Vögel und Igel in KölnWie sich das Tierheim Dellbrück um verletzte Wildtiere kümmert

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Vogel Tierheim Dellbrück

Mustergültig sperrt dieses Meisenjunge seinen Schnabel  auf. 

Köln – Wenn der schwarze Winzling wie ein Kraftprotz seine Flügel vor der Brust anwinkelt weiß Sandra Kammann – jetzt ist es bald soweit. Er trainieren seine Brustmuskeln. Gleichzeitig hört er auf zu fressen, bis er genau richtig leicht ist „Dann fliegt er. Zwei Jahre lang. Der Vogel schläft in der Luft, isst beim Fliegen und kommt da oben in die Mauser. Mauersegler sind absolut faszinierend.“ 17 junge Vögelchen hat die 45-Jährige im vergangenen Jahr großgezogen. Und um jedes einzelne gekämpft.

 275 Vögel und Dutzende Igel

Vogeljunge, verletzte Igel, Eichhörnchen und andere Wildtiere sind eigentlich nicht das Metier des Dellbrücker Tierheims. Aufgenommen werden sie aber doch. Behandelt, aufgepäppelt und, wenn alles gut läuft, wieder ausgewildert. 275 Vögel waren es im Vorjahr, dazu Dutzende Igel. Sandra Kammann ist die Fachfrau für diese Fundtiere. Vor 19 Jahre hat sie als Ehrenamtlerin reingeschnuppert. Dann hängt die damals 26- Jährige hängt ihre Job als Mediengestalterin an den Nagel. „Am PC Broschüren für Verblendsysteme gestalten. War nicht mein Ding“, sagt sie.

Mauersegler Tierheim

Um ihre  empfindlichen Federn nicht zu verletzen, werden Mauersegler  nur mit Handschuhen angefasst. 

Wenige Gramm leichte nackte Winzlinge aufpäppeln, das schon. Ein mit grauen Flaumfedern bedecktes gerade fünf Zentimeter kleines Vögelchen turnt in Kammanns Hand herum. Sie trägt blaue Gummihandschuhe, denn das Gefieder der Seglers darf auf keine Fall beschädigt werden. Etwa durch Fett an der Hand oder einen scharfen Fingernagel. Sonst schaffen die Jungvögel es nicht, zwei Jahre zu fliegen. Erst wenn sie zum ersten mal brüten treibt der Instinkt sie an Nistplätze auf festem Grund.

Nestlinge auf keinen Fall sofort mitnehmen

Eine Weile beobachten sollte man Vogeljunge, die auf dem Boden sitzen. Häufig fallen sie bei ihren ersten Flugversuchen in der Nähe ihres Nestes auf den Boden und werden dort von den Elternvögel weiterhin versorgt, bis sie einen neuen Flugversuch starten. Wenn solche flugfähigen und unverletzten Jungvögel mitgenommen werden, schadet man ihnen damit.

Die Wildvogelhilfe erklärt auf ihrer Internetseite Punkt für Punkt, was genau man beachten muss. Man sollte die Beobachtungszeit nutzen, um sich auf dem Smartphone die wichtigen Hinweise durchzulesen. Hier erfährt man beispielsweise, dass Jungvögeln keinesfalls Wasser angeboten werden darf, da ihre Luftröhre unmittelbar im Schnabel endet. Durch Wassergabe ersticken sie; deshalb nehmen Vogeljunge Flüssigkeit nur über die Nahrung auf. Und auch durch falsche Futtergabe wie etwa eineingeweichte Haferflocken sterben viele Jungvögel.

www.wildvogelhilfe.org

www.koelner-taubenhilfe.de

Auch fressen tun sie anders als andere Vögel, die problemlos mit einer Pinzette gereichte Maden schlucken. Schwupp, ist der blaue Handschuhfinger angesaugt, da ist nichts zu machen. „Dass soll auch so sein“, sagt die Vogelfrau und muss doch schmunzeln. „Musste ich auch erstmal lernen. Erst wenn dieser Kontakt hergestellt ist, kann man dem Jungvogel ein Heimchen seitlich in den Schnabel schieben.“ Was sie nicht weiß über diese sehr besonderen Vögel liest sie in Fachforen nach. Oder fragt eine Mauerseglerspezialistin am Telefon.

Kammann liebt alle Vögel. Die Stadttauben tun ihr dazu noch leid. „Sie brüten bis zu zehn Mal im Jahr. Dieser Brutzwang ist ihnen angezüchtet worden, egal ob der Lebensraum genügen Platz und Futter bietet“, sagt sie. „Das Taubenproblem haben wir uns komplett selber gemacht.“ Deshalb setzt sie Fundtauben auch nicht in der Stadt aus, sondern hält sie in einer großen Voliere in ihrem Garten. Ansonsten werden alle flugfähigen Vögel ausgewildert. Das gilt für die zwei Stockentenküken ebenso wie für die kleine Ralle und das Nilgänschen, die sich ein Gehege teilen. Die Meisenjungvögel und der kleine Spatz kommen bald in eine Voliere draußen, wo sie lernen, auf dem Boden nach Futter zu suchen. Nach ein paar Tagen wird die Tür aufgelassen und die Jungvögel wagen sich immer länger mach draußen – bis sie ganz wegbleiben.

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Fast schon wieder gesund ist eine erwachsene Krähe mit Rachitis. „Ihr fehlte quasi alles an Vitaminen, deshalb waren ihre Klauen geschwollen und unbeweglich.“ Neben ihr hocken zwei weiße Tauben in einer Voliere. Sie erzählen eine traurige Geschichte. „Zu Hochzeiten werden die Tiere gekauft, weil es ein schönes Bild ergibt. Viele der Vögel sind da schon krank. Und sie finden sich in der Stadt nicht zurecht“, sagt die 45-Jährige.

Bis zu 40 Vogeljunge gleichzeitig

Anders als die erwachsenen Vögel können die Nestlinge nicht über Nacht im Tierheim bleiben. In Transportboxen trägt Kammann sie jeden Tag hin und her. Bis zu acht Boxen hat sie dabei, und auch Tierheim-Pressefrau Sylvia Kemmerling ist auf den Vogel gekommen – sie zieht einen Eichelhäher auf.

Zeitweise müssen bis zu 40 Vogeljunge gleichzeitig versorgt werden. Deutlich mehr als früher. Durch die häufigeren Stürme und Starkregen fallen mehr Tiere aus den Nestern. Und extreme Hitze bringt Küken sogar dazu, sich aus dem Nest zu stürzen. „Unter Dächern, wo Mauersegler brüten, kann es heute bis zu 50 Grad heiß werden“, sagt Kammann. „Vor dem Klimawandel waren das gute Plätze. Jetzt nicht mehr. Die Ursachen für viele Nöte von Wildtieren sind menschengemacht.“

Um zu helfen und auch, um zum Erhalt bedrohter Vogelarten etwas beizutragen, arbeitet die 45-Jährige über ihre Dienstzeiten hinaus. In einem aber hat sie Glück. Denn die Vogeleltern stellen das Füttern ein, sobald es dunkel ist. „Deshalb muss auch ich erst bei Sonnaufgang wieder füttern. Und nicht nachts.“ Das allerdings steht an, wenn junge Igel zu versorgen sind. Die sind nachtaktiv und gerade dann besonders hungrig.

Tierheim ist dabei auf Spenden angewiesen

„Finanzielle Unterstützung für die Versorgung von Wildtieren gibt es vonseiten der Stadt nicht“, sagt Sylvia Kemmerling. Deshalb sind wir sehr auf Spenden angewiesen.“ Denn das Spezialfutter für Jungvögel ist teuer. Wenn viele Nestlinge zu versorgen sind, kostet es 1200 Euro – jeden Monat. „Alternativen gibt es keine, denn die jungen Vögel sind auf Insekten spezialisiert“, erklärt Hammann. „Wenn sie etwas anderes bekommen, sterben sie.“ Und trotz großer Mühe schaffen es rund 30 Prozent der abgegebenen Wildtiere nicht, so die Spezialistin. Sie sind zu jung, zu krank oder schwer verletzt. Die vielen, die es schaffen aber sorgen für Augenblicke, die man nie vergisst.

„Wir bieten den Mauerseglern an, zu fliegen, setzen sie auf die flache Hand und halten sie nach oben“, sagt Kammann. „Wenn ein junger Vogel bereit ist, vibriert sein ganzer Körper. Dann stürzt er sich von der Hand in die Tiefe, fängt sich und steigt auf in den Himmel. So, als hätte er niemals etwas anderes gemacht.“

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