StadtarchivStadtbahn kann saniert werden – Gutachter will Waidmarkt verlassen

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Die Betonwand hinter dem Gerüst ist die Außenwand. Einsturzkrater und Gutachtergrube dahinter müssen verfüllt werden.

Die Betonwand hinter dem Gerüst ist die Außenwand. Einsturzkrater und Gutachtergrube dahinter müssen verfüllt werden.

Köln – Noch drei Monate, dann könnte es mit dem Bau der Kölner Nord-Süd-Stadtbahn weitergehen – zumindest mit der Sanierung der Baustelle am Waidmarkt, wo vor neun Jahren das Stadtarchiv einstürzte und zwei Menschen starben. Drei Monate beträgt die Frist, in der Einwendungen gegen die bisherige Beweissicherung an der Unglücksstelle erhoben werden können. Das der Justiz vorgelegte Gutachten hat ein Loch in einer Baugrubeneinfassung als Einsturzursache identifiziert.

Werden innerhalb der Frist keine neuen Untersuchungen beantragt, können die Stadt als Eigentümerin und die KVB als Bauherrin mit der Sanierung beginnen. Dann könnte allerfrühestens 2022 eine Stadtbahn regulär den Waidmarkt passieren. Dazu dürften die Sanierung und der Bau des fehlenden Streckenabschnitts zwischen Heumarkt und Severinstraße nur vier Jahre dauern. Fünf Jahre gelten jedoch als wahrscheinlicher. Außerdem ist die Grube zu verfüllen, in der der Gutachter die Unglücksstelle etwa 30 Meter tief erkundet hat. Dies allein dauert ein halbes Jahr und kann vermutlich nicht parallel zur Sanierung stattfinden. Die Arbeitsgemeinschaft der Baufirmen, die schon vor dem Einsturz tätig waren, wird den Bau sanieren. Dies hat die Stadt Köln bereits beschlossen.

Gutachten liegt vor

Auch die Einsturzermittlung am Waidmarkt geht nach neun Jahren zu Ende: Noch einen Monat, dann will der Geologie-Professor Hans-Georg Kempfert nach Informationen der Rundschau die Unglücksstelle verlassen. Im Juni will der vom Landgericht bestellte Gutachter mit seinem Team laut KVB noch im Schutz von vereister Erde weit unter dem Grundwasserspiegel letzte Untersuchungen anstellen. Doch sein Gutachten, das ganz klar ein Loch in einer verpfuschten Baustellenwand als Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs und zweier Nachbarhäuser belegt, liegt seit voriger Woche bei der Justiz – anderthalb Jahre vor der angekündigten Zeit.

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Drei Monate lang darf die KVB an der Unglücksstelle nun nichts verändern, für den Fall, dass noch eine Untersuchung gefordert wird. Danach kann die Sanierung beginnen. Das hieße, im schnellsten Fall würde 2022 oder 2023 die Nord-Süd-Stadtbahn fahren können – vier bis fünf Jahre dauert laut KVB die reine Sanierung und Fertigstellung der U-Bahn an der Unglücksstelle. Doch auch die Gutachtergrube muss verfüllt werden, was ein halbes Jahr in Anspruch nimmt.

Die Verteidiger zweier Bauleiter und eines Poliers wollten sich gestern am 26. Tag des Strafprozesses nicht festlegen und zogen eine Forderung nach einem eigenen Gutachter zurück. Sie wollen erst die neun Aktenordner mit dem Gutachten lesen, das die Rundschau einsehen konnte. Darin beschreibt Kempfert, wie annähernd 5000 Kubikmeter Boden durch eine verpfuschte Betonwand in die Stadtbahnbaugrube rutschte. In jahrelanger Kleinarbeit hat der Geologe mit seinem Team eine enorme Fülle von Spuren gesichert und digital sichtbar gemacht. Kempfert hat selbst zersplitterte Brocken wieder zusammengefügt und den Stein untersucht, der Jahre vor dem Einsturz am Anfang der Katastrophe stand: den Stein, den Polier und Baggerfahrer in die Wand eingebaut haben sollen, statt ihn zu beseitigen, so dass ein Loch in der Wand entstand.

Mit 4800 Kubikmeter hatte Rolf S., der Prüfingenieur der Kölner Verkehrs-Betriebe, schon vor neun Jahren gerechnet. Vom Einsturz beeindruckt suchte er eine Ursache für das Unglück, das er nicht kommen sehen konnte, weil ihm Informationen fehlten. Gestern sagte der 74 Jahre alte Tragwerksplaner als Zeuge im Prozess: „Ich wusste damals von der Feuerwehr, in welcher Zeit, die Erde in die Grube gedrungen sein musste. Nach meinen Berechnungen reichte dafür ein etwa drei Quadratmeter großes Loch aus.“ Rolf S. hatte sich 2002 bei der KVB beworben, obwohl er noch nie zuvor gehört hatte, dass ein Prüfingenieur nicht unmittelbar für die hoheitliche Bauaufsicht arbeitet. Das wäre die auf kommunale Bahnbauten spezialisierte Bezirksregierung Düsseldorf gewesen. Doch Prüfingenieur und Aufsichtsbehörde erfuhren erst Jahre später voneinander. Rolf S. wurde erst misstrauisch, als er für elf zusätzliche Brunnen jeweils den Durchbruch durch eine Zwischendecke berechnen musste, wobei je drei tragende Bewährungseisen zu durchtrennen waren. „Ich regte geologische Untersuchungen an, aber mir wurde bei jeder Nachfrage stets versichert, es gebe keine Probleme.“ Nach dem Unglück berechnete Rolf S. auch, was die Baufirmen sparten, in dem sie zwischen den Fugen aller Wandabschnitte nur fünf statt 14 Millimeter dickes Blech einbauten: „Das sparte Stahl für 175.000 Euro.“

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