Veedels-CheckKöln-Godorf – Leben im Schatten der Industrie

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Die Chemie ist allgegenwärtig in Godorf.

Köln – Hält man im Jahr 2018 zusammen in den Veedeln? Gibt es sie noch, die typisch kölschen Veedel? Mehr als 30.000 Kölner haben sich an unserer nicht repräsentativen Umfrage beteiligt und Noten für Ihre Stadtteile verteilt. Alle 14 Tage veröffentlichen wir die Ergebnisse von fünf weiteren Veedeln.

Die Ergebnisse zu den bislang veröffentlichten Stadtteilen mit Bewertungen zu den Themen Verkehr, Einkaufen, Sicherheit und vielem mehr finden Sie hier.

Godorf – das Porträt

Wohl kaum ein anderer Ort in Köln ist derart von industriellen Flächen umgeben wie Godorf. Ein großes Möbelhaus auf der einen Seite, ein Baumarkt und ein Großhandel. Schuhgeschäfte, Karnevalsbedarfskaufhäuser und etliche Firmen sowie Handwerksbetriebe bestimmen hier einen guten Teil der Szenerie. Deutschlands größte Raffinerie mitsamt einem Chemiegüterhafen die andere Seite. Und mittendrin Wohnungen: Die aus den 60er und 70er Jahre stammenden Einfamilienhäuser mit ihren großen Gärten sind nur einen Steinwurf entfernt.

Bekannt vor allem als Chemiestandort

Godorf ist bekannt. Nicht als Wohnort, eher als Chemiestandort und Einkaufsmekka für Fans eines schwedischen Möbelhauses. Während sie zwischen der Söderhamn-Wohnlandschaft und dem Billy-Regal regelmäßig probewohnen, leben die knapp 2400 Einwohner dauerhaft zwischen Autobahn und Godorfer Hafen in Sichtweite von Schloten und Rohöltanks. Godorf und die Industrie, das ist eine Einheit.

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Bunte Farbtupfer zeugen von der Liebe vieler Anwohner zu ihrem Veedel.

Für Durchreisende oft genug ein Graus, für die Bewohner Normalität und Broterwerb. Väter und Großväter arbeiteten schon dort, einige tun es heute noch. Sie schätzen die Nähe zu ihrem Arbeitsplatz. Die meisten Bewohner sind eng verbunden mit Shell und Co. „Wir leben von und mit der Industrie, und das schon seit Jahrzehnten“, sagt Metzger Klaus Schmickler. Schon morgens, wenn die Frühschicht anrückt, öffnet Schmickler seinen Laden. Arbeiter holen sich belegte Brötchen oder was sie sonst noch zum Frühstück brauchen. Auch in der Bäckerei herrscht früh am Morgen schon geschäftiges Treiben. Später kommen die Schüler, die mit der Bahn zur Schule fahren, die KVB karrt vormittags beharrlich Pendler in den Ort. Solange der Bus zwischen Meschenich und Rodenkirchen pendelt, herrscht Betriebsamkeit in dem kleinen Ort. Erst am Abend wird es ruhiger. Dann knattern Jungs mit ihren aufgemotzten BMW über die Hauptstraße, die nicht nur eine ist, sondern auch so heißt.

Sportplatz als Filmkulisse

Godorf ist Vieles. Beispielsweise Filmkulisse für „Das Wunder von Bern“. Der Sportplatz des SV Godorf 1956 im Schatten der Öltanks diente als Drehort. Schön aber ist Godorf nicht. Immer blitzt irgendwo am Horizont ein Turm auf, ist die dauerhaft lodernde Gasflamme der Shell zu sehen.

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Nur wenig alte Substanz bleibt erhalten – wie dieses Fachwerkhaus.

Und trotzdem lieben die meisten Godorfer ihren Ort. So wie Stefan Ebert. Der 30-Jährige ist erster Vorsitzender der Interessengemeinschaft Godorf, kurz Goding genannt. Aufgewachsen zwischen der Einfamilienhausidylle und naturverbunden Straßennamen wie Buchfinkenstraße oder Amsel- und Drosselweg, fühlt er sich seinem Heimatort immer noch eng verbunden. Zwar hat er Godorf als Wohnort schon vor Jahren zugunsten der Innenstadt den Rücken gekehrt, dennoch zieht es ihn immer wieder hierher zurück – mindestens einmal die Woche. „Hier gibt es ja nichts“, sagt Ebert schulterzuckend und damit meint er weniger die Einkaufsmöglichkeiten. Was fehlt, ist eine Infrastruktur für Jugendliche. „Es gibt noch nicht einmal einen schönen Platz am Rhein“, sagt er. Wie die meisten anderen jungen Menschen auch ist er in Rodenkirchen zur Schule gegangen, an den sandigen Ufern der Riviera spielte sich sein Sozialleben ab.

Godorf ist auch familienfreundlich

Damit kann Godorf nicht dienen. Klar, es gibt eine Sitzecke am Godorfer Hafen, der Ausblick nach Porz-Langel ist hübsch und irgendwie romantisch. Wo die Sürther Aue beginnt, stehen ein paar Bänke. Aber das ist einigermaßen abseits und der Weg dorthin nicht unbedingt schön.

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Die alte Mühle wurde gestutzt: Galerie und Flügel fehlen.

Und dennoch, viele junge Familien zieht es hierhin. Godorf ist kinderfreundlich, es gibt Schulen, Kitas und Einkaufsmöglichkeiten. Ebert hat schöne Erinnerungen: Hier konnte er auf der Straße spielen, hatte Freunde in der Nachbarschaft. Als Kind fanden er und seine Kumpels die Industrie „cool“ und manchmal richtig abenteuerlich, wenn die Fackel mal wieder hell über dem Kölner Süden leuchtete. Bisweilen aber auch beängstigend, etwa als es Anfang des Jahrhunderts eine Explosion gab und sich ein „Feuerregen“ über die Gegend ergoss. Die Menschen mussten ihre Häuser verlassen, konnten erst am Abend wiederkommen.

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Seitdem hat es einen solch gravierenden Vorfall nicht mehr gegeben. Godorf hat sich verändert. Es wird gebaut. Ein neuer Kindergarten ist entstanden, mehrere Mehrfamilienhäuser entstehen. Godorf ist Zuzugsgebiet. In den Wohnstraßen könnte man die industrielle Nachbarschaft glatt vergessen. In den Sommermonaten mischt sich Grillgeruch mit den Vogelstimmen, deren Gezwitscher vor allem morgens und abends zu hören ist, zu einer ländlichen Idylle. Der Blick fällt auf gepflegte Beete und mehrere hundert Quadratmeter große Rasenflächen hinter den Häusern.

Godorf ist klein, überschaubar. Ein von Arbeitern geprägter Ort. Man kennt sich und hilft sich, schneller als anderswo wird gemeinsam angepackt, wenn es etwas zu tun gibt.

Eine Veedelskneipe gibt es schon lange nicht mehr, in der die Menschen ihr Feierabendbier trinken und Tratsch austauschen. Aber in der Nachbarschaft sitzt man immer noch zusammen, schwatzt und genießt ein gemeinsames Bier im heimischen Garten, wo es blüht und duftet.

Aber es gibt auch die andere Seite, jenseits der Godorfer Hauptstraße. Ein Ort im Ort, wenn das denn überhaupt zutreffend ist und die Größenverhältnisse nicht eigentlich umgekehrt liegen. 230 Hektar misst das Shell-Gelände. Das entspricht etwa 300 Fußballfeldern. Abgeriegelt von Zäunen und einem Wachdienst, kommt dort nur hinein, wer eine Zugangskarte hat. Täglich passieren fast genauso viele Menschen das Werkstor wie Godorf Bewohner hat.

Es gibt Straßen, Radwege und mehrere Hektar Wald. Es gibt Parkverbote und Tempolimits. Rote und gelbe Linien säumen den Fahrbahnrand. Aus riesigen Türmen dampft es. „Die roten Linien dürfen auf keinen Fall ohne Schutzkleidung übertreten werden“, sagt Unternehmenssprecher Dr. Jan Zeese während eines Spaziergangs über das Gelände. Eine Welt aus Rohrsystemen, Schloten, großen Kesseln und Tanks. Für den Laien eine Mischung aus industriellem Flair und beängstigenden Stoffgemischen, die permanent durch die kilometerlangen Rohrsysteme fließen. Geplant wird aktuell ein eigenes neues Kraftwerk – auch das ist Godorf.

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