Serie „Spurensuche“Thomas Mann und eine schwierige Kölner Beziehung

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Schriftsteller Thomas Mann mit seiner Ehefrau Katja vor dem Hauptbahnhof in Lübeck am 16.5.1955. Ein Jahr zuvor, im August 1954, hatten die Eheleute die Universität zu Köln besucht.

  • Wo hat Napoleon genächtigt? Wo stieg Max Schmeling in den Ring?
  • In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor, Orte ohne Gedenktafeln.
  • Anselm Weyer widmet sich Thomas Mann und einer schwierigen Beziehung.

Köln – „Freundlicher Aufenthalt in seiner sinnig-schönen Wohnung, voller persönlicher und künstlerischer Andenken“, notiert Thomas Mann 1954 in seinem Tagebuch über einen Besuch in der Wolfgang-Müller-Straße 11 bei dem Kölner Gelehrten Ernst Bertram. Wie alle seine Deutschlandreisen nach dem Krieg, so war auch der Besuch bei seinem ehemals besten Freund, der zwischenzeitlich zum Nazi geworden war, ein Symbol der Versöhnung.

Geliebt und gehasst hatten sich die Schriftsteller-Brüder Heinrich und Thomas Mann schon immer. Zum Eklat kam es 1914. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, bezeichnete ihn Thomas Mann als „großen, grundanständigen, ja feierlichen Volkskrieg“. Noch in den 1918 publizierten „Betrachtungen eines Unpolitischen“ postulierte er, der Obrigkeitsstaat sei und bleibe die dem deutschen Volk angemessene Staatsform. Über eben diese Unterwürfigkeit im Deutschen Kaiserreich machte sich wiederum Heinrich Mann bevorzugt lustig, der Frankreich um seine Republik beneidete und seinem jüngeren Bruder vorwarf, er tauche „allzu wohlig in die nationale Empfindungsweise ein“.

Schreibpartner und Taufpate

In dieser Zeit des öffentlich ausgetragenen Bruderzwistes trat Ernst Bertram in Thomas Manns Leben. Mann bezeichnete ihn später als den Vertrauten seiner „Grübeleien“, festgehalten sind sie in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“. An Bertrams 1918 publizierter Habilitationsschrift „Friedrich Nietzsche. Versuch einer Mythologie“ hatte Mann so intensiven Anteil, dass er sie in einem Brief als „unser Nietzsche-Buch“ bezeichnet. Als Taufpate von Tochter Elisabeth taucht Bertram sogar in Thomas Manns Gesang vom Kindchen auf.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Die „herzlichsten Glückwünsche zu Ihrer Ernennung“ schreibt Thomas Mann 1922, als Bertram als Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an die neu gegründete Universität zu Köln berufen worden war. Sohn Klaus Mann berichtet von „Professor Ernst Bertram aus Köln, der seine langen Ferien meist in München, oft in unserem Hause verbrachte“. Die Familie Mann besuchte ihn ihrerseits oft in dessen Haus in der Wolfgang-Müller-Straße 15 in Köln-Marienburg.

„Die Marienburg hat sich wohltuend bewährt“

„Wird es Ihrer lieben Mutter nicht zu beschwerlich sein, mich aufzunehmen?“ fürchtet Thomas Mann im Januar 1926 und zeigt sich im Dezember 1926 dankbar „für Ihre und Ihrer Mutter freundliche Bereitwilligkeit, mich bei sich aufzunehmen“. Mann bekundet Vorfreude, von Bertram im Juni 1928 „noch einmal durch die komplettierte Pressa“, jene legendäre Ausstellung in der Kölner Messe, geführt zu werden. Noch 1932 dankt Mann im Nachklang eines Besuchs vom 11. bis 14. November: „Die Marienburg hat sich abermals herzlich wohltuend bewährt.“

Schon da aber hatten sich die zwei entfremdet. Bertram warf als glühender Anhänger des „Dritten Reiches“ Thomas Mann, der nach vielen inneren Kämpfen doch noch den Republikaner in sich entdeckt hatte, zu geringes Nationalgefühl vor. Klaus Mann berichtet, wie Bertram zuvor immer wieder „auf die Zustände im besetzten Rheinland“ geschimpft habe: „Von den farbigen Truppen sprach er mit Hass und Hohn, nannte sie ,äffisch' und ,obszön'.“ Obwohl Bertram nicht einmal verhindern konnte, dass in Köln Thomas Manns Bücher verbrannt wurden, verstand er nicht, warum sein Freund von der im Februar 1933 begonnenen Auslandsreise nicht zurückkehrte.

Bruch mit Bertram

„Nach den Wahlen wollten wir heim, aber die dringendsten Warnungen hielten uns zurück,“ entschuldigt Thomas Mann in einem Brief. Als Bertram weiter auf eine Rückkehr drängt, zeigt sich der Ehemann einer jüdischen Frau in einem Brief vom November 1933 fassungslos, „dass Sie das mir von Grund aus Abscheuliche bejahen und verherrlichen und mich zugleich einladen, gemeinsame Sache damit zu machen. Ich kann diese Mahnungen nur als Äußerungen einer etwas gedankenlosen Gutmütigkeit empfinden. Von allem Übrigen abgesehen, kann ich ja nicht gut in einem Lande leben, wo meine Frau Beleidigungen ausgesetzt wäre und meinen Kindern grundsätzlich jede Betätigungsmöglichkeit abgeschnitten ist.“

Und so verabschiedet sich Thomas Mann von seinem langjährigen Freund: „Lieber Bertram, leben Sie wohl in Ihrem völkischen Glashause, geschützt vor der Wahrheit durch eine Brutalität, die so wenig die Ihre ist!“ Als Thomas Mann seinen Doktor Faustus schrieb, vermutete sein Sohn Klaus, die Hauptfigur, die den Teufelspakt eingegangen ist, „dürfte leicht Bertramsche Züge haben.“

Mann soll bei Entnazifizierung helfen

Nach dem Krieg, 1948, erreicht Thomas Mann die Anfrage, ob er Bertram bei dessen Entnazifizierung behilflich sein könne. „Ernst Bertram ist ein lieber, feiner und reiner, geistig außerordentlich hochstehender Mensch und war durch viele Jahre mein und meines Hauses bester Freund“, schreibt Thomas Mann daraufhin. „Was uns zu meinem Kummer einander immer mehr entfremdete war das politisch Virulentwerden seines Germanisten-Romantismus, seiner Ergebenheit an einen Blondheitsmythos und Edel-Nationalismus.“

Entschieden widerspricht er der Behauptung, Bertram sei kein Nationalsozialist gewesen. „Natürlich war er es nicht wie Hinz und Kunz, aber er war es als Mythiker, Idealist und Träumer.“ Trotzdem plädiere er „mit aller Entschiedenheit dafür, dass man ihm ein anständiges Ruhegehalt und produktive Selbstbestimmung gewährt.“

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Das war mehr, als Bertram erhoffen konnte. Ein zaghafter neuer Briefwechsel beginnt. Im August 1954 besucht Thomas Mann wieder das Rheinland „Mein Mann hatte einen Vortrag an der Universität in Köln zu halten, wo er aus dem Felix Krull las“, berichtet Katja Mann. Obwohl sie zunächst ein Treffen mit Bertram lieber vermieden hätten, fahren sie ihn besuchen – inzwischen wohnte er einige Häuser weiter in der Wolfgang-Müller-Straße 11: „Er hatte etwas ausgesprochen Tantenhaftes. In seiner Wohnung hatte er lauter so Zeug herumstehen, und wir sahen uns alles an, und dann wollten wir gehen. Da sagte er: Ja, ich hatte auch Erfrischungen bereitgestellt; seine Aufregung war so groß, dass er alle Formen der Gastlichkeit vergessen hatte. Wir sagten: Das ist reizend, und dann hat er prachtvoll aufgefahren, und wir haben noch bei ihm gespeist.“ Kurz vor seinem Tod im August 1955 schreibt Thomas Mann eine letzte Karte an seinen alten Freund: „Wir denken mit stiller Freude an unseren Besuch zurück.“

Anselm Weyer hat als Literaturwissenschaftler in Köln promoviert. Er schreibt Architekturführer und bietet Stadtführungen an.

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