VeedelsjeföhleIn den kölschen Liedern wird die Heimat vor der Tür gefeiert

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Mythos und kölsches Ideal: Das Bild von Erik Schwarz stammt aus dem Buch „Kirmes Südstadt 1961“  aus dem Emons-Verlag.

  • Zur Kölner Lebensart gehören auch die kölschen Lieder.
  • Die Mutter aller Veedelslieder haben die Bläck Fööss geschrieben: „In unserem Veedel“ .
  • Georg Hinz, der Mitbegründer der Loss-mer-singe-Bewegung, hört jedes Jahr hunderte neu produzierte kölsche Lieder.

Köln – Als Ludwig Sebus aus dem Krieg heimkehrte, erkannte er seine Stadt nicht wieder. Der Dom stand noch, das war das Wichtigste, aber viele Häuser und Straßen waren völlig zerstört, erinnert sich der 94 Jahre alte Krätzjersänger. Die Familie wohnte in Neuehrenfeld, die Lieder vom alten Köln, von Willi Ostermann und anderen, all die Gefühle vom Veedel hätten ihm die Heimkehr erleichtert.

„Jeder Stein en Kölle es e Stöck vun dir“ lautet der erste Titel, mit dem Ludwig Sebus nach dem Krieg Erfolg hatte. Ein Lied zum Mutmachen, ein Aufbauhit. Sebus hat danach unzählige Krätzjer gesungen. Von den lieben Verwandten, dem Ostermannbrunnen und dem Onkel Jupp, beim dem an der Theke „et Suffe immer flupp“. Mit dem Motto „Et Hätz schleiht em Veedel“ erweist das Festkomitee in dieser Session den Stadtvierteln eine besondere Ehre.

Auch aus der kölschen Musik sind die Veedel nicht wegzudenken. Mittel im Leben, in der „Weetschaft op dr Eck“ und bei der „Ahl Frau Schmitz“ spielen all die Geschichten, die die Kölner so gern mitsingen. „Das Veedel ist ein Sehnsuchtsort“, sagt Georg Hinz. „Es geht immer um Heimat, um gelebte Gemeinschaft.“ Der Mitbegründer der Loss-mer-singe-Bewegung hört jedes Jahr hunderte neu produzierte kölsche Lieder und kennt die Schwüre auf Geselligkeit und Zusammenhalt. Beides gibt es so nicht mehr, vielleicht war es nie so. Es gehe in den Liedern um etwas anderes, um eine „Anschlusskultur“, sagt Hinz, etwas, an dem man sich orientieren könne. „Die Veedel helfen, sich zu verorten.“

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Das Veedel ist ein Sehnsuchtsort. Es geht um Heimat, um gelebte Gemeinschaft. Georg Hinz Loss mer singe

Die Mutter aller Veedelslieder haben die Bläck Fööss geschrieben: „In unserem Veedel“ beschwört die Gemeinschaft, in der keiner alleine bleibt. Aus dem Lied ist ein kölsches Mantra geworden. Beflügelnde Verse für die kölsche Seele. „Das kölsche Veedel ist ein Mythos“, sagt der Heimat- und Brauchtumsforscher Wolfgang Oelsner. Jeder wisse, dass es dieses viel besungene Jeföhl nicht mehr gibt. Aber es sei gut, den Idealtypus im Kopf zu haben. „Das ist die Funktion von Liedern.“

Bastian Campmann, Sänger von Kasalla, wohnt in Braunsfeld und kommt gebürtig aus Stammheim. „Natürlich hat sich dort vieles verändert“, sagt er. Es gibt nur noch zwei Kneipen. Und wo die Kneipen sterben, schwindet auch die Gemeinschaft. Kasalla haben mit „Mer sin eins“ ein kölsche Mer-stonn-zesamme-Hymne geschrieben. „Für mich ist das Veedel weniger ein Ort als ein Gefühl“, sagt der Kölschmusiker. Er hält sich nicht lange damit auf, vergangenen Zeiten hinterherzutrauern: „Früher war immer schon alles besser.“ Natürlich sei Musik auch romantische Verklärung. „Wir sind keine Wissenschaftler. Wir versuchen, Gefühle zu besingen und damit Emotionen zu wecken.“

Von Titel zu Titel, von Generation zu Generation

Und so wird der Veedelsmythos immer weiter getragen. Von Titel zu Titel, von Generation zu Generation. Junge Bands wie Cat Ballou oder Miljö („Leechter beim Lommi“) vertonen das Leben im Veedel mit modernem Groove und satten Beats. „One Love, one Veedel“, singen die Brass-Popper von Querbeat. „Kioskbier un aff dafür.“ Diese Übersetzung gelingt nicht allen Musikern so federleicht. Wolfgang Löhr, Chef des Dabbelju-Labels , hört vor jeder Session unzählige Stücke. Dom, Rhing und Sunnesching sind häufig dabei.

„Aber das Veedel ist etwas anderes. Es ist ein Klassiker, die Bühne für eine Geschichte.“ Wie bei Ostermanns „Düxer Schötzefeß“, seinem ersten großen Erfolg. Der Zusammenhalt sei immer wichtiges Attribut. Vor der eigenen Tür kennt man sich und hilft sich. Dies sei die Reinform des Klüngels. Ohne Raffgier und schmutziges Spiel. Die Lieder besingen somit eine positive Kraft, die es so nicht gibt. Aber man wird ja noch träumen dürfen.

Das Veedelslied der Bläck Fööss

1973 brachten die Bläck Fööss zwei Lieder auf einer Single heraus, die sich kritisch mit der Stadtentwicklung beschäftigten: „Mer loss d’r Dom in Kölle“ und  (als B-Seite): „In unserem Veedel“.

Im gleichen Jahr war die Sanierung des Severinsviertels im Stadtrat beschlossen worden. Man fürchtete, dass langjährige Mieter vertrieben werden könnten und hatte Sorge von Spekulanten. In Chorweiler war mit den hochgeschossigen Mietshäusern eine neue Stadt entstanden. Die Stadt veränderte sich rasend schnell und mit einer Wucht, die viele Bürger überforderte.

Ihrefeld, Düx, Nippes un Kalk – Textproben

„Vun der Südkurv bes zom Nordkrüz. Un vum Pletschbach zom Troodelööh. 

Vun Wesshoven bes noh Ossheim. Mer zesamme, mer sin Eins.“

(Mer sin eins, Kasalla)

„Ihrefeld, Raderthal, Nippes, Poll, Esch, Pesch un Kalk.

Üvverall jitt et Fans vom FC Kölle En Rio, en Rom, Jläbbisch, Prüm un Habbelrath

Üvverall jitt et Fans vum FC Kölle.“

(Mer stonn zo dir, FC Kölle, Höhner, Stadion-Hymne des FC)

„Un mer fahre mit der Bahn

üvver de Düxer Bröck.

Nur noch eine letzte Bleck zoröck.

Un mer driehe uns in Rausch un Euphorie. Un fleeje langsam en de Fantasie. Einfach mal abkalken. Op dr schäl Sick abschalten.

Den Takt der Stadt halten.

Einfach mal abkalken.“

(Abkalken, Querbeat)

„Du bes Ihrefeld, Niehl un Neppes, bes Sinnersdorf un Esch. Bes Kalk ja jut, och Bergheim häs Jlöck un bes och Pech.

Du bes Kölle, ob de wills oder och nit. Du bes Kölle, weil et söns kein Kölsche jitt. Du bes Kölle. Du bes super tolerant. Nimps jeden op d’r Ärm. Un an de Hand.“

(Do bes Kölle, Tommy Engel)

Im Mai des Jahres trafen sich Erry Stoklosa und Tommy Engel und sprachen über einen Song, der diese Entwicklung aufnehmen könnte: „In unserem Veedel“. „Anfangs hatte es eine andere Melodie, es war eher ein Schlager“, erinnert sich „Bömmel“ Lückerath. Das gefiel nicht allen in der Band. Hartmut Priess komponierte es um und verlieh ihm eine Sentimentalität, die bis heute jeden Kölner berührt. Die Fööss setzten sich damals auch für die Hausbesetzerszene ein, doch „das Lied war kein Protestsong“, sagt Lückerath. „Es sollte ein Unbehagen ausdrücken, das sich in der Bevölkerung breit gemacht hatte.“

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Das Lied war kein Protestsong. ,In unserem Veedel’  sollte eher ein Unbehagen ausdrücken, das sich in der Bevölkerung breit gemacht hatte. „Bömmel“ Lückerath - Bläck-Fööss-Gitarrist

3:58 Minuten ist das Veedelslied in der Ursprungsversion lang. 1976 ist es auf dem Album „Mer losse d’r Dom in Kölle erschienen (Foto). Im Laufe der Jahre hat es sich gewandelt zu einer kölschen Allround-Hymne, die auf jedem Nachbarschaftsfest, nach einer deftigen Niederlage im Stadion oder als Rausschmeißer zur späten Partystunde funktioniert. Als Selbstvergewisserungshymne sei es 2005 durch den Stammbaum abgelöst worden, sagt „Bömmel“ Lückerath. Beide Lieder beschreiben, so das Gründungsmitglied der Fööss, ein Wohlfühlen in der Stadt und mahnen, vernünftig miteinander umzugehen. (mft) 

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