Spritztour nach ChorweilerWie der erste Tag der Corona-Sonderimpfung in Köln ablief

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Köln – Um 15.20 Uhr wird Irina (58) für ihre Pünktlichkeit belohnt. Sie steigt zwei Stufen empor und nimmt auf einem Stuhl im blau-weißen Impfbus der Feuerwehr Platz. „Fire & Medical Service“ steht auf den Scheiben. Dann lässt sie sich von einem Arzt im blauen Schutzanzug die erste Ladung „Moderna“ in den linken Oberarm spritzen, fast zwei Stunden lang hat die gelernte Buchhalterin auf dem Liverpooler Platz inmitten der Hochhäuser von Chorweiler auf diesen Moment gewartet. „Eine super Aktion. Wer keine Angst hat, soll sich impfen lassen“, sagt sie erleichtert und verlässt den Bus.

Viele haben Bedenken oder gar Angst

Doch sie kennt viele Menschen, die Angst haben. Oder eine Aversion gegen bestimmte Impfstoffe. „Auch mit meinen Verwandten habe ich mehr als diskutiert“, erzählt sie. Viele von ihnen seien schlecht informiert, läsen keine Zeitung und schauten nur russisches Fernsehen. „Meine Tante ist 84 Jahre alt. Wenn sie sich impfen lässt, dann mit Sputnik, sonst nichts“, berichtet Irina, die vor 17 Jahren nach Köln gekommen ist. Der Hausarzt habe ihr eine Impfung mit Astrazeneca angeboten. Doch die Tante habe abgelehnt.

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Am ersten Montag im Mai löst die Stadt ihr Versprechen ein und beginnt mit Impfungen in sozialen Brennpunkten, in Stadtteilen mit besonders hoher Inzidenz. In Chorweiler liegt die Sieben-Tage-Inzidenz am Montag bei 543, mehr als doppelt so hoch wie der Stadtdurchschnitt. Feuerwehrchef Dr. Christian Miller spricht von einem „Meilenstein in der Pandemiebewältigung“. Auch Kölns Leitender Impfarzt Dr. Jürgen Zastrow ist nach Chorweiler gekommen, um sich von der Akzeptanz der Aktion zu überzeugen. „Am Vormittag wussten wir nicht, ob überhaupt jemand kommt“, gesteht er. Ein paar Stunden später stehen mehrere Hundert Impfwillige einmal rund um den Liverpooler Platz.

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Ersehnter Pieks: In einem Bus der Feuerwehr erhalten am Montag mehrere Hundert Menschen ihre erste Corona-Schutzimpfung.

Der Kölner Weg sorgt bundesweit für Aufmerksamkeit, zahlreiche Fernsehteams sind nach Chorweiler gekommen, denn hier wird erstmals die strenge Impfreihenfolge außer Kraft gesetzt. „Bislang hatten wir die Handfesseln an, jetzt sind sie gelöst worden“, sagt Zastrow hoffnungsvoll. Er spricht bewusst von einer „modifizierten“ Impfreihenfolge, alles andere klingt ihm zu sehr nach Zufallsprinzip und Willkür. „Die Feuerwehr löscht ja auch das Haus, in dem es brennt und nicht ein ganzes Viertel“, verdeutlicht er den Sinn der Impfaktion.

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Vor der Impfung werden die Personalien aufgenommen.

Gegen acht Uhr am Montagmorgen erfährt Benjamin Stieb von der Ankunft des Impfbusses in Chorweiler. Seitdem läuft der Sozialraumkoordinator für den Kölner Norden mit zwei Handys in den Hosentaschen durch sein Viertel. „Dass es so spontan losgeht, hat mich überrascht. So schnell konnte ich kaum telefonieren“, erzählt er. Wohnungsgenossenschaften, Streetworker, Pfarrgemeinden, Vereine – alle werden über das Impfangebot informiert. „Wir informieren mit allem, was wir haben“, stellt Engelbert Rummel stolz fest. Er ist der Bürgeramtsleiter in Chorweiler. Tatsächlich warten einige Dolmetscher vor dem Bus, um auf Russisch oder Türkisch Fragen zu beantworten.

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Schlange stehen für die Corona-Impfung: Rund um den Liverpooler Platz warten die Menschen vor dem Impfbus in Chorweiler.

Mitten in der Warteschlange, etwa 200 Meter vom Impfbus entfernt, wartet Cem K. (19) mit einem Freund. „Wir haben uns spontan entschieden herzukommen. Über die Impfstoffe hatten wir uns schon informiert, warum also nicht jetzt“, sagt er. Auf Facebook hat er den Impfaufruf der SPD-Fraktion in Chorweiler entdeckt. Auch die Junge Union und andere Gruppen im Norden hatten die Mitteliung verbreitet.

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Schlange stehen für die Corona-Impfung: Rund um den Liverpooler Platz warten die Menschen vor dem Impfbus in Chorweiler. 

Etwas abseits betrachtet Dieter Höhnen, ein älterer Herr mit Mütze, die Warteschlange. Er gehört zum Bürgerverein in Heimersdorf. „Wir arbeiten seit Wochen hieran. Viele Menschen haben sich auch in die Testzentren nicht reingetraut. Es ist wichtig, dass die Stadt hierherkommt, aber das kann nur ein Start sein“, stellt er fest. Er wohnt seit Jahrzehnten im Norden der Stadt. Bis Donnerstag soll der Impfbus jeden Tag zum Liverpooler Platz kommen.

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Auch Feuerwehrchef Miller weiß, dass der Impfstoff zu den Menschen kommen muss, weil eben nicht alle Menschen ins Impfzentrum nach Deutz kommen wollen oder können. „Das Gesundheitssystem braucht dringend eine Entlastung“, sagt er. Vorige Woche habe sich die Lage auf den Intensivstationen in den Kölner Kliniken „dramatisch zugespitzt“, zahlreiche Patienten seien mit Intensivtransportern in andere Krankenhäuser verlegt worden, um Platz für Corona-Patienten zu schaffen. „Viele Menschen aus Lebensverhältnissen wie hier in Chorweiler treffen wir auf den Intensivstationen wieder“, weiß Dr. Christian Miller. Derzeit liegen 129 Corona-Patienten auf den Intensivstationen.

Ursprünglich hat die Stadt am Montag nur 300 Dosen des Vakzins von Moderna zur Verfügung, aus dem Impfzentrum wird jedoch Nachschub geordert. „Wir wollen hier niemanden wegschicken“, sagt ein Verantwortlicher. Als um 22 Uhr die letzte Spritze gesetzt wird, ist es bereits dunkel in Köln.  

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