Veedels-CheckSürth bekommt Topnoten für Sicherheit und Kinderfreundlichkeit

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Der Rhein in Sürth

Sürth – Es ist vor allem die Nähe zum Rhein, die den Ort so lebenswert macht. Darin sind sich die Sürther einig. Und der Fluss zeigt sich tatsächlich von einer besonders idyllischen Seite, wenn er das langgezogene Dorf begleitet, wenn die Wellen an die Boote im kleinen Hafen plätschern und an das urige Sürther Bootshaus, das immer gut ist für eine kleine Auszeit – allerdings ist es derzeit wegen Renovierung und eines Eigentümerwechsels geschlossen.

Viel urwüchsige Natur gibt es am Ufer, viel Raum zum Entspannen und sich Bewegen und viel Platz zum Spielen und Toben. Zum Beispiel auf dem großen Spielplatz oder dem angrenzenden Fußballrasenplatz. Am südlichen Dorfende liegt das Naturschutzgebiet Sürther Aue – ein umstrittenes Gebiet. 2009 postierte sich dort eine Mahnwache, um die Erweiterung des Godorfer Hafens auf Kosten des Naturschutzgebietes zu verhindern. Auch wegen der Proteste ruht heute das Ausbauprojekt. Gerodet wurde trotzdem. „Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld, ich hatte Tränen in den Augen“, sagt Manfred Giesen vom Bürgerverein „für Sürth“.

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Aus dem ehemaligen Getreidespeicher in Sürth wurde ein Wohnhaus. 

Nicht nur mit viel Grün punktet Sürth, auch historisch bietet das längst zusammen gewachsene „Ober- und Unterdorf“ so einiges, alleine 29 Denkmäler. Eins davon ist das Mönchhof-Ensemble, ein landwirtschaftliches Gut mit einer schattigen Allee, die vom Hoftor schnurstracks durch eine Wiese zur Backsteinkirche St. Remigius führt. Oder der Falderhof. Den ehemaligen Milchhof hat vor Jahren die Künstlerfamilie Rudolf und Gertrud Peer gerettet und mit Riesenaufwand originalgetreu zum charmanten Hotel mit Restaurant und Biergarten umgewandelt. Daneben befindet sich das schmucke „Herrenhaus“ des ehemaligen Gutshofbesitzers. Andere beeindruckende und heute denkmalgeschützte Villen bauten sich vermögende Bürger um 1910 vor allem an der Ulmenallee nach Entwürfen des Kölner Architekten Max Stirn. Die „Hausmannshäuser“ an der Bergstraße geben sich da bescheidener.

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Von den Balkonen am ehemaligen Verwaltungsgebäude der Linde AG hat man einen Top-Blick aus Köln.

Sie entstanden im 19. Jahrhundert. Kleinbauern, Handwerker und Arbeiter wohnten dort. Sie waren zum Beispiel bei der Henkel-Sodafabrik an der Industriestraße beschäftigt, wo später Wachs und Kerzen hergestellt wurden. Seit 1979 ist die „Wachsfabrik“ mit dem markanten Fabrikschlot das Domizil einer Künstler- und Ateliergemeinschaft; auch das Kölner Choreografen-Netzwerk Barnes Crossing hat dort seinen Sitz. Und mitten im Kunstzentrum betreibt „Ringo“ sein originelles Café.

Ortsprägend sind die früheren Fischerhäuser entlang der Sürther Hauptstraße. Schön hergerichtet präsentieren sie sich, viele von ihnen sind jedoch verschwunden und durch neue Gebäude ersetzt, genau wie die meisten der insgesamt sechs ehemaligen landwirtschaftlichen Gutshöfe. „Mit der alten Bausubstanz sollte man viel vorsichtiger umgehen“, findet Manfred Giesen. Sürth war früher auch ein Weinort. Bis ins 18. Jahrhundert wuchsen zwischen Hauptstraße und Rheinufer zahlreiche Rebstöcke, wie auf alten Karten zu sehen ist. Der Wein soll ziemlich sauer gewesen sein, ein „soore Hungk“. Der letzte Sürther Winzer war Josef „Jöppi“ Espey. Im Garten seines Wohnhauses hegte und pflegte er jahrelang 100 Weinstöcke und produzierte noch bis 2013 eigenen Wein – den roten und den weißen „Sürther Johannisgrund“. Einige Flaschen lagern noch in manchen Kellern, so auch in dem der Autorin.

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Noch ist die ländliche Struktur einigermaßen erhalten, doch der Stadtteil entwickelt sich rasant und wandert auf einem schmalen Grat zwischen Dorfbeschaulichkeit und Vorort-Schicksal. Sürth ist Zuzugsgebiet, viel wurde und wird gebaut, an der Heinrich-Erpenbach-Straße, an der Bahnhofstraße, am Heidelweg, am Sürther Feld – wenngleich dieses Neubaugebiet zum Stadtteil Rodenkirchen gehört. Die Begleiterscheinungen bleiben nicht aus: Zu teure Wohnungen, zu viele Autos, zu wenig Parkplätze, eine überfüllte Grundschule und ebensolche Kitas. Positiv in punkto Infrastruktur sind zwar die Stadtbahnlinien 16 und 17, die in Sürth halten – sie sind die „Nachfahren“ der elektrischen Rheinuferbahn, die 1906 gebaut wurde. Dennoch könnte der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) besser sein. „Bahnen und Busse sollten öfter fahren, dann würden die Straßen entlastet“, sagt Bettina Leitner.

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Das Falderhof-Hotel in Sürth

Leitner wurde vor rund eineinhalb Jahren zur ehrenamtlichen Vorsitzenden der Dorfgemeinschaft (DG) gewählt als Nachfolgerin des langjährigen „Dorfchefs“ Theo Jankowski.

Die DG pflegt laut Satzung die Tradition und das Brauchtum, kümmert sich um Senioren, um Landschafts- und Denkmalschutz. Die 56-jährige selbstständige Trainerin für Persönlichkeitsentwicklung schaut auch über den Tellerrand und sucht verstärkt den Kontakt zum Bürgerverein „für Sürth“, der sich mit Manfred Giesen eher politisch engagiert. „Ich freue mich über die Zusammenarbeit“, sagt er. Ein Anliegen von Leitner ist die Unterstützung der Geschäftswelt. „Den Geschäftsleuten wird es schwer gemacht zu existieren“, sagt sie. Sie würde sich mehr Sicherheit für verkaufsoffene Sonntage wünschen. Die Konkurrenz durch den Online-Handel und die nahe Stadt ist riesengroß. Was Geschäfte betrifft, sieht es dennoch nicht so schlecht aus in Sürth. Vor allem im Bereich Sürther Hauptstraße/Falderstraße/Markplatz – dem historischen Kern – haben sich in den vergangenen Jahren rührige Geschäftsleute angesiedelt, die Bücher, Kunst, Schmuck und Accessoires, Gewürze, Individuelles zum Anziehen und für die Wohnung anbieten. Sie kümmern sich um mehr Lebendigkeit, veranstalten Aktionen.

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Für manche liegt Sürth am Meer, wie das Graffito am Seniorenweg zeigt.

An das kleine geschäftige Zentrum schließt sich der Marktplatz an, ein Platz mit Charme-Potenzial. 20 Linden umgeben das mit Kopfsteinen bepflasterte Quadrat. Bis in die 1960er Jahre standen auf der Fläche noch Reste des Gutes „Fronhof“. Und doch ist er die meiste Zeit nur Parkplatz.

Im Karneval lockt die KG „Löstige Flägelskappe“ 2000 jecke Frauen zu fulminanten „Mädchersitzungen“ ins Zelt. Im Frühjahr wird die Maikönigin gekrönt, mit Blasmusik und Tanz, das hat seit 60 Jahren Tradition. Ingrid Kupgisch von der Dorfgemeinschaft kümmert sich um die jungen Sürther Frauen, die jeweils ein Jahr das Krönchen tragen und soziale Aufgaben erfüllen. Der Weihnachts- und Herbstmarkt findet statt, seit ein paar Jahren lädt der Verein „Côte da Sürth“ im August zum Fest in Blau-Weiß ein. Dann zeigt sich der Platz von seiner besonders gastfreundlichen Seite.

Die Geschichte des Veedels Sürth

Im Jahr 1059 wird Sürth zum ersten Mal schriftlich erwähnt als „Soretha“, ab dem 13. Jahrhundert auch als „Sürd“ und „Sürde“. Der althochdeutsche Name bedeutet „trockener Ort“, was ein Hinweis auf die damals hochwassersichere Lage ist. Grundbesitzer waren vor allem Klöster und Stifte. Bis ins 19. Jahrhundert lebte der Ort von Ackerbau, Fischfang und Weinanbau. Im Jahr 1717 gab es in Sürth nur etwa 250 Einwohner. Anfang des 19. Jahrhunderts setzte die Industrialisierung ein mit der Sodafabrik, die ab 1945 eine Wachsfabrik wurde, mit der Eisengießerei Hammerschmidt, der Maschinenfabrik Sürth – der späteren Linde-Kältetechnik. Es entstanden Villen und Werkswohnungen. Große Arbeitgeber sind heute Atlas Copco, Carrier (ehemals Linde) und das weltweit tätige Medienunternehmen Ströer. Ältere Sürther erinnern sich an den „Plakatpapst“ Heiner Ströer (1938 – 2004), der 1964 eine Firma für Außenwerbung gründete. Seit 1982 befindet sie sich in Sürth, seit 2002 in einem Neubau am südlichen Ortsrand. (süs)

Die Baustellen des Veedels Sürth

Der Bahnhofvorplatz wird umgestaltet, im kommenden Jahr werden zwei neue Häuser für Gewerbe und Wohnungen gebaut. Dadurch ist die „Fuhrwerkswaage Kunstraum“, die renommierte Ausstellungshalle im historischen Backsteinbau, bedroht. Bürger und die Bezirkspolitik wollen die Institution aber erhalten. 

Strittig ist im Zuge der Umgestaltung auch die neue Zufahrt zum P&R-Platz, der direkt an das Neubaugebiet angrenzt. Insgesamt soll der Bahnhofvorplatz eine attraktive „neue Mitte“ werden, das wünscht sich jedenfalls der Bürgerverein „für Sürth“. Andere Sürther sehen ihr Zentrum beim Marktplatz. Auf dem Gelände des Godorfer Hafens will sich der Schrottrecycler Theo Steil voraussichtlich ab 2020 ansiedeln. Bewohner von Sürth und Godorf befürchten erhebliche Belastungen durch Lärm, Staub, vermehrten Lkw-Verkehr. Bereits im Vorfeld gibt es Bedenken und Einwände. Auch der geplante Ausbau des Godorfer Hafens im Naturschutzgebiet Sürther Aue ist laut Beschlusslage nicht vom Tisch. Derzeit ruht das Vorhaben aufgrund von Klagen. Bürger im Kölner Süden fordern einen neuen Ratsbeschluss, der die Ausbaupläne endgültig ablehnt. (süs)

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