Veedels-CheckHolweide – das zerschnittenste Veedel Kölns

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Die Iddelsfelder Mühle in Holweide

Köln-Holweide – In den Wipfeln der Bäume rauschen die Blätter, dazwischen mischt sich das Plätschern eines Bachlaufes mit dem Schreien der Wildgänse. Idyllisch und fast schon dörflich erscheint die von Wasser umgebene Isenburg in Holweide. Sie scheint wie das Sinnbild eines ganzen Ortes, der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit zu trotzen– und doch trügt der erste Blick. Wie in eine Märchenwelt führt eine verträum aussehende Brücke über den Bachlauf der Strunde in den idyllischen Innenhof der Isenburg. Früher war die im 14. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnte Wasserburg ein Rittergut, heute leben hier Familien.

„Als ich vor 30 Jahren hier eingezogen bin, war es schon ein ganz besonderes Gefühl, in einer Burg zu leben“, erzählt Ines Bachem. Auf der Isenburg ist die Kunsthistorikerin umgeben von Obstwiesen, kleinen Wäldern, dem Bachlauf der Strunde. Neben dem Anwesen haben sich in Holweide vor Jahrhunderten zwei weitere Rittergüter und drei heute ebenfalls weitestgehend zu Wohnungen umgebaute Mühlen nahe des Baches angesiedelt – genau dafür lieben die Holweider ihr traditionsschwangeres Viertel. „Es ist hier einmal sehr ländlich und dörflich, andererseits kommt man schnell in die Stadt“, sagt Ines Bachem.

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An der Bergisch Gladbacher Straße scheiden sich die Holweider.

Auf ihrer Burg – eine „wahre Insellage“, erzählt die 58-Jährige – ist es ganz still. Dabei schieben sich nur wenige Hundert Meter weiter dumpf brummend täglich Tausende Autos und Schwerlaster durch Holweide. Jeden Tag verkraftet die Bergisch Gladbacher Straße den Verkehr zweier Autobahnabfahrten, lange Staus und unzählige genervte Autofahrer und Anwohner.

„Diese Straße spaltet unseren Ort“, sagt Bachem – und nahezu jeder, den man hier auf die Hauptverkehrsader anspricht, berichtet dasselbe. Böse Zungen, so erzählt man im Viertel, behaupten gar, dass es nur an den Ampeln auf der Straße läge, dass überhaupt noch Holweider über die Straße auf die jeweils andere Seite des Ortes wechseln.

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Jürgen Kaiser auf der Obstwiese des Bürgervereins Holweide

Hier, wo die Straße, die die unter anderem vom berühmten Kölner Architekten Wilhelm Riphahn entworfenen Häuser der Märchensiedlung von Sozialbauten trennt, wo die Holweider täglich aus der eigenen Schlafsiedlung nach Köln fahren, wie sie die Innenstadt so distanziert selbst nennen, und wo dörflicher Traditionspathos auf die urbane Realität der heutigen Zeit trifft, lebt Franz-Josef Heidkamp. An einer Kreuzung der vielbefahrenen Straße im Obergeschoss eines alten Hofes, im Erdgeschoss betreibt er seine Metzgerei. Schon sein Großvater war hier Metzgermeister, sein Vater ebenso.

„Dieser Tradition zu folgen, ist schon sehr wichtig“, sagt Heidkamp. 14 Metzgereien hat es hier früher gegeben, inzwischen ist er der letzte seiner Art. „Damals haben eben noch alle im Fachgeschäft gekauft, heute ist das anders“, meint der 58-Jährige. „Wenn das Handwerk ausstirbt, dann stirbt irgendwann auch der Vorort.“ Doch noch will Heidkamp hier die Stange halten und mit seinen Wagen auch gelebte Tradition verkaufen. Jeden Morgen um fünf Uhr ruft sein Wecker ihn in den Hinterraum seiner Metzgerei.

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Franz-Josef Heidkamp ist der letzte Metzger in Holweide

Das Fleisch für die Theke zerlegen, das Essen für den täglich frischen Mittagstisch vorbereiten, die Termine seines Partyservices koordinieren. „Anders geht es nicht“, sagt Heidkamp. Und doch liebt er die Arbeit in seiner Metzgerei, die er selbst mit dem Kölner Millowitsch-Theater vergleicht. Dass das Theater inzwischen geschlossen ist, ist für ihn kein schlechtes Omen. „Ich stehe hinter der Bühne und meine Kunden davor“, berichtet der Metzgermeister mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Was auf der Bühne gespielt wird? „Zwischenmenschliches“, sagt er.

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Die Isenburg in Holweide, die mittlerweile bewohnt sind.

In Holweide kennt er seine Kunden, viele hier kaufen seit Generationen ein. Neue Kundschaft verschafft ihm die prominente Lage an der Bergisch Gladbacher Straße allerdings kaum, denn Parkmöglichkeiten für Durchreisende gibt es fast keine. „Ich habe gelernt, mit dem Verkehr hier zu leben“, berichtet der 58-Jährige. In seiner Metzgerei steht er zwischen den Extremen – zwischen dörflicher Tradition und urbaner Moderne, zwischen Entschleunigung und Schnelllebigkeit.Alleine ist er hier im Veedel mit diesem Lebensgefühl nicht.

„Eigentlich ist Holweide ein richtig schöner Vorort, aber durch seine Verkehrsanbindung extrem laut geworden“, sagt Karl Heinz Nußbaum, dessen Familie schon seit 400 Jahren im Ort ansässig ist. Wenn er heute durch die Straßen Holweides schlendert, dann laufen vor seinem inneren Auge die Bilder rückwärts – zurück in Zeiten, in denen hier noch die alte Baumwollbleicherei in Betrieb war, als die Bergisch Gladbacher Straße noch mit Pflastersteinen gedeckt und von Ackerland und umgeben war, wo hier die Bauern zu ihren Höfen fuhren, um ihre Kuh zu füttern.

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Grasende Kühe gibt es hier vereinzelt noch, doch die Pflastersteine sind auch hier längst dem Asphalt gewichen. „Auch wenn sich Holweide irgendwo den dörflichen Charakter bewahrt hat, ist es mit der Eingemeindung zu Köln zur Stadt geworden“, sagt Nußbaum. „Heute ist es deshalb leider eine Strafe, an der Bergisch Gladbacher Straße zu leben, früher war das anders.“ Trotzdem, so sagt der 84-Jährige, ist Holweide heute noch ein Rückzugsort, bietet Möglichkeiten zum ruhigen Wohnen, zum Zusammensein und Zusammenhalten – vor allem in den Vereinen: Für 6000 Euro hat er einem der Karnevalsvereine eine lang ersehnte Fahne gekauft, für die Holweider Kinder backt er zu jedem Oster- und Nikolausfest jeweils 120 Weckmänner. Zwei Tage lang, weil sein Ofen jeweils nur drei Teilchen auf einmal fassen kann. Menschen wie ihm ist es zu verdanken, dass Holweide zusammenwächst, sagt der Vorsitzende des Bürgervereins, Jürgen Kaiser: „Das Wir-Gefühl bei uns wächst so langsam. Früher waren hier andere Charaktere präsent. Da war das noch anders – aber Alphatiere sind nicht mehr gefragt.“

Heute versuchen die Holweider Vereine gemeinsam die Traditionen im Ort zu erhalten, veranstalten Karnevalszüge, Bürgerfeste, Konzerte, gemeinsame Ausflüge oder bewirtschaften wie der Bürgerverein eine eigene Obstwiese nahe des Ortskerns. „Darauf sind wir stolz“, sagt Kaiser. Vielleicht auch deshalb wächst Holweide immer weiter, vielleicht deshalb werden sukzessive auch die historischen Burgen, Mühlen und nun wohl auch die Baumwollbleicherei zu Wohnungen umgebaut. Es sind Gegensätze, mit denen die Holweider leben. Doch im Viertel siegt das Dorf über die Stadt, Entschleunigung siegt über die Hektik der Großstadt. 

Die Geschichte des Veedels Holweide

Bis 1910 gab es Holweide in seiner jetzigen Form gar nicht: Erst da nämlich wurden die Orte Holweide, Schweinheim, Schnellweide und Wichheim zum heutigen Viertel zusammengelegt. Eine bemerkenswerte Fügung, hatte im 17. Jahrhundert doch die Zukunft der Ortschaften ganz auf dem Spiel gestanden: Die zu dieser Zeit grassierende Pest überlebten dort nur sieben Menschen. Nur langsam kehrten die Orte zur Normalität zurück. Erste größere Bauprojekte im 20. Jahrhundert wie der Anschluss an die Vorortbahn verhalfen den Orten schließlich zum Wachstum. Sie wurden zusammengelegt und vier Jahre später zu Köln eingemeindet.  Mehrere Mühlen und alte Bauernhäuser im Viertel zeugen noch heute von jahrhundertelanger florierender Landwirtschaft im Viertel – während Holweide zeitgleich immer weiter wächst. 

Die wichtigsten Baustellen in Holweide

Es ist der Verkehr von zwei Autobahnabfahrten, der jeden Tag über die Bergisch Gladbacher Straße fließt. Seit Jahren kämpfen die Holweider Bürger für eine Entlastung der Hauptverkehrsader und hoffen auf eine Umgehungsstraße – bisher ohne Erfolg. „Für uns ergeben sich viele Probleme aufgrund der extremen Verkehrssituation“, sagt Bürgervereinsvorsitzender Jürgen Kaiser. Bis zu einer Dreiviertelstunde, berichtet er, stehen Anwohner hier zu Hauptverkehrszeiten täglich im Stau, und auch wegen der Abgase sorgen die verstopften Straßen für Unmut bei den Anwohnern. „So, wie sie ist, ist die Verkehrslage unmöglich.“ Nicht zuletzt, berichtet Kaiser, weil der starke Verkehr auf der Straße auch den Ort in zwei Teile zerschlage und sich die Menschen auf beiden Seiten nur vorsichtig nähern. Alleingelassen fühlen sich viele Holweider aber nicht nur mit der Verkehrssituation – auch dagegen, dass die Stadt einen Containerbau mit ganzen 400 Plätzen für Flüchtlinge gebaut hat, regt sich Widerstand, erzählen die Bürger – inzwischen beschäftigt sich eine eigens gegründete Bürgerinitiative mit dem Thema.

Man wolle die Flüchtlinge beim Ankommen in Holweide unterstützen, die Zahl der geplanten Wohnplätze sei allerdings zu hoch, hatten die Initiatoren bei der Gründungsveranstaltung betont. „Die Bürger wünschen sich angesichts unserer Einwohnerzahl eine bessere Verteilung der Flüchtlinge“, berichtet Kaiser.  

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