Tiefer Einblick in DrogenszeneNeumarkt-Dealerin muss zum 19. Mal ins Gefängnis

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Besteck wie dieses, Blutspritzer und offener Drogenkonsum sind am Neumarkt alltäglich.

Köln – „Entweder freiwillig oder gar nicht.“ Die Frau mit dem schütteren Haar auf der Anklagebank lässt keine Zweifel aufkommen, als der Richter ihr ein mögliches Strafmaß ankündigt. Zwangsunterbringung in der Psychiatrie? Nein, das ist für sie keine Option. Sie hat davon gehört, sie kennt die Härte des Entzugs. Und den Weg zurück in die Drogenszene kennt sie auch. Eigentlich hat sie nie etwas anderes gesehen.

Zuletzt wurde die 48-Jährige am 7. Juni dieses Jahres aufgegriffen. Dann ging es für sie dahin zurück, wo sie bereits 18 Mal gesessen hatte: ins Gefängnis. Die Drogenabhängige, die an jenem Freitagmorgen auf dem Neumarkt gedealt hat, geriet gegen 10.20 Uhr in eine Polizeikontrolle. Beamte fanden in Bauchfalte und -nabel, sowie in einer Bauchtasche und in der Unterhose zahlreiche sogenannte „Bubbles“ – also kleine Plastikkügelchen mit kleinen Mengen Rauschgift darin. Die sichergestellten 11,66 Gramm Heroin und 2,67 Gramm Kokain sind der Rest von dem, was sie an diesem Morgen noch nicht unter die Süchtigen der Neumarktszene gebracht hatte. Neben dem Rauschgift stellen die Fahnder noch 369 Euro sowie ihre beiden „Arbeitshandys“ sicher.

Drogenkonsumraum steht immer noch nicht

Seit Donnerstag steht die Frau wegen illegalen Drogenhandels vor dem Landgericht. Es ist ein Prozess, der Einblicke gibt in eine Szene, die den meisten Angst macht und doch fremd ist. Nahe dem Rautenstrauch-Joest-Museum suchen sich Süchtige dunkle Ecken, um sich unweit der Passantenströme den Schuss zu setzen. Die Zugänge zur Tiefgarage sind eingehaust oder ganz verschlossen. Ein Drogenkonsumraum ist seit Jahren in der Diskussion, es gibt ihn noch immer nicht.

Die Angeklagte gibt die Vorwürfe sofort zu. Sie habe in der Zeit vom 14. Mai – an jenem Tag kam sie nach einer Strafe wegen Drogenhandels aus dem Gefängnis frei – bis zum 7. Juni 2019 Handel mit Betäubungsmitteln in 25 Fällen betrieben. Täglich verkaufte sie 80 Heroin-Bubbles zu je 0,19 Gramm für zehn Euro das Stück. Die Einnahmen von 800 Euro musste sie an den Mann abgeben, von dem sie den Stoff in Kommission bezog. Als Honorar bekam sie 20 Heroin-Bubbles für den Eigenkonsum; mit 16 hatte sie selbst mit Heroin angefangen.

„Wie ein Angestelltenverhältnis“

„Was wäre gewesen, wenn Sie die 800 Euro nicht gehabt hätten?“, wollte der Vorsitzende Michael Greve wissen. „Dann hätte ich dafür geradestehen müssen. Ich hab’ das komplette Risiko getragen“, sagte die Frau. Sie sei mal abgezogen worden, berichtet sie, und habe keine 800 Euro abliefern können. „Das musste ich abarbeiten. Ich habe dann solange nur noch zehn statt 20 Bubbles für mich bekommen, bis das Geld wieder drin war.“ Beim Kokain, das sie für einen anderen Mann vertickte, war das Risiko anders verteilt. „Wenn die Kohle weggewesen wäre, dann wäre das sein Problem gewesen“, erklärte die Frau. Verteidiger Claus Eßer ergänzte: „Das war eher wie ein Angestelltenverhältnis.“

Verkauft habe sie, so die Angeklagte, nur an Leute, die ihr bekannt waren. Indirekt bestätigte sie, dass der Neumarkt der zentrale Umschlagplatz für Drogen in Köln ist: Wenn sie auf dem Neumarkt nicht alles los wurde, ging sie nicht auf einen anderen Platz, das lohne nicht. Sie habe zu Hause zum Telefon gegriffen, und rief so lange Junkie-Bekannte an, „bis ich alles los war“.

Zwölf Jahre clean

Aufgewachsen ist die 48-Jährige in Bottrop. Schon ihre Eltern waren Junkies. Darum sei sie auch so gerne zur Schule gegangen. „Zuhause war es schrecklich“, sagte sie. Nach dem Hauptschulabschluss begann sie eine Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin. Gleichzeitig fing sie mit 16 an, selbst Drogen zu nehmen. „Ich bin gleich mit Heroin eingestiegen.“

Aus der Bäckerei heraus habe sie dann auch das Dealen begonnen, um ihre eigene Sucht zu finanzieren. „Ich hab’ das in die Brötchen gedrückt und über die Ladentheke verkauft“, sagt sie. Doch dann wurde sie erwischt und ging das erste von nun insgesamt 19 Malen ins Gefängnis.

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Nach der Entlassung macht sie weiter mit den Drogen. Ende der 1990er Jahre lernt sie in einer Therapie ihren heutigen Ex-Mann kennen. Sie bekommen zwei Töchter, die heute 15 und 17 Jahre alt sind. Nach der ersten Schwangerschaft gelingt es ihr, zwölf Jahre lang clean zu bleiben. Dann stirbt 2012 ihr Vater, ihre ebenfalls abhängige Schwester zieht zu ihr nach Köln. Da verfällt auch die 48-Jährige wieder dem Heroin.

Als ihr Mann eine andere Frau schwängert, sei sie „richtig abgestürzt“. Sie konsumiert täglich Heroin, Kokain und Alkohol, „bis das Licht ausgeht. Heroin raucht sie nur noch, weil ihre Venen zu kaputt sind fürs Spritzen. Rauschzustände erreicht sie nicht mehr. Sie nimmt Heroin nur, um keine Entzugserscheinungen zu bekommen: „Das ist wie eine Grippe, nur hundert Mal schlimmer“, sagt sie. Kopfschmerzen, Übelkeit, Schweißausbrüche. Richter Greve folgt den klaren Ausführungen der Angeklagten, hört lange zu.

In einer Pause sagt er auf dem Flur zu ihrem Verteidiger: „Ihre Mandantin hat Mut, das beeindruckt mich.“

Das Urteil

Am Freitag, einen Tag nach Prozessbeginn wurde die Frau zu drei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. „Sie haben hier deutlich über die Anklage hinaus Angaben gemacht. Wir finden das gut. Das sprach sehr für Sie“, sagte Richter Michael Greve am Freitag in der Urteilsbegründung. Als schwerwiegenden Milderungsgrund bei der Strafzumessung führte Greve ihre „Aufklärungshilfe“ an. Der Richter ermutigte die Frau ihre Drogensucht dennoch anzugehen: „Machen Sie was.“

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