Serie: Mein Jahr mit CoronaWie zwei Geflüchtete das Jahr erlebt haben

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Sie haben kein leichtes Jahr hinter sich: Aischan Morad (l.) lebt mit Tochter Laila und drei anderen Kindern in der Flüchtlingsunterkunft am Weißdornweg in Rondorf.

Köln – „Wenn wir nichts zu tun haben, spielen wir am Handy, schauen Filme oder versuchen, ein wenig zu lernen“, erzählt Laila Morad. Die 20-jährige geborene Irakerin lebt mit ihrer Mutter Aischan und drei jüngeren Geschwistern seit einem Jahr und fünf Monaten in dem Flüchtlingsheim am Weißdornweg in Rondorf. „Ich versuche, mir Stricken beizubringen über Youtube“, wirft Laila spontan ein. Denn im Heim selber gibt es seit Corona so gut wie keine Freizeit-Angebote mehr – keine Grill-Nachmittage, keine kleinen Feste mit anderen Familien oder Freunden. Lailas Mutter Aischan (37) erzählt, dass auch die Flüchtlingsbetreuerin wegen Corona nicht mehr komme. Sie war vorher einmal in der Woche immer für eine Stunde da, lernte mit ihr Deutsch und besprach die Probleme der Familie.

Die fünf Morads leben in einem Vierzimmer-Apartment (siehe Kasten). Lailas Geschwister sind zwischen 13 und 18 Jahre alt. Der Vater lebt getrennt von Mutter Aischan in einer anderen Unterkunft in Köln. Das Leben unter den Corona-Auflagen im Wohnheim sei schwer, erzählt Mutter Aischan. „Vor Corona haben wir uns draußen oder in der Küche mit anderen getroffen. Viele Leute hier hatten Arbeit. Das ist jetzt alles nicht mehr möglich, weil wir die meiste Zeit über zuhause im Heim bleiben müssen – wegen Quarantäne und der Kontaktbeschränkungen“, beklagt Aischan Morad. Im Sommer hätte man noch draußen sitzen können, aber jetzt bei dem schlechten Wetter verbringe man sehr, sehr viel Zeit auf den Zimmern.

Auch Tochter Laila ist frustriert. „Mein Deutsch ist leider wegen Corona nicht besser geworden in diesem Jahr – eher im Gegenteil“. Ihr geht es eh alles nicht schnell genug. Sie möchte, auch wenn es nicht ihr Traumberuf ist, eine Ausbildung machen als Bäckereifachangestellte. Doch Anfang Dezember ist sie durch den nötigen Deutsch-Kurs gefallen. „Ich habe versucht, übers Handy online für die Prüfung zu lernen, aber es habe leider nicht gereicht“. Der Frust ist groß, sie vermisst den Deutschkurs und die Mitschüler sehr und auch die Treffen mit ihrer Freundin im Café. Die ziehe bald nach Hamburg, weil ihre Familie dort eine Wohnung gefunden habe, erzählt Laila beiläufig.

Den Kindern fehlt die Schule

Vor allem für die Kleinen sei es hart, nicht mehr in die Schule zu gehen, merkt die Mutter an. „Das Online-Lernen klappt nicht gut. Das geht hier nur über das Handy, weil wir keinen Computer haben und es in den Wohnheim-Wohnungen kein W-Lan gibt.“ „Wir versuchen manchmal, unter uns Geschwistern Deutsch zu sprechen. Ich und mein kleiner Bruder (15) machen das öfter. Aber meistens rede man Arabisch, Deutsch, alles durcheinander. „Meine kleine Schwester ist leider hörbehindert. Sie spricht fast nicht.“ Mittlerweile ist das Kind zwar zwei Mal in der Woche in Behandlung bei einer Logopädin. Aber es werde Zeit brauchen, damit sie Fortschritte mache, sagen die Experten. Auf der Förderschule lerne sie Gebärdensprache. „Wir versuchen, das auch zu lernen. Corona sorgt dafür, dass man Zeit hat dazu“, so Mutter Aischan.

Zum Wohnheim

45 geflüchtete Menschen leben aktuell im Wohnheim am Weißdornweg in Rondorf. Sie kommen  vor allem aus dem Irak, aus Tadschikistan, Serbien und Albanien. Sie sind in mehreren Häusern, die  in System-Modul-Bauweise errichtet wurden, einzeln oder als Familie untergebracht.

Die Räumlichkeiten sind unterschiedlich groß. Der fünfköpfigen Familie Morad stehen vier  Zimmer, plus Wohnküche, Dusche und Toilette zur Verfügung.  Die Zimmer sind rund elf Quadratmeter groß. Die gesamte Wohnfläche beträgt rund  55 Quadratmeter. (dhi)

Vor dreieinhalb Jahren waren die Morads nach Deutschland geflüchtet. Als die terroristische Organisation „Islamischer Staat“ (IS, arabisch Daish) in ihre Heimatstadt Shingal im Nordwesten des Iraks eingefallen war, hätten sie es irgendwann nicht mehr ausgehalten. „Wir waren alle noch Kinder damals. Frauen und Mädchen durften nicht lernen“, erinnert sich Laila. „Dann sind wir über die Türkei und weiter mit dem Schlauchboot nach Griechenland geflüchtet. Manchmal träume ich noch von Zuhause und von der Flucht“, erzählt Laila weiter. 50 bis 60 Menschen hätten im Schlauchboot gesessen, darunter viele Kindern.

Positiv sei, sagt Mutter Aischan, dass sie hier jetzt sicher seien. Ihr Asylantrag wurde vor drei Jahren bewilligt. Einen deutschen Pass haben sie aber noch nicht. Sie wünsche sich, mal als Altenpflegerin arbeiten zu können. Aber ihr Deutsch sei noch nicht gut genug.

„Wir suchen eine Wohnung für uns. Das ist unser großer Traum.“

Aktuell hat sie auch andere Sorgen. Ihr ältester Sohn (18) geht seit einem Jahr nicht zur Schule. „Er hat Probleme mit fremden Menschen und reagiert aggressiv.“ Er sei in psychologischer Behandlung und bekomme Medikamente, äußert Aischan Morad besorgt. Dann erzählt sie von ihrer Mutter, die noch im Irak ist. Sie wollte die Heimat nicht verlassen und sei dort geblieben. Das bedrücke die Familie manchmal. Denn die einzige Möglichkeit, den Kontakt zu halten, sei das Telefon oder ab und zu ein Video-Chat, um sich mal wieder sehen zu können.

Es sei alles schon schwer genug, sagt Laila. „Deswegen wünsche ich mir, dass Corona endlich verschwindet. Ich will mich wieder regelmäßig mit meiner Freundin treffen, bis sie nach Hamburg zieht. Und in der kalten Jahreszeit geht das draußen schlecht.“ Auch die Mutter musste das erleben. Bis vor Kurzem wohnten zwei, drei Familien im Wohnheim, mit denen man öfter zusammen gekocht und gegessen habe, erzählt sie. Zwei kamen aus Kurdistan, mit denen sie Arabisch sprechen konnten. Die seien vor einigen Wochen leider weggezogen, weil sie eine Wohnung gefunden haben. „Sehr schade, aber ich freue mich für sie“, so Aischan Morad. Zu den neuen Familien gebe es noch keinen richtigen Kontakt – auch wegen Corona.

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„Wir suchen auch eine Wohnung für uns. Das ist unser großer Traum. Aber es ist momentan schwer, für fünf Personen eine Wohnung in Köln zu finden“, erzählt Laila. Denn sie würde gerne in Köln bleiben. „Hier haben uns viele Menschen geholfen. Ich mag den Dom, am Rhein zu sitzen oder dort spazieren zu gehen. Auf den Rheintreppen habe ich mich oft mit Freunden getroffen, und wir haben Fotos gemacht. Die Hohenzollernbrücke mit den Liebesschlössern ist toll.“ Zum Schluss erzählt sie, sie habe mit der Schule mal einen Ausflug auf einem Rheinschiff gemacht. Das war aber letztes Jahr im Sommer, vor Corona.

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