Vier Flüchtlingshelfer erzählen„Unseren Job sollte die Stadt machen“

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Blicken auf fünf Jahre ehrenamtliche Flüchtlingsunterstützung in Köln und ihre persönlichen Erlebnisse zurück: (v.l.) Gudrun Kirch, Andrea Ferger-Heiter, Hanno Meyer-Barner und Ibrahim Willeke. 

  • Vor fünf Jahren sind tausende Flüchtlinge über die Balkanroute nach Deutschland gekommen.
  • Auch in Köln haben sich nach dem Sommer 2015 viele ehrenamtliche Unterstützer engagiert und sich um die Geflüchteten in den Heimen und Turnhallen der Stadt gekümmert.
  • Auf Einladung der Rundschau haben vier Kölner Flüchtlingsbetreuer Dierk Himstedt von ihren Erlebnisse berichtet.

Köln – Wie haben Sie den Sommer 2015 und die Wochen danach erlebt? Gudrun Kirch: 2015 wurden in Riehl auf dem Gelände der Sozial-Betriebe Köln drei Flüchtlingsheime eingerichtet, dazu noch ein Wohnheim in der Xantener Straße für junge geflüchtete Männer. So kam das Thema in mein Wohngebiet. Am Anfang war viel Euphorie, große Bereitschaft und Offenheit in meinem Umfeld – im Grunde in der gesamten Stadt. Zwar hat es auch Versuche der AfD in Riehl gegeben, Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen, aber die hatten in einem bürgerlichen Viertel wie Riehl eigentlich keine Chance.

Ibrahim Willeke: Als Mitglied der schwul-lesbischen Community waren Leute wie ich in den Heimen immer noch den Ressentiments der Kulturen ausgesetzt, aus denen wir geflüchtet waren. Das hat mich und andere schwul-lesbische Flüchtlinge motiviert, aktiv zu werden und uns zu organisieren, um unsere Interessen selbst zu vertreten und andere zu beraten.

Andrea Ferger-Heiter: Ich war 2015 noch nicht sofort dabei, weil ich beruflich sehr eingespannt war. Trotzdem habe ich die positive Stimmung mitbekommen. Habe aber damals schon gedacht: Da kommt richtig viel auf uns zu und eigentlich müssen wir alle mithelfen, damit wir das auch schaffen.

Teilnehmer des Rundschau-Gesprächs

Die Fragen stellten Dierk Himstedt und Michael Fuchs. Mit dabei waren:

Gudrun Kirch (65) vom „Runden Tisch Riehl“ betreute Flüchtlinge in der Sprachförderung und Weiterbildung bis hin zur Job- und Wohnungsuche.

Ibrahim Willeke (34), Mitbegründer von SOFRA Cologne und Rainbow Refugees Cologne Support Group, die lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle und queere Geflüchtete und Migranten in ganz Köln unterstützen.

Hanno Meyer-Barner (58) organisiert Welcome Walks mit Flüchtlingen in der Kölner Innenstadt und bereitet im Rahmen des Projekts ArrivalAid Asylsuchende für die Anhörung beim Bamf und Klagen beim Verwaltungsgericht vor.

Andrea Ferger-Heiter ist Mitglied bei „Willkommenskultur Mülheim“ und hat sich auf das Thema 'Arbeitsintegration' spezialisiert und bis heute rund 150 Flüchtlinge unterstützt. (dhi)

Hanno Meyer-Barner: Ich habe mir etwas Zeit gelassen und mir angeschaut, wo ich am besten helfen könnte. Der Hype, der dann in den Medien und auch in der Bevölkerung losging, hat mich geärgert, weil das Flüchtlingsproblem auch schon vor 2015 existierte und Menschen übers Mittelmeer gekommen sind.

Wie haben Sie Geflüchtete unterstützt und wie waren Ihre Erfahrungen?

Ferger-Heiter: Ich habe immer ganz viel erklärt und beschrieben, worauf es in Deutschland ankommt. Dann sind unter den Flüchtlingen natürlich verschiedene Persönlichkeiten, die ganz unterschiedliche Interessen haben. Und als die ersten Grundbedürfnisse nach ein paar Wochen und Monaten bedient waren, kam es auch zu Situationen, wo ihnen Angebote gemacht wurden, die einfach an ihren Bedarfen vorbeigingen. Das hat teilweise zu Frust geführt.

Kirch: Es hat natürlich auch mal geknirscht. Es gibt Geflüchtete, die Freunde geworden sind, und es gibt die, wo die Zusammenarbeit nicht klappte. Über dieser Beziehungsebene hinaus gibt es aber auch eine Unterstützungsebene, wo es darum geht, dass die Menschen sich selbst helfen und aktiv werden können.

Ferger-Heiter: Ich erinnere mich da an ein aufwendiges Kinderzirkus-Angebot, wo nicht, wie erhofft, 20 Kinder kamen, sondern nur vier und die Enttäuschung in der Willkommensinitiative entsprechend groß war. Besser ist es daher, dass die Geflüchteten sich aus bestehenden Angeboten auswählen können, was sie möchten.

Meyer-Barner: Ich hab es immer so gehalten, dass Angebote auch abgelehnt werden können. Das gehört auch zur Integration. Und wenn ein Angebot nicht angenommen wird, muss man sich eben etwas Neues einfallen lassen.

Willeke: Das sehe ich ähnlich. Grundsätzlich finde ich, dass jede Hilfe zunächst einmal willkommen ist. Aber jeder sollte sich dann nehmen dürfen, was er auch benötigt – ohne dass der Helfende enttäuscht darüber ist.

Wie lief das Kennenlernen? Da prallten ja unterschiedliche Kulturen aufeinander.

Meyer-Barner: Für mich war das kein Problem, weil ich mich schon immer gern mit Menschen anderer Kulturen ausgetauscht habe. Bei meinen Stadtspaziergängen (Welcome Walks), habe ich des Öfteren auch Scheu bei den Geflüchteten erlebt, wenn es darum ging, den Kontakt weiterzuführen. Sie schämen sich vielleicht oder sind unsicher wegen der fremden Sprache und Kultur. Da versuche ich, gegenzusteuern und neu zu motivieren.

Nach der ersten Phase in 2015 – wie sah dann die Unterstützung der Geflüchteten weiter aus, welche Probleme gab es?

Kirch: Nach der Willkommensphase kam die Phase zwei, die ich Integration nenne, wo es darum geht, die Kinder in die Kitas und Schule zu bringen, Jobsuche, Wohnungssuche – eben ankommen im System. Das ging im Grunde ab 2017 los. Das war auch wichtig, weil die Menschen so aus ihrem „Ghetto“ rauskamen.

Willeke: Junge und lebensunerfahrene Neuankömmlinge brauchen Unterstützung, damit sie Termine einhalten, die Papiere besorgen oder wichtige Anträge stellen. Andere schaffen das alleine – die zum Beispiel Englisch können und das erforderliche Wissen haben.

Wie funktionierte denn die Zusammenarbeit mit den Behörden?

Ferger-Heiter: Es hat gedauert, bis die städtischen Behörden uns Ehrenamtler ernst genommen haben, obwohl sie ja merkten, dass sie mit der Zahl der Flüchtlinge überfordert waren. Ich erinnere mich, dass die Willkommensinitiativen 2016 von der Stadt gefordert hatten, bezahlte Koordinatoren für die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit in der Verwaltung zu installieren. Bis die da waren, hat es zwei Jahre gedauert. Da hatten wir uns bereits selbst organisiert.

Meyer-Barner: Ich finde, wo dringend etwas geändert werden müsste, ist bei denn Sprachkursen. Da muss es möglichst kostenlose Angebote für alle geben– egal ob sie eine sichere Bleibeperspektive haben oder nicht. Ich kenne Leute, die seit ein oder zwei Jahren hier sind und fast kein Deutsch sprechen.

Kirch: Da muss ich auch leider sagen, dass die Jobcenter vor allem in Richtung Arbeit beraten, aber zu selten Angebote für Sprachkurse und berufliche Qualifizierung weitergeben.

Meyer-Barner: Geflüchtete werden in den Behörden nicht ausreichend beraten und auf die Schwierigkeiten, die auf sie zukommen, vorbereitet. Ich sehe meine Aufgabe darin, diese Wissenslücken zu füllen. Leider ist das auch notwendig, denn der eigentliche Missstand liegt darin, dass unseren Job eigentlich die Stadt und deren Behörden mache sollte.

Ferger-Heiter: Wenn die Geflüchteten zum Teil sechs bis acht Wochen auf die Ergebnisse ihrer Sprachkurs-Prüfungen warten, um den Anschlusskurs beantragen zu können, vergeht wertvolle Zeit, in der die Menschen rumsitzen und nichts tun können. Es werden ihnen zum Beispiel in dieser Zeit auch keine Praktikumsmöglichkeiten vom Jobcenter eingeräumt. So könnte die Zeit genutzt werden, damit die Leute das Arbeitsleben hier kennenlernen und ihr gelerntes Deutsch anwenden können.

Meyer-Barner: Es ist ja in anderen Bereichen noch schlimmer: Zum Teil dauert es Jahre, bis ein Asylantrag erledigt ist, und dann geht es ja meist noch vor Gericht. Wie hier von Seiten der Behörden mit der Zeit der Geflüchteten umgegangen wird, ist menschlich schlimm und auch politisch total unklug.

Was muss getan werden, damit Flüchtlinge Jobs und eine eigene Wohnung bekommen?

Kirch: Wir reden über Erwerbstätigkeiten, mit denen die neu Angekommenen ihre Familien ernähren wollen und können. Das sind eben keine Tätigkeiten wie einen Monat lang hier eine Nebentätigkeit oder da mal ein bisschen jobben. Wir mussten da viel erklären und Überzeugungsarbeit bei den Geflüchteten leisten, dass sie eine Ausbildung machen oder weiter in die Schule gehen, um langfristige Job-Perspektiven zu haben.

Ferger-Heiter: Viele waren anfangs zu blauäugig was die Integration in Jobs anging. Das galt für die Geflüchteten, aber auch die Unterstützer und die Mitarbeiter im Jobcenter. Ich habe schon früh gewarnt, dass die neu Angekommenen die Sprache so gut können müssen, dass sie die Ausbildung und vor allem die Prüfungen in der Berufsschule schaffen können. Und das dauert eben seine Zeit. Ich habe daher versucht, meine Klienten in Praktika zu bekommen oder in ein freiwilliges Jahr, damit sie die Arbeitswelt kennen lernen und ihr Deutsch anwenden können. Ich habe da viele positive Beispiele.

Meyer-Barner: Ich habe viel mit Geflüchteten zu tun, die erst mal die Basics schaffen müssen, wo es an Schulausbildung und Sprache an fast allem fehlt. Da dauert es Jahre, bis die überhaupt in die Nähe eines Jobs kommen. Und wenn, dann arbeiten sie im Billiglohnsektor. Ich habe Sorge, dass sich hier eine neue Unterschicht im Billiglohnsektor bildet, der zumeist aus ehemals Geflüchteten besteht.

Was nehmen Sie aus Ihrer ehrenamtlichen Unterstützungsarbeit für die geflüchteten Menschen mit?

Kirch: Neue Freundschaften. Begegnungen mit anderen Kulturen. Und auch die gemeinsame Arbeit in den Willkommensinitiativen.

Ferger-Heiter: Ich möchte es an einem Beispiel festmachen: Ein Mann aus Eritrea, Anfang 30, den ich betreut habe, und der unheimlich engagiert ist, aber wegen seiner mangelnden Vorbildung als einziger den Abschluss an der Tages- und Abendschule nicht geschafft hatte. Er hat jetzt trotzdem eine Stelle als Maler bei einer Wohnungsbaugesellschaft bekommen. Dort ist er sehr zufrieden und möchte bald die Niederlassungserlaubnis beantragen. Das ist toll.

Willeke: Ich bin durch meine Arbeit für die LGBT-Community unter den Flüchtlingen viel politischer geworden und will in Zukunft weiter dazu beitragen, dass Migranten mehr für ihre Rechte eintreten.

Meyer-Barner: Mir gibt das sehr viel, Menschen zu helfen, die unter schwersten Bedingungen zu uns gekommen sind, hier anzukommen und Fuß zu fassen.

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