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SBK-Werkstatt in Köln„Bis Corona vorbei ist, wird hier keiner geknuddelt“

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Der Werkstatt-Rat um Markus Hendler (v.l.), Günter Keltenich und Michael Bilstein.

Köln-Poll – Der Weg zur Kantine ist klar vorgegeben. Pfeile auf dem Boden zeigen an, wie die Laufrichtung ist. Thomas kann es kaum erwarten, sich zu stärken. „Ich hab richtig Hunger“, sagt er unter seinem Visier. Das darf Thomas am Platz in der Kantine ausziehen. Thomas sitzt an einem Eckplatz, so kann er seinen Rollator neben sich abstellen.

Neben Thomas haben auch andere Kollegen in der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen der Sozial-Betriebe-Köln (SBK) in Poll Mittagspause. Die Plätze an den Tischen sind durch Plexiglas voneinander getrennt, genauso wie die Arbeitsplätze. So können die Mitarbeiter der Poller Werkstatt auf Mund-Nase-Maske oder Visier am Arbeitsplatz verzichten, klärt Sozialarbeiterin Kirsten Senff-Lachnitt auf.

SBK-Werkstatt in Poll war zwei Monate geschlossen

Wegen Corona war die Poller Werkstatt von März bis Mai zwei Monate lang komplett geschlossen. Danach wurde vier Monate lang im Schichtmodell gearbeitet: Eine Woche Werkstatt, eine Woche zu Hause. Doch Thomas erkrankte in der Zwischenzeit. Nicht an Corona, aber dennoch so sehr, dass er das Wohnheim, in dem er lebt, nicht verlassen durfte. Eine harte Zeit für ihn. Zur Arbeit konnte er nicht und auch die Freizeitaktivitäten waren sehr stark eingeschränkt. „Für ihn war eine Teilhabe an der Gesellschaft nicht möglich“, sagt Sozialarbeiterin Senff-Lachnitt.

Das schlägt auf die Psyche. Um so mehr freut es Thomas, nun endlich wieder unter Kollegen und Betreuern in der Poller Werkstatt zu sein. Denn: „Die sind alle nett hier“, findet er. Und doch ist es anders: Die Spielgeräte auf dem Gelände sind mit Flatterband abgehangen. Die Sitzbänke so aufgeteilt, dass dort die Abstandsregelung eingehalten werden kann. Es gibt Einbahnstraßensysteme in der Kantine und im Arbeitsbereich. Dort gibt es zudem Markierungen auf dem Boden, Hinweisschilder, Piktogramme und Plexiglas an den Tischen. Außerhalb des Arbeitsplatzes gilt Maskenpflicht oder die Mitarbeiter tragen Visier.

Kunst und Musik sind in Corona-Zeiten gestrichen

Sebastian hat seine Maske immer dabei. „Das ist kein Problem für mich“, sagt er. Sebastian ist Mitarbeiter im Arbeitsbereich mit besonderer Anleitung, kurz ABBA. Hier arbeiten Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen, die durch Fachpersonal gefördert und angeleitet werden. Sie führen leichte Verpackungsarbeiten für verschiedene Unternehmen durch. Normalerweise gibt es begleitende Maßnahmen wie Kunst und Musik, die zur Entspannung dienen. Doch gerade die sind in Corona-Zeiten gestrichen.

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Umarmen ist tabu, das fällt Menschen mit Down-Syndrom besonders schwer

Auch sonst ist die Pandemie für die Werkstatt eine besondere Herausforderung. Es gibt bürokratische Hürden bei der Anmietung von Bussen, um die SBK-Mitarbeiter zur Werkstatt bringen zu lassen. Menschen mit Down-Syndrom zum Beispiel umarmen gerne ihre Mitmenschen. In Corona-Zeiten ist das tabu. Das habe man den Mitarbeitern klar machen müssen. „Bei einigen klappt das aber besser, als wir gedacht hätten“, sagt Senff-Lachnitt.

Bis Corona vorbei ist, wird keiner geknuddelt. Für Autisten hingegen ist das Rumlaufen wichtig, das dient ihnen als Entspannung. „Das alles muss bei unserer Arbeit mit berücksichtigt werden“, sagt Senff-Lachnitt. Und seit 21. September gibt es in Poll wieder Vollbeschäftigung. Angeordnet hat das der überörtliche Sozialhilfeträger, der Landschaftsverband Rheinland. Der wiederum hat sich daran orientiert, was Schulen und Tagesstätten gemacht haben.

Werkstattrat favorisiert Schichtmodell

Eine Regelung, die der Werkstattrat gerne wieder ändern würde. Auch wenn für die meisten Mitarbeiter der Schwerpunkt der sozialen Kontakte in der Poller Werkstatt ist. Die seien zwar enorm wichtig, sagt der Vorsitzende des Werkstattrates, Günter Keltenich, aber der Weg zur Arbeit oder die Tätigkeit bringt immer ein gewisses Risiko mit sich. „Viele Menschen, die hier arbeiten, haben Vorerkrankungen“, sagt Keltenich. Manche sogar gleich mehrere. Sein Werkstattratskollege Michael Bilstein gehört zu einer Risikogruppe dazu. „Ich habe Asthma“, erzählt Bilstein.

Ebenfalls im Werkstattrat ist Markus Hendler. Die drei favorisieren das Schichtmodell, was es die vier Monate zuvor gegeben hat. Da die Arbeiten in der Werkstatt in Gruppen durchgeführt werden, sei es aus ihrer Sicht besser, wenn die Gruppen wieder im Wechsel arbeiten würden. Denn trotz Hygienekonzept sei es im Normalbetrieb doch relativ voll.

Werkstatt soll nicht zu einem Hot-Spot werden

„Wir wollen nicht, dass sich die Werkstatt zu einem Hot-Spot entwickelt“, sagt Günter Keltenich. In der Woche, wo die Mitarbeiter nicht vor Ort seien, könnten wie zuvor auch, auf jeden zugeschnittene Arbeitsmaterialien zur Verfügung gestellt werden. „Wir vom Werkstattrat stehen den Mitarbeitern auch telefonisch zur Verfügung“, sagt Bilstein. Sei es mit Informationen rund um Corona oder auch einfach nur mal so, um Ängste abzubauen. Oder eben zum Thema Arbeit.

An die macht sich Thomas nach Cordon bleu mit Kartoffeln und Gemüse wieder. Er verpackt Bundmuttern für einen großen Automobilhersteller. Seine Kollegen sieht er durch das Plexiglas an seinem Arbeitsplatz. Ein kleiner Gruß mit der Hand wird so auch von den anderen gesehen. Denn nicht nur die anderen sind nett, sondern auch Thomas.

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