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. Insgesamt werden etwa fünf Jahre nach dem Abrücken der Beweissicherungstruppe vergehen, bis die erste Bahn unter dem Waidmarkt hindurchfahren kann.

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Das bedeutet den nächsten Rückschlag für das Megaprojekt, das am 1. Januar 2004 begann, vor gut 13 Jahren also. Über die neue Bahnverbindung soll die Südstadt besser an die Innenstadt angebunden werden. Vom Breslauer Platz zum Chlodwigplatz soll es nur sechs statt 14 Minuten dauern. Eine Studie versprach 28.500 zusätzliche Fahrten von Fahrgästen täglich.

Die rechtliche Aufbereitung wird noch Jahre in Anspruch nehmen: Neben dem Zivilprozess, der die Kostenfrage klären soll, gibt es einen Strafprozess, in dem die Schuldigen gesucht werden. Während es für den Zivilprozess keine Fristen gibt, sind dem Strafverfahren enge zeitliche Grenzen gesetzt. Fahrlässige Tötung und Baugefährdung wären schon längst verjährt, wenn die Staatsanwaltschaft nicht vor Ende der Verjährungsfrist 2014 rund 100 Menschen beschuldigt hätte. Damit erreichte sie eine Verdopplung der Verjährung, so dass erst spätestens am 2. März 2019 ein Urteil gesprochen werden muss.

Vorwurf an KVB-Mitarbeiter

Der Strafprozess beginnt am 17. Januar. 126 Verhandlungstage sind terminiert, 196 Seiten umfasst die Anklageschrift. Nebenkläger gibt es nicht. Auf der Anklagebank werden fünf Männer und eine Frau sitzen. Drei von ihnen sind Mitarbeiter der Baufirmen, zwei Mitarbeiter der KVB. Die Staatsanwaltschaft hatte noch einen weiteren Mann angeklagt, der aber mittlerweile verstorben ist. Einem Polier und einem Baggerfahrer wird Pfusch vorgeworfen, wodurch eine Lücke in der Schlitzwand entstanden sein soll.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass dadurch das Unglück seinen Lauf nahm. Den Mitarbeitern der KVB wirft sie vor, ihre Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Die KVB erklärte auf Anfrage der Rundschau: „So sehr wir die Zeitverzögerung bedauern und an einer frühzeitigen Gesamtinbetriebnahme interessiert sind: Die zweifelsfreie und eindeutige Ursachenermittlung hat aufgrund der außerordentlichen Schadenshöhe Vorrang.“

Hintergrund: Die Suche nach der Unglücksursache

Seit dem Einsturz von Stadtarchiv und Nachbarhäusern am 3. März 2009 ist der Einsturzkrater samt der Baugrube der Kölner Verkehrs-Betrieb e (KVB) eine abgesperrte Einsatzstelle. Der Gutachter, dem sich auch die Ermittler der Staatsanwaltschaft anschlossen, hat dort ein „Besichtigungsbauwerk“ errichtet: Im Schutz eines Schachts stellen Taucher im Grundwasser Schicht für Schicht den Boden sicher. Zudem untersuchten sie Lamelle 11.

Die tiefste Stelle der Nord-Süd-Stadtbahn ist am Waidmarkt. Dort sollen Bahnen unterirdisch von einer Tunnelröhre in die andere wechseln können. Bis zu 28 Meter tief musste für dieses Gleiswechselbauwerk ausgeschachtet werden. Schon in zehn Metern Tiefe ist Grundwasser zu erwarten. Es hebt und senkt sich im Kiesboden mit dem Rhein.

Während andere KVB-Haltestellen im Grundwasser mit Tauchern, Überdruckkammer oder Vereisung hergestellt werden, wählte die KVB für den Waidmarkt die offene Baugrube mit Restwasserhaltung: Betonwände, die bis in den gewachsenen Boden (Tertiär) hinunter reichen, bilden eine dichte Einfassung. Steht sie, wird innerhalb die Erde ausgehoben und Wasser abgepumpt. Normalerweise drückt nur wenig Restwasser durch den Boden hoch. Am Waidmarkt belegen Brunnenbücher jedoch eine ungewöhnlich hohe Wasserförderung. Auch Sand wurde abgepumpt.

Probleme wurden vertuscht

Manipulierte Bauprotokolle und schief sitzende Wandanker gaben den Ermittlern zudem Anlass, die 2005 erbaute Schlitzwand zu untersuchen. Der Name stammt vom Bauverfahren: Vor Beginn anderer Erdarbeiten gräbt ein Bagger für einzelne Lamellen (Abschnitte) etwa 40 Meter tief einen etwa ein Meter dicken Schlitz. Eine Stützflüssigkeit hält den Schlitz während des Grabens offen. In sie wird die Stahlarmierung eingetaucht und dann einbetoniert.

Polier und Baggerfahrer – so die Ermittlungen – hatten jedoch beim Bau von Lamelle 11 Probleme, die sie vertuschten. In 18 Metern Tiefe riss der Bagger ein Führungsblech ab, das einer korrekten und dichten Platzierung der Lamelle dient, und in 23 Metern Tiefe ließ sich ein Hindernis nicht entfernen.

Statt das Hindernis zu beseitigen, so die Anklage, pfuschten die Arbeiter, ließen in Eile etliche Eisenbügel weg, die im Beton Zugkräfte aufnehmen und kürzten die Armierung in der Breite. Taucher konnten für diese Mängel an Lamelle 11 Beweise finden. (mfr)

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