PflegemangelKölner Intensivstationen fehlen Pflegekräfte – ein Besuch im Klinikalltag

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In der Intensivpflege wird mit komplexen technischen Geräten gearbeitet. Alle Daten halten Pflegekräfte auch schriftlich fest.

In der Intensivpflege wird mit komplexen technischen Geräten gearbeitet. Alle Daten halten Pflegekräfte auch schriftlich fest.

Köln – Bundesweit mangelt es an Fachkräften in der Pflege. Doch wie sieht der Alltag von Intensivpflegern aus? Henriette Westphal und Costa Belibasakis haben eine Intensivstation der Uniklinik besucht.

Wenn sie könnte, wäre Sarah Meister an mehreren Orten gleichzeitig. Während sie der Patientin in Zimmer eins die Medikamente gibt, piepst der Alarm in Zimmer vier. In der unteren Ecke des Bildschirms blinkt es gelb: der Blutdruck. Der Raum ist ein paar schnelle Schritte entfernt. Meister drückt einige Tasten an den Geräten, desinfiziert ihre Hände – und ist wieder auf dem Weg ins nächste Zimmer.

Bis zu drei Patienten betreut sie gleichzeitig, das ist normal. Die größte Intensivstation der Uniklinik hat 24 Betten und liegt im ersten Stock des Herzzentrums. Auch hier ist der bundesweite Pflegemangel spürbar. Je nach Personalsituation kommen 2,4 bis 2,8 Patienten auf einen Pfleger.Die Deutsche Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) empfiehlt einen Betreuungsschlüssel von Pflegenden zu Patienten von 1:2.

Eigentlich Eins-zu-eins-Betreuung nötig

Acht Stunden dauert Sarah Meisters Schicht zwischen Herz-Lungen-Maschine, Beatmungsgeräten, Infusionen und Blutkonserven. Nachts sind es zehn. Ihren Arbeitstag bestimmt das Auf und Ab der Linien, die die Vitalzeichen der Patienten anzeigen: mal hektisch, mal ruhig. Der Mann in Bett fünf hat ein Kunstherz bekommen, Schläuche laufen in seinen Körper, auch die der genannten „Ecmo“. Extrakorporale Membranoxygenierung sagt hier keiner. Patienten, die an diese Herz-Lungen-Maschine angeschlossen sind, bräuchten eigentlich eine Eins-zu-eins-Betreuung, sagt Meister.

Zwei bis drei Patienten betreut Sarah Meister während einer Schicht. Im vergangenen Jahr hat sie ihre Fachausbildung abgeschlossen.

Zwei bis drei Patienten betreut Sarah Meister während einer Schicht. Im vergangenen Jahr hat sie ihre Fachausbildung abgeschlossen.

In der „Zentrale“ laufen alle Informationen zusammen. EKG, Sauerstoffsättigung, Blutdruck, alles wird auf Monitoren kontrolliert. Pflege-Teamleiterin Katharina Ludwig-Stollenwerk arbeitet seit 25 Jahren auf der Intensivstation, an die Geräuschkulisse hat sie sich gewöhnt. Die unterschiedlichen Alarmtöne hört sie manchmal sogar zu Hause.

Kaum Zeit für Gespräche

Es ist eine Arbeit zwischen Technik und Fürsorge. Für Gespräche bleibt oft wenig Zeit. Priorität ist, sagt Sarah Meister, dass die Patienten überleben. Das tun nicht alle. Stirbt ein Patient auf ihrer Station, öffnet Katharina Ludwig-Stollenwerk ein Fenster. Damit die Seele fliegen kann. Ein Ritual, das sie auch für sich und die Kollegen geschaffen hat. „Es gibt niemanden hier, den das nicht mitnimmt“, sagt Meister über ihren Job. Oft sei sie auch mit ethischen Fragen konfrontiert: Bis wann machen lebenserhaltende Maßnahmen eigentlich Sinn?

Viel Zeit bleibt nicht, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Meister muss die Patienten waschen, mobilisieren, verkabeln. Längst haben Pfleger Aufgaben übernommen, die früher Ärzten durchführten. Stündlich trägt Meister alle Daten in Kurvenblätter ein. Der „Papierkram“ ist eine der unbeliebtesten Tätigkeiten. Denn er muss immer nebenbei gemacht werden.

Gutes Personal wird „abgekauft“

„Es gibt deutlich ruhigere Stationen“, sagt die 26-Jährige. „Aber ich brauche den Stress.“ Jetzt sei sie jung, wolle etwas lernen – aber ob sie hier alt wird? Sie weiß es nicht. Wenn sie sich vorstellt, dann sagt sie nie „Schwester Sarah“. Sie ist Pflegefachkraft für Intensivmedizin: Zwei Jahre hat sie neben der Arbeit gepaukt und im vergangenen Jahr die Fachausbildung abgeschlossen. „Das macht man für sich“, sagt sie. Auf dem Konto mache sich das kaum bemerkbar. Je nach Berufserfahrung verdienen Pflegekräfte zwischen 2672 und 3461 Euro brutto, hinzu kommen Zulagen für Wochenend- oder Nachtdienst.

Dass Patienten isoliert werden müssen, gehört zum Alltag in der Uniklinik. Das Pflegepersonal überwacht die Vitalzeichen zu jeder Zeit. Verändern sich die Werte, ertönt ein akustischer Alarm.

Dass Patienten isoliert werden müssen, gehört zum Alltag in der Uniklinik. Das Pflegepersonal überwacht die Vitalzeichen zu jeder Zeit. Verändern sich die Werte, ertönt ein akustischer Alarm.

Belohnt werde man stattdessen mit großem Wissen. Wie die Beatmungsgeräte funktionieren, erklären oft die Pfleger den Assistenzärzten. Wie in der Fußball-Bundesliga wird gut ausgebildetes Pflegepersonal sogar von anderen Kliniken „abgekauft“.

Nicht jeder Alarm ist lebensbedrohlich

Gegen Mittag kommen neue Patienten aus den OP-Sälen. Allein für das Umbetten und Anschließen an die Geräte brauchen Meister und ihre Kollegen fast eine Stunde. Ein Patient hat zudem das Influenza-Virus, muss isoliert werden. Noch ein Bett weniger. Und wenn jetzt noch ein Notfall kommt? „Dann habe ich kein freies Bett“, sagt die Pflege-Schichtleiterin. Zuerst muss jemand auf die normale Station verlegt werden. Man finde irgendwie immer eine Lösung, sagt Ludwig-Stollenwerk. Betten zu sperren sei nicht gewünscht und immer erst die letzte Option.

Wieder gibt es einen Piepton, Sarah Meister muss zurück ins Nebenzimmer. Nicht jeder Alarm ist lebensbedrohlich. Aber leuchtet er rot, erklärt Ludwig-Stollenwerk, laufen alle. Dann spiele auch die Hierarchie zwischen Pflegern und Ärzten keine Rolle mehr.

Interview mit leitendem Oberarzt der Lungenklinik Merheim

Prof. Dr. Christian Karagiannidis (44) ist Leitender Oberarzt an der Lungenklinik in Merheim. Henriette Westphal hat mit ihm gesprochen.

Sie haben eine bundesweite Studie zum Thema Pflegemangel in der Intensivmedizin erstellt. Was sind die Ergebnisse?

Bei unserer Online-Umfrage unter weiterbildungsbefugten Ärzten haben wir festgestellt, dass in den letzten Monaten auf rund Dreiviertel der deutschen Intensivstationen täglich Betten gesperrt werden müssen. Meist waren zwei bis drei Betten betroffen. Der häufigste Grund ist der Mangel an Pflegepersonal.

Welche Auswirkungen hat das?

Bei einer kleinen Station können zwei gesperrte Betten schon dramatisch sein. Im schlimmsten Fall werden Patienten im Notfall nicht ausreichend versorgt. Bei der Grippewelle war das in Köln eine Katastrophe.

Warum gibt es zu wenig Pfleger?

Die Arbeit in der Intensivpflege ist physisch und psychisch anstrengend. Es gab schon immer eine natürliche Fluktuation. Seit zwölf Monaten beobachten wir dies besonders dramatisch: Es kommen keine jungen Leute mehr nach. Das liegt auch an der schlechten Bezahlung.

Was muss passieren?

Die Intensivpflege implodiert gerade in Deutschland. Es kommen viel zu viele Patienten auf eine Pflegekraft. Werden von der Politik Personaluntergrenzen eingeführt, werden sicher 20 bis 30 Prozent aller Betten bundesweit gesperrt, da freie Stellen kaum besetzt werden können. Deshalb muss man jetzt handeln: Das Gehalt muss gegenfinanziert durch Bund und Länder um mindestens 1000 Euro brutto erhöht werden. Insbesondere in der Intensivmedizin.

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