Vergiftete Atmosphäre in KölnKirsten Jahn hält zum Abschied eine Verteidigungsrede

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Zum letzten Mal nahm Kirsten Jahn an einer Sitzung des Stadtrats teil. Die Fraktionschefin der Grünen wechselt zum 1. März als Geschäftsführerin zur Metropolregion Rheinland.

Zum letzten Mal nahm Kirsten Jahn an einer Sitzung des Stadtrats teil. Die Fraktionschefin der Grünen wechselt zum 1. März als Geschäftsführerin zur Metropolregion Rheinland.

Köln – Um 17.11 Uhr kommt sie also doch noch. Lange Minuten hat Kirsten Jahn zuhören müssen, wie viele ihrer politischen Gegner sie verbal auseinander genommen haben für ihren bevorstehenden Wechsel zur Metropolregion Rheinland, bei dem Verein wird sie die Geschäfte führen, ein Jahresgehalt von bis zu rund 150 000 Euro inklusive. Doch dann steht die Grünen-Fraktionschefin von ihrem Platz in der ersten Reihe auf, den sie an diesem Tag zum letzten Mal besetzt und geht zum Rednerpult.

Jahn will sich rechtfertigen, sie hält eine 5 Minuten und 29 Sekunden lange Verteidigungsrede mit teils reichlich Pathos. „Wir erweisen der Demokratie einen Bärendienst, wenn wir unterschiedliche Sachverhalte gleichsetzen nur mit dem Ziel, daraus politisches Kapital zu schlagen“, sagt Jahn und meint den Vergleich der Stadtwerke-Affäre mit ihrem neuen Job. Martin Börschel, der infolge der Affäre neuer Stadtwerke-Boss werden sollte, sitzt in diesem Moment nicht mehr auf seinem Platz, hört sie nicht.

Lange Rede mit reichlich Pathos

Jahn holt weit aus, redet auch von Verantwortung der Politiker im Rat, „der blanke Hohn“, raunzt SPD-Mann Franz Philippi unter anderem angesichts der Vorwürfe, nur Oberbürgermeisterin Henriette Reker habe ihr den Posten verschafft, die Stimme der OB hatte Jahn bei einem Stimmverhältnis von 3:3 den Job gesichert. „Stadtwerke-Affäre 2.0“, heißt es im Rat, oder „Versorgungspolitik“. Für Jahn ist nach der Sitzung Schluss, nach zehn Jahren. Es ist ein Abgang, der ihr wehtut, das gibt sie selbst zu: „Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass der aktuelle Umgang mit mir und meinem beruflichen Wechsel schmerzt und manchmal auch Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit vermissen lässt.“

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Vergiftete Atmosphäre im Kölner Stadtrat

Tatsächlich gehört zur Wahrheit an diesem Tag aber auch: Der Stadtrat ist endgültig im Dauer-Kampfmodus angelangt, es scheint fast so zu sein, dass in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Rates neuerdings hinterlegt ist, dass fast jede Personalangelegenheit Krach auslöst. Einige Fraktionen haben sich seit Aufploppen der SWK-Affäre im April 2018 im Großen und Ganzen nicht gerade als Großmeister der Sachpolitik erwiesen – Ausnahmen inbegriffen. „Es ist der schlechteste Rat seit vielen Jahren“, sagt ein langjähriges Mitglied. Teils entsteht der Eindruck, die Fraktionen warten nur darauf, was sie dem jeweils anderen wieder vorwerfen können. Das ist normales Geschäft über bestimmte Zeiträume oder Themen, in Köln wirkt es aktuell wie ein Schlagersong in Dauerschleife. Von möglichen „blauen Augen“ im Rat spricht etwa Thor Zimmermann (Ratsgruppe Gut). Es ist ein Scherz, aber ein Scherz mit einem Funken Wahrheit. Fragt man Politiker vor einer Sitzung, was inhaltlich Wichtiges ansteht, heißt es schon mal: „Wir beschäftigen uns gerade nur mit uns selbst und nicht mit den Themen, die den Bürger interessieren.“

Reker verspricht „gute Vertretung

Eines dieser Themen ist der Schulbau, doch dafür braucht es eine Nachfolgerin für die scheidende Amtsinhaberin Agnes Klein, sie hört Ende April auf. Reker hatte das Verfahren angehalten. Sie befürchtet juristische Probleme, da im Vorfeld öffentlich spekuliert wurde, Brigitte Meier (SPD) sei die aussichtsreichste Kandidatin. Die SPD hat ein Gutachten präsentiert, wonach der Abbruch des Verfahrens rechtswidrig sei, sie beantragt, das Verfahren „schnellstmöglich fortzuführen“. Der Antrag scheitert nach scharfer Debatte an CDU, Grünen und FDP. Zu der jetzt drohenden Verzögerung sagt Reker: „Wir werden für eine gute Vertretung sorgen.“

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