Runder Tisch zum Thema RassismusWie bunt, weltoffen und tolerant ist Köln wirklich?

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Bekannt für buntes Leben ist Köln – wie hier auf der Venloer Straße zu sehen. 

  • Köln ist bunt, weltoffen und tolerant: so weit das Klischee.
  • Aber wie steht es wirklich um die Integration in dieser Stadt?
  • Diskriminierung ist auch in Köln alltäglich. Die Eröffnung der Ehrenfelder Zentralmoschee hat den Dialog auf politischer Ebene negativ beeinflusst.
  • Die Rundschau hat fünf Experten zu einem Runden Tisch eingeladen.

Sehr intensiv wird zurzeit über das Thema Rassismus diskutiert. Bräuchte es da nicht auch klarere Äußerungen von Seiten der Politik? Eli Abeke: Auch heute noch muss ich aufstehen und klar machen: Ich bin ein Mensch wie jeder andere. Es gibt immer noch Mitmenschen, die in meiner Hautfarbe, meiner Herkunft aus Afrika, südlich der Sahara, einen Nachteil sehen. Denen kann ich tatsächlich nur auf politischer Ebene begegnen. Deshalb bringe ich mich im Integrationsrat der Stadt Köln ein und mache mich für Migranten stark. Und ja, Politik und Gesellschaft hätten sich schon längst anders und intensiver diesem Thema widmen müssen. Deutschland ist so bunt gemischt, dass es sich Differenzierung nicht mehr leisten kann.

Serap Güler: Dass wir gerade jetzt, nach dem Fall von George Floyd in den USA, so intensiv über Rassismus sprechen, zeigt mir, dass wir beim Thema Rassismus sensibler geworden sind. Sensibler noch, als es die Gesellschaft beispielsweise beim Nagelbombenanschlag auf der Keupstraße war. Politik reagiert auf Themen, wenn die gesellschaftliche Sensibilität dafür groß ist. Und das ist sie jetzt. Darum sind gerade in den vergangenen Wochen viele wichtige politische Schritte in die richtige Richtung unternommen worden: Unter anderem beschäftigt sich der Kabinettsausschuss der Bundesregierung mit dem Thema Rassismus.

Dabei geht es nicht nur um die Extreme des Rechtsradikalismus, sondern vor allem auch um Alltagsrassismus, den wir alle immer noch erleben. Deswegen ist der Kabinettsausschuss so wichtig. Und jeder von uns kann aus dem eigenen Umfeld Beispiele aufzählen. So musste sich meine Nichte, die sich kürzlich mit ihrem Freund eine Wohnung angeschaut hat, von der Vermieterin ins Gesicht sagen lassen: Am Telefon klangen Sie aber anders.

Wie regiert die Kölner Verwaltung auf diese Sensibilität?

Hans-Jürgen Oster: Wir sind auf mehreren Ebenen unterwegs. Wir haben in Köln eine sehr vielfältige Gesellschaft, deren Bedürfnisse wir als Verwaltung berücksichtigen müssen. Ein Beispiel: Mehr als ein Drittel der Kölner Gesellschaft hat eine Migrationsgeschichte. Darunter sind viele mittlerweile in einem Alter, in dem das Thema Pflege ansteht. Das stellt an die Verwaltung besondere Anforderungen – Stichwort kultursensible Pflege. Beim Thema Rassismus sind wir ebenfalls gefordert. Ich bin dankbar für den heutigen Diskurs. Diese Diskussion war überfällig, die hätten wir schon lange führen müssen. Und als Verwaltung können wir diese Diskussion fördern. Auch dafür ein Beispiel: Wir haben viele Straßennamen, mit denen Menschen geehrt werden, die in der Kolonialzeit Verbrechen begangen haben. Wir können jetzt den Prozess anstoßen, wie wir in Köln damit umgehen.

Wie sehr fühlt sich die DITIB in dem Diskurs gefordert?

Zekeriya Altug: Wir sind als DITIB mittendrin in der Gesellschaft, und somit auch Teil der Debatte. Es gibt die These: Islamfeindlichkeit braucht den Muslim nicht. Ich möchte das erweitern: Der Rassismus braucht die Migranten nicht. Rassismus schafft sich seine eigenen Opfer. Wir sind deshalb heute in einer brisanten Phase beim Thema Rassismus, weil es viele Politiker gibt, die am rechten Rand gefischt und damit rassistisches Denken gestärkt haben. Der fruchtbare Boden für dieses Denken ist vor allem soziale Unsicherheit.

Dennoch: Nicht erst seit George Floyd spüren wir eine leichte Sensibilisierung in der Politik, auch schon seit Halle und Hanau. Es sind nun alle demokratischen Kräfte gefordert, sich für die Vielfalt und den Pluralismus einzusetzen. Das darf nicht wieder im Sande verlaufen.

Herr Sinoplu, Sie versuchen durch Ihre Arbeit bei Coach e.V. Chancengleichheit herzustellen. Verspüren die Teilnehmer Ihrer Angebote einen verschärften Rassismus?

Ahmet Sinoplu: Wir verspüren Rassismus nicht nur jetzt, sondern dauerhaft. Unser Verein hat sich unter anderem aus diesem Grund vor 15 Jahren gegründet, weil es Chancenungleichheit aufgrund von Rassismus in Schule und Arbeitswelt gibt. Rassismus und Diskriminierung ist die Realität, auf die wir unsere Jugendlichen vorbereiten. Wir sagen einem jungen Menschen beispielsweise mit türkischem Hintergrund, stell dich darauf ein, dass du dich aufgrund deines Namens mehr bewerben musst. Darum ist es bei der jetzigen Debatte wichtig, dass wir uns nicht nur mit Lippenbekenntnissen von der Politik begnügen, sondern darauf Wert legen, dass nach den anstehenden Wahlen auch Taten folgen. Es darf nicht immer nur bei der voyeuristischen Frage aufhören, wie erlebst du Rassismus im Alltag? Wir müssen nun auch etwas strukturell verändern. Konkret: Wie kann verhindert werden, dass ein Lehrer das gleiche Diktat aufgrund eines Namens unterschiedlich bewertet? Vielfalt mag unsere Realität sein. Rassismus und Diskriminierung aber auch. Die Mehrheitsgesellschaft muss sich viel mehr mit ihrer Geschichte des Rassismus auseinandersetzen. Gleichzeitig gilt, dass sich alle Menschen mit den unterschiedlichen Diskriminierungsformen noch intensiver befassen sollten.

Güler: Wir müssen zu einer gesellschaftlichen Ächtung von Rassismus kommen. Was nützt es mir, wenn ich vor einem Gericht Recht bekomme, dass ich diskriminiert wurde, aber gesellschaftlich sich nichts verändert?

Altug: Rassistischer Terror begleitet uns seit Mölln und Solingen. Ich habe Anfang der 90er Jahre unweit von Mölln gelebt und es hautnah erlebt, als sich dort der Brandanschlag ereignete. Tausende haben auch damals schon und auch nach Solingen gegen Rassismus demonstriert. Die Bilder waren vielleicht noch wirkmächtiger als die heutigen, doch die Wirkung verpuffte, weil die Politik das Thema ignorierte.

Sinoplu: Es gab riesige Lichterketten, und dennoch müssen wir heute noch über Diskriminierung debattieren.

Altug: Genau. Aber ich habe das Gefühl, jetzt könnte sich etwas ändern. In Mölln und Solingen war es Bundeskanzler Helmut Kohl, der den Anschlagsort nicht besuchte mit dem Argument, er beteilige sich nicht an einem Beileidstourismus. Halle und Hanau hingegen haben eine politische Sensibilisierung ausgelöst. Zumindest hoffe ich das. Die Expertenkommission gegen Muslimfeindlichkeit des Bundesinnenministeriums oder den Kabinettsausschuss gegen Rassismus möchte ich als Signal dafür sehen, dass die Politik sich der Thematik annehmen will.

Güler: Ich war nach dem Anschlag in Hanau vor Ort und habe dort mit den Menschen über die Situation gesprochen. Ein großer Unterschied zu den Ereignissen in Mölln und Rostock, aber auch zu Solingen, dem Höhepunkt des rassistischen Infernos in den 90er Jahren: Damals wurde gesagt, das sind Ausländer, die da umgekommen sind. In Hanau wurde mir gesagt: Das waren Hanauer, die umgebracht wurden. Das waren unsere Leute, Menschen unserer Stadtgesellschaft.

Abeke: Das zeigt auch, Veränderungen müssen auf kommunaler Ebene beginnen. Wir haben es in Köln geschafft, ein Amt für Integration und Vielfalt zu installieren. Ich bin mir sicher, dass dieses Amt in einigen Jahren das Denken und Verhalten in der gesamten Verwaltung verändert haben wird. Ich werde dann keine Angst mehr haben müssen, bei einem Behördengang diskriminiert zu werden.

Oster: Ihre Wahrnehmung kann ich nachvollziehen, aber das kann ich für Köln so nicht stehen lassen. Wir beginnen nicht erst jetzt mit der Antidiskriminierungsarbeit. Es gibt keine Sitzung des Integrationsrates, in der in Anträgen und Beschlüssen dieses Thema nicht aufgegriffen würde. Mit der Gründung des Amtes für Integration und Vielfalt haben wir Strukturveränderungen direkt eingeleitet. Jetzt haben wir dazu ein gesellschaftliches Echo, mit dem wir nochmals verstärkt arbeiten können.

Gibt es nicht auch einen zwangsläufigen Wandel, aufgrund langer Migrationsgeschichte?

Oster: Mehr als 50 Prozent der Jugendlichen in Köln haben eine Migrationsgeschichte. Tendenz steigend. Wenn ich mir als Wirtschaftsunternehmen in dieser Stadt Sorgen um die Stellenbesetzung machen muss, dann wäre ich doch unklug, diese 50 Prozent nicht in in Betracht zu ziehen. Zuerst wird die Wirtschaft ihren Blick verändern, zunehmend dann die ganze Gesellschaft. Und wir können das befördern.

Sinoplu: Ich bin selbst hier geboren und aufgewachsen. Wir sind nicht die Anderen, wir sind ein Teil dieser Gesellschaft. Wenn wir das verstehen, dann können wir auch Gesellschaft anders gestalten. Wir arbeiten darum in der politischen Bildung mit den Jugendlichen, motivieren sie, zur Kommunalwahl zu gehen. Diese Jugendlichen wandern nicht zurück. Das würde sowieso nicht passen. Die wollen mit am Tisch sitzen. Das sind die Gestalter von morgen. Und diese gilt es heute zu begleiten, befähigen und zu befördern.

Güler: Dem stimme ich absolut zu. Als unsere Väter nach Deutschland kamen, wollten sie gar nicht mit am Tisch sitzen. Sie haben gesagt: „Da ist nicht mein Platz, ich bin nicht von hier.“ Unser Anspruch, der der zweiten Generation, ist schon ein ganz anderer. Und die dritte und vierte Generation lacht sich wiederum über unsere Ansprüche kaputt. Die sind selbstverständlich – wie schon ihre Eltern – Teil der Gesellschaft. Die verstehen gar nicht, warum sie noch über Integration reden sollen.

Altug: Unsere Kinder fühlen sich heute als Deutsche. Das hat drei Generationen gebraucht. Es wäre wünschenswert, wenn es zukünftig schneller gelingt, dass die Menschen sich mit diesem Land identifizieren. Der Schlüssel dafür ist die gesellschaftliche Teilhabe.

Aber ist denn nicht gerade bei der offiziellen Eröffnung der Zentralmoschee in Ehrenfeld eine große Chance vertan worden, ein positives Signal für eben die Integration zu setzen?

Altug: Die Eröffnungszeremonie haben wir uns eigentlich ganz anders gewünscht. Ja, das war eine vertane Chance. Zwei Jahre nach Inbetriebnahme der Moschee gab es terminliche Engpässe, die dazu geführt haben. Es ist letztlich nicht gelungen, den Besuch des türkischen Staatspräsidenten, der sein Kommen angeboten hatte, mit dem Bundespräsidenten oder einem anderen Vertreter des Bundes zu realisieren. Vielleicht hätte man da über eine Verschiebung der Eröffnung nachdenken müssen. Zwei Jahre nach der Eröffnung möchten wir aber nach vorne schauen. Wir sind seit vielen Jahren als Moscheeverein Teil der Kölner Gesellschaft.

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Eine Herausforderung der Moschee in Ehrenfeld ist aber sicherlich, dass der Bundesverband der DITIB hier seinen Sitz hat, der deutschlandweit über 900 Moscheen im Blick haben muss. Das erschwerte unsere Angebote in Köln. Wir wollen das nun durch ein Moschee-Forum lösen. Das Forum kümmert sich vorrangig um die Ehrenfelder Zentralmoschee, vergleichbar dem Domforum.

Die Eröffnung vor zwei Jahren hat viel Porzellan zerschlagen zwischen der DITIB und der Stadt Köln. Konnte da mittlerweile wieder etwas gekittet werden?

Oster: Die Art der Eröffnung hat das Verhältnis schon schwer belastet. Wir hatten die Vorstellung, diese Zentralmoschee ist eine Kölner Moschee. Die, die sich dafür eingesetzt haben, wurden am Ende vor den Kopf gestoßen. Da geht es um mehr als schlicht beleidigt sein. Vertrauen wurde zerstört. Wir haben aber die Gespräche nie abgebrochen. Doch es braucht Zeit, Vertrauen wieder aufzubauen. Die Oberbürgermeisterin hat dazu klare Forderungen an die DITIB gestellt, damit das letztlich gelingen kann. Darüber reden wir zurzeit.

Altug: Allzu oft rücken alle positiven Beiträge von Menschen mit Migrationshintergrund bei der ersten Gelegenheit in den Hintergrund und es werden Loyalitätsfragen gestellt, was wir am Beispiel von Mesut Özil sehr gut sehen können. Ohne seine Leistungen für die deutsche Nationalmannschaft zu würdigen, für die er sich übrigens trotz viel Kritik aus der Türkei bewusst entschieden hatte, stellte man ihn wegen eines Fotos an den Pranger. Das erleben auch wir als DITIB immer wieder. Auch bei uns wurde viel Vertrauen verspielt – weit vor der Eröffnung. Dennoch sehen wir es als unsere Aufgabe, einen versöhnlichen Abschluss der Bauphase hinzubekommen, insbesondere auch um unsere Unterstützer zu würdigen, aber auch zukünftig der Stadt und ihren Menschen Angebote zu unterbreiten. Die Zentralmoschee war, ist und bleibt die Kölner Moschee.

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